Politik

06.11.2025

Der fatale Drang, alles zu regeln: So steht es um den Bürokratieabbau tatsächlich

Alle sprechen vom Bürokratieabbau – doch der Amtsschimmel wiehert hierzulande weiter, wie etliche Beispiele zeigen. „Experten schätzen die Belastung durch behördliche Vorgaben in der deutschen Wirtschaft auf jährlich über 60 Milliarden Euro“, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft

Der Amtsschimmel wiehert lauter denn je. Etwa 325 000 Arbeitskräfte waren seit dem Jahr 2022 zusätzlich nötig, um die gewachsene Bürokratie zu bewältigen. Das berichtete kürzlich das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Allerdings schwächt nicht nur der Staat mit ausufernder Bürokratie die Wirtschaft. Dafür sorgen auch außerstaatliche Akteure wie etwa Banken.  

Mindestens 18 000 Euro für einen zugelassenen Sachverständigen

Wie Bürokratie etwa das Entsorgungsgewerbe belastet, davon berichtet Stefan Böhme, Präsident des Verbands der Bayerischen Entsorgungsunternehmen (VBS). Er betreibt im oberfränkischen Rehau die zweitgrößte bayerische Sortieranlage für Leichtverpackungen. Sein Betrieb zählt zur kritischen Infrastruktur. Um die Entsorgung für die Bürger jederzeit sicherzustellen, wurden weitgehende Sicherheitsmaßnahmen in Bezug auf IT und Anlagentechnik getroffen.

Nun dynamisierte sich in den vergangenen Monaten das politische Vorgehen gegen eventuelle kriegerische Angriffe. Für kritische Infrastrukturen gelten nun neue Mindestanforderungen und verpflichtende Risikoanalysen: Alle zwei Jahre muss durch eine externe Stelle geprüft werden, ob ein Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Kostenpunkt laut Böhme: mindestens 18 000 Euro für einen zugelassenen Sachverständigen, „der alleine zwei Wochen zur Erstzertifizierung veranschlagt“. Für Dokumentation und Zertifizierungsmaßnahmen sind mehrere Beschäftigte im Einsatz. Böhme spricht von einem „Bürokratiemonster allererster Güte“, für mittelständische Unternehmen kaum zu bezwingen.

Doch auch private Akteure tragen dazu bei, dass Unternehmen infolge von Regelungswut fast ersticken. Hans Maier, Vorsitzender des Verbands bayerischer Wohnungsunternehmen, sind vor allem Banken ein Dorn im Auge: „Kreditinstitute verlangen im Zuge von Finanzierungszusagen zunehmend überbordende Angaben zu CO2-Emissionen, Energieeffizienz oder sozialen Kriterien.“

Auch Banken nerven Unternehmen mit überbordenden Auskunftswünschen

Auch Josef Rampl, Geschäftsführer des Bayerischen Müllerbunds, bestätigt, dass die Kontrollsucht zunehmend jenseits des Staates wächst. So würden Müllerbetriebe zwar von der Futter- und Lebensmittelaufsicht überwacht. Dennoch forderten Kunden weitere Zertifizierungen: „Dafür müssen wir eigene Dokumentationen erstellen, Berater bezahlen und Auditoren beauftragen, die uns nach diesen Standards prüfen.“

Und Michael Strauch vom Bayerischen Industrieverband Baustoffe, Steine und Erden klagt über nicht angemessene Fristen für Widersprüche: Rohstoffgewinnern macht zu schaffen, dass sogar nicht fristgerechte Einwendungen von Umweltverbänden regelmäßig berücksichtigt werden. Er klagt: „Behörden sind tatsächlich verpflichtet, Einwendungen, unabhängig vom Eingangszeitpunkt, zu prüfen.“ Dies führe in der Rohstoffgewinnung und bei Infrastrukturprojekten zu mehrjährigen Verzögerungen. Sein Verband wünscht sich Bürokratieabbau durch Klageverfahrensgrenzen.

Die bayerische Bauindustrie wiederum ärgert, dass Beschäftigte gezwungen sind, die Arbeit einzustellen, auch wenn sie gern sehr viel länger arbeiten würden. Besonders betroffen sind Montagearbeiter, die, statt ab dem späten Nachmittag in einer Pension abzuhängen, lieber weiterarbeiten würden, um am Donnerstagabend heimzufahren. „Die Betriebe brauchen dringend mehr Spielräume bei der Arbeitszeitgestaltung“, sagt Thomas Schmid, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Bauindustrieverbands. Wer es wünsche, solle freiwillig länger arbeiten dürfen.

Über schier grenzenlose Regulierungswut klagt auch Manfred Gößl, Hauptgeschäftsführer des Bayerischen Industrie- und Handelskammertags (BIHK). Jüngstes Beispiel: das geplante Bundestariftreuegesetz. „Das rund 50-seitige Bürokratiemonster tritt neben das Mindestlohngesetz, das Entsendegesetz sowie das Tarifvertragsgesetz mit der Möglichkeit von Allgemeinverbindlichkeitserklärungen“, stöhnt Gößl. Selbst tarifgebundene Unternehmen seien davon erfasst und müssten sich mit völlig überflüssiger Bürokratie auseinandersetzen.

Mehr Disziplin des Gesetzgebers in puncto Bürokratie wünscht sich auch das mittelständische Industrieunternehmen Delo aus dem oberbayerischen Windach. Unlängst erstellte Delo eine Liste all seiner Beauftragten. Sie umfasst 42 Beauftragungen von 445 Beschäftigten. Angeführt wird die Liste vom Abfallbeauftragten nach dem Kreislaufwirtschaftsgesetz sowie der Arbeitssicherheitsfachkraft. Sie endet mit dem Umweltmanagementbeauftragten nach dem Energieeffizienzgesetz und dem Zollbeauftragten. Warum werden Betriebe derart akribisch kontrolliert?

VbW übt scharfe Kritik

„Experten schätzen die Belastung durch behördliche Vorgaben in der deutschen Wirtschaft auf jährlich über 60 Milliarden Euro“, sagt dazu Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft. Zum Teil seien die Vorgaben unerfüllbar. Etwa das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: Viele Unternehmen stoßen hier laut Brossardt an ihre Grenzen, „denn sie haben Tausende Firmen, von denen sie Halbfabrikate oder Einzelteile für die Herstellung ihrer Produkte beziehen“.

Immerhin, in einem Feld wurde gegengesteuert: Schulen freuen sich über nachlassende bürokratische Gängelung. Die sei derzeit kein belastendes Thema, erklärt Susanne Rinno, die eine Mittelschule im unterfränkischen Lohr leitet. Das Kultusministerium sei spürbar daran interessiert, bürokratische Abläufe zu minimieren. (Pat Christ)
 

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