Politik

Energieintensive Branchen wie die Chemieindustrie brauchen wettbewerbsfähige Bedingungen. Dazu gehört ein Industriestrompreis. (Foto: dpa/Robert Michael)

30.06.2023

Deindustrialisierung ist kein Weg

Transformation zur Klimaneutralität unterstützen

Die Stimmung der deutschen Wirtschaft hat sich in der Rezession weiter deutlich verschlechtert. Der Ifo-Geschäftsklimaindex (Einschätzung der aktuellen Lage und Erwartungen an das künftige Geschäft) sank im Juni überraschend kräftig auf 88,5 Punkte von 91,5 Zählern im Vormonat. Damit fiel er das zweite Mal in Folge, wie das Münchner Ifo-Institut am Montag zu seiner Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Vor allem die schwache Entwicklung der Industrie bremst die Konjunktur in Deutschland.

Da drängt sich die Frage auf, ob sich die Bundesrepublik auf eine schleichende Deindustrialisierung zubewegt. Manche Ökonomen finden, dass ein Abschmelzen des im internationalen Vergleich hohen Industrieanteils von rund 25 Prozent am Bruttoinlandsprodukt auf etwa die Hälfe, so wie in den USA, Großbritannien und Frankreich, gut wäre. Ein abrupter Absturz der Industrie könne dann der Volkswirtschaft hierzulande weniger schaden. Energieintensive Produktion würde von deutschen Unternehmen im Ausland betrieben. Ökologisch bedenkliche Produktion könnte ebenfalls jenseits der deutschen Landesgrenzen stattfinden. Und dem Fachkräftemangel könnte man ein Schnippchen schlagen, weil es im Ausland genügend Arbeitskräfte gibt.

Das klingt verlockend, wäre aber gerade im Freistaat fatal. Denn die Industrie ist das Rückgrat des Wirtschaftsstandorts Bayern. Die rund 8000 Industriebetriebe von Maschinenbau über Automobil- und Zulieferindustrie bis hin zu Luft- und Raumfahrt und Umwelttechnologie legen das Fundament für Beschäftigung, Bruttoinlandsprodukt und Brancheninnovationen. Das sieht man im bayerischen Wirtschaftsministerium ähnlich. „Deindustrialisierung ist kein Ansatz von weitsichtiger Wirtschaftspolitik. Statt einer Deindustrialisierung ist vielmehr die Transformation zur Klimaneutralität im Fokus“, sagt ein Ministeriumssprecher.

Industriestrompreis ist gefragt

Eine Deindustrialisierung hätte aber auch Folgen für die gesamte Wirtschaft. Viele Zulieferer und Abnehmer sowie regionale Dienstleister und Handwerker wären ebenfalls betroffen. „Insbesondere würden in Umbruchzeiten die kritischen Abhängigkeiten von anderen Teilen der Welt nicht abnehmen, wie politisch beabsichtigt, sondern zunehmen, da noch viel mehr grundlegende Güter für unsere Volkswirtschaft importiert werden müssten“, mahnt Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK). Schließlich wäre ein Abbau in Deutschland und ein Aufbau andernorts im besten Fall ein Nullsummenspiel für das Klima, im realistischen Fall eines zusätzlich anfallenden Abbaus und Aufbaus mit anschließenden längeren Transportwegen sogar klimaschädlich, gibt Gößl zu bedenken.

Auch die Annahme, dem Fachkräftemangel durch Deindustrialisierung begegnen zu können, sieht er kritisch. „Die Erfahrung zeigt, dass frei werdende Kapazitäten gut ausgebildeter Fachkräfte in spezifischen Bereichen nicht ohne Weiteres für andere Branchen und andere Stellenanforderungen infrage kommen“, so der BIHK-Hauptgeschäftsführer. Unsicher sei auch, ob die Fachkräfte die gleichen Einkommen wie zuvor erzielen können und die Bruttowertschöpfung der wachsenden Branchen mit der Industrie mithalten kann. „Eine arbeitsmarkt- und sozialpolitische Begleitung eines solchen tiefgreifenden Strukturwandels wäre jedenfalls nötig und kostspielig“, erläutert Gößl.

Bund und EU sind gefragt

Allerdings ist eine politische Begleitung durch Bundesregierung und EU auch bei der Transformation zur Klimaneutralität gefragt. Beide müssen die Wirtschaft noch viel besser unterstützen, damit auch innerhalb der Industrie der Strukturwandel erfolgreich verläuft. Ein wettbewerbsfähiger Industriestrompreis ist hierbei ein Schlüsselfaktor. Wenn man in Frankreich den Industriestrom schon für 4,2 Cent bekommt und in den USA sogar für nur 2,5 Cent, sollte Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) über seine Verweigerungshaltung noch einmal kräftig nachdenken. Er ist momentan noch nicht einmal für einen Industriestrompreis von 6 Cent zu gewinnen.

Das ist umso tragischer, da die Unternehmen nach wie vor daran interessiert sind, in Deutschland zu investieren. Das sieht man zum Beispiel an den Lech-Stahlwerken in Meitingen (Landkreis Augsburg). Dort soll die Produktion ausgeweitet werden – trotz hoher Strompreise. Und Stahlkochen verschlingt eine Menge Energie.

Damit die Industrie hierzulande klimaneutral werden und weiterhin für Wohlstand sorgen kann, sind neben einem Industriestrompreis noch andere Rahmenbedingungen gefragt, für die der Bund schnellstens sorgen sollte. Abgaben und Steuern reduzieren, Bürokratie abbauen, Planungs- und Genehmigungsverfahren verkürzen sowie in Bildung und Forschung investieren. Auch vom Energieeffizienzgesetz sollte man sich verabschieden, weil die dort festgelegten starren Einsparziele massive ökonomische Risiken bergen.
(Ralph Schweinfurth)

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