Politik

Das erste Demenzdorf Deutschlands wurde 2014 in Tönebön am See in Hameln eröffnet. (Foto: dpa/Ole Spata)

17.02.2023

Demenzdorf und Pflegebauernhof

Die Zahl der Pflegebedürftigen wird rasant wachsen – welche innovativen Konzepte es schon gibt und was geplant ist

Die Zukunft der Pflege ist alles andere als rosig. Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, Angehörige stehen immer seltener für die Pflege zur Verfügung. Zugleich fehlen professionelle Pflegekräfte. Hinzu kommt: Viele pflegebedürftige Menschen möchten so lange wie möglich zu Hause wohnen bleiben. Die Politik setzt deshalb zu Recht auf wohnortnahe, innovative Pflegekonzepte, auch in den eigenen vier Wänden. „Unser Ziel ist, dass alle Pflegebedürftigen die Pflege vor Ort bekommen, die auf ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnitten ist“, so der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).

4000 Pflegeplätze hat das Gesundheitsministerium seit 2020 im Rahmen von Förderprogrammen unterstützt. Da ist zum Beispiel das Projekt ALIA in Weiherhammer in der Oberpfalz, wo es auf einer Art Campus neben pflegerischen Angeboten auch Kinderkrippe und Kindergarten, betreutes Wohnen ein Inklusionscafé und eine Tierweide gibt. Oder der Pflegebauernhof in Karlshuld, den Holetschek vergangene Woche besuchte. In dem ehemaligen Kuhstall sollen 23 Pflegeplätze in zwei ambulant betreuten Wohngemeinschaften entstehen. Der Hof will zugleich ein generationenübergreifender Begegnungsort sein – für Holetschek ein „Leuchtturmprojekt für die soziale Landwirtschaft“.

Die Regierung fördert Mehrgenerationen-Wohnprojekte wie in Unterwössen, wo 32 barrierefreie Wohnungen mit großen Gemeinschaftsflächen und einer Arztpraxis im Haus geplant sind. Und Tagespflegeplätze in einem ehemaligen Pfarrhof in Igling. Aber Innovation geht auch ein paar Nummern kleiner: Der Pflegekrisendienst Erding zum Beispiel reagiert schnell und unkompliziert, wenn es bei der pflegerischen Versorgung eng wird. Das Projekt „Kurzzeitpflege – daheim!“ in Geretsried garantiert kurzfristig eine 24-Stunden-Betreuung. Alles bitter notwendige Ansätze, um die Pflege flexibel und bedarfsgerecht zu gestalten.

Ambulante Dienste beugen dem „Pflexit“ vor

Eine weitere Möglichkeit, einem „Pflexit“ vorzubeugen, ist die Stärkung und Neustrukturierung der bestehenden ambulanten Pflegedienste. Das Nachbarschaftspflegeteam Buurtzorg in München etwa hat das Ziel, den Pflegekräften mehr Autonomie und Selbstbestimmung innerhalb flacher Hierarchien zu ermöglichen. Abgerechnet wird in dem aus den Niederlanden stammenden Konzept nach Zeit, nicht nach Leistungen. So kann man im Krisenfall auch mal beim Pflegebedürftigen sitzen und zuhören, statt strikt nach Waschplan vorzugehen.
Auch bei Buurtzorg hapert es allerdings, wie überall, an der Vernetzung von Ärzt*innen, Pflegekräften, Patient*innen und Angehörigen. Besonders ärgerlich für Julian Wendland, Pflegedienstleiter bei Buurtzorg: dass die Pflegedienste nicht selbst Verordnungen schreiben dürfen, zum Beispiel für Kompressionsstrümpfe. „Mir wäre wichtig, dass die Dinge einfacher werden“, so Wendland.

Klotzen statt kleckern möchte der gesundheitspolitische Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, Dominik Spitzer. Er kritisiert, dass für die Pflege Demenzkranker im diesjährigen bayerischen Haushalt nur 800 000 Euro vorgesehen seien. Die Landtagsliberalen haben einen Haushaltsantrag eingebracht, der 60 Millionen Euro für die Förderung alternativer Wohnformen vorsieht.
Spitzer will in einem Pilotversuch die Entwicklung von zwei Demenzdörfern fördern. Seine Überzeugung: „Demenzdörfer können ein wichtiger Baustein für die pflegerische Versorgung der Zukunft sein.“ Die Betroffenen leben dort in kleinen Wohngruppen, die Anordnung von Gebäuden und Park trägt ihrem Bewegungsdrang Rechnung. „Durch die Ministerialbürokratie sowie die Selbstverwaltung der Pflege wurden zu starre und hohe Hürden für solche innovativen Konzepte geschaffen, was uns vor große Probleme stellt“, erklärt Spitzer. Und fordert: „Es braucht jetzt ein wuchtiges Förderprogramm, welches innovative und alternative Wohnformen für Pflegebedürftige in den Regelbetrieb bringt und dauerhaft absichert.“

Klar ist: Ein paar innovative Wohnprojekte im Land werden das Problem, das auf die Gesellschaft zurollt, nicht lösen. Hoffnungen verbinden sich darum langfristig auch mit technischen Innovationen. Ein besonders anschauliches Beispiel ist Garmi, der Roboter, den die TU München entwickelt hat und in einem Pflegeheim auf seine Alltagstauglichkeit hin testet. Noch kann Garmi zwar wenig. Aber das wird sich langfristig ändern. Personalisierte Roboter und Assistenztechnologien können dazu beitragen, „dass ältere Menschen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes und unabhängiges Leben führen“, so die zuversichtliche Botschaft der TU München. Das Geriatronik-Forschungszentrum der TUM in Garmisch-Partenkirchen unterstützt der Freistaat mit 4,7 Millionen Euro. Hier könnte die technische Innovation an Fahrt aufnehmen. Im Idealfall entlasten Assistenztechnologien die Pflegenden, stärken die Autonomie der Pflegebedürftigen und sorgen so dafür, dass die Pflege ihr menschliches Antlitz bewahrt.

Möglich ist schon jetzt vieles: Digitale Technologien erleichtern die Dokumentation und Medikamentenbestellung. Sensorsysteme im Boden signalisieren Sturzgefahr. Es gibt intelligentes Inkontinenzmaterial und Hüftprotektoren, die sich beim Sturz öffnen. In der Praxis angekommen ist von all dem allerdings noch viel zu wenig. (Monika Goetsch)

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