Politik

Strauß 1984 in Leipzig: Der CSU-Chef war immer froh, wenn er dem „weißblauen Puppenküchentheater“ entfliehen konnte. (Foto: dpa)

02.10.2015

Der irritierende Drang zur Nachsicht

Zwei Biografien über Franz Josef Strauß kamen dieses Jahr auf den Markt – ein annähernd komplettes Bild des widersprüchlichen CSU-Politikers bietet keine von beiden

Keinem toten deutschen Politiker ist zu seinem 100. Geburtstag je so viel posthume Aufmerksamkeit zuteilgeworden wie Franz Josef Strauß. Eine Fülle von Zeitungsartikeln, Fernsehdokumentationen, neuen Büchern und Gedenkveranstaltungen brachte jüngst der Öffentlichkeit diesen Ausnahmepolitiker im guten wie im schlechten Sinn nochmals nahe. Dabei ging es bunt zu wie im wirklichen Leben von Strauß, der ein pralles Stück der Nachkriegsgeschichte, gleichzeitig aber auch der deutschen Skandalchronik verkörperte. Sogar für die Aufnahme in die bayerische Ruhmesstätte Walhalla wurde er vorgeschlagen.
Wem dieses Strauß-Revival noch nicht genügt, kann zu einem der zahlreichen Strauß-Bücher greifen. Zwei sind relativ neu auf dem Markt. Zur Lektüre der beiden Biographien braucht es freilich Geduld, Ausdauer und auch Skepsis. Die Autoren Horst Möller und Peter Siebenmorgen gönnen sich jeweils an die 800 Seiten – und sind keineswegs unanfechtbar.

„Jubeljaulende Hofhunde“: Lobhudlern misstraute er


Möller, Historiker und langjähriger Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, reklamiert für sich, „die erste große Biografie“ vorgelegt zu haben. Er kritisiert andere Autoren und behauptet, keine Veröffentlichung über Strauß habe auch „nur die wichtigsten gedruckten Quellen“ erschlossen. Die Wertschätzung von Autoren untereinander entspricht halt häufig der von Pegida-Leuten für Flüchtlinge. Quellen sind wichtig. Es kommt aber darauf an, was man aus ihnen macht. Zudem übersieht der Professor, dass Journalisten bei ihren Büchern auch über andere Quellen verfügten, die er nicht erschlossen hat: aus Untersuchungsausschüssen, Ermittlungsverfahren und Gerichtsakten.
Möller lässt seinem starken Drang zur Verteidigung von Strauß freien Lauf, vor allem in der Abteilung Affären, wo er zum Teil wunderliche Thesen aufstellt. Er attestiert dem Bayern in der Spiegelaffäre von 1962 zwar Fehler, stilisiert ihn aber letztlich zum Opfer des damaligen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, von SPD und FDP und der Presse. Die Affäre um die Testamentsvollstreckung von Strauß beim Versandhaus Baur, bei der Strauß von 1984 bis 1988 als bayerischer Ministerpräsident jährlich einen sechsstelligen D-Mark-Betrag kassierte, will Möller nicht zu kritisch sehen, weil doch ein Beamter der Staatskanzlei (in dessen Haut man nicht stecken mochte) seinem Dienstherrn in zwei Gutachten rechtlich einwandfreies Vorgehen attestiert hatte.

Viele Sünden wurden einfach weggelassen


Durch Weglassungen verwirkt Möller den Anspruch, das einzige umfassende Werk zu Strauß vorgelegt zu haben. Ob er damit dessen Lob geerntet hätte, ist fraglich. Der misstraute nämlich Sympathiebekundungen, die er für anwanzerisch hielt. „Jubeljaulende Hofhunde“, nannte er Lobhudler.
Siebenmorgen geht unvoreingenommener und präziser zu Werke und ist kritischer in der Kommentierung. Manches lässt freilich auch er weg. Sicher muss man bei einer derartigen Fülle von Fakten auswählen, sollte aber Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, das sich in beiden Büchern findet.
Zum Beispiel ist zu fragen, warum beide Autoren unterschlagen, wie es dem Strauß-Stellvertreter im CSU-Vorsitz, Franz Heubl, 1976 erging, der sich gegen eine Kanzlerschaft von Strauß aussprach („Dafür braucht es einen Herrn“). Strauß ließ ein übles Dossier zusammenstellen, das als anonymes Dokument auf einem CSU-Parteitag verteilt wurde. Damit war Heubls bundespolitische Karriere beendet, und Strauß hatte wieder einmal bewiesen, wie der Oberbayer ist: „vital, brutal, sentimental“.
Auch der Umgang mit Wirtschaftsminister Anton Jaumann, lange vor Strauß ein Motor der bayerischen Industrialisierung, wurde von beiden weggelassen. Jaumann hatte in seinen späten Jahren Alkoholprobleme, war aber offensichtlich geschäftsfähig. Auf einer Pressekonferenz 1988 sagte Strauß, gemünzt auf Jaumann, die Regierungsmitglieder sollten „einen ihrem Amt angemessenen Lebenswandel“ führen. Das war angesichts der Vita von Strauß nicht nur niederträchtig, sondern auch grotesk. Jaumann trat verbittert zurück.
Die Rolle der Strauß-Premiumspezis Friedrich Jahn (Wienerwald-Besitzer), Eduard Zwick (Bäderkönig in Niederbayern) und Karlheinz Schreiber (Rüstungslobbyist), die allesamt lieber an Strauß und die CSU statt Steuern zahlten, wird von beiden nicht ausgeleuchtet. Diese Schattenseiten sind keine Petitessen, die man einfach weglassen kann, wenn man dem Leser ein komplettes Strauß-Bild vermitteln will.

„Vollidiot des bayerischen Landtags!“ – FJS war nicht zimperlich


Die Regierungszeit als Ministerpräsident (1978-1988) bewerten Möller und Siebenmorgen wohlwollend. Kenner der Landespolitik sind sie nicht. Strauß war kein schlechter Regierungschef und hatte glänzende Wahlergebnisse, aber sein Interesse für die Landespolitik war nach den Jahrzehnten auf Bundesebene limitiert. Sein Wechsel nach München war eigentlich nur für zwei Jahre gedacht. Er sollte 1980 den Wahlkampf um die Kanzlerschaft nicht aus der Opposition, sondern ausgestattet mit einem wichtigen Amt und dem bayerischen Regierungsapparat führen können. Strauß wurde nicht Kanzler und blieb in München hängen.
Er betrieb Politik in dem Spielraum, den ihm die Wirtschaft ließ, die seine Partei und ihn alimentierte. Solch trübe Quellen sprudelten für Strauß und die CSU vom Beginn seiner Karriere an. In die Strauß-Kasse wanderten seit Anfang der Fünfziger Jahre aus den verdeckten Sonderkonten I und II sechsstellige Beträge. Nahezu identisch operierte die Firma Eureca, von der Siebenmorgen in einem ganzen Kapitel, Möller nur kurz berichtet. Über einen Treuhänder waren Strauß und seine Frau Marianne unerkannt an der Eureca beteiligt, Unternehmen zahlten üppig ein, auf den CSU-Chef und seine Partei entfiel wiederum ein sechsstelliger Betrag. Siebenmorgen reklamiert für diese Enthüllung Exklusivität („bisher völlig unbekannt“), Möller war aber vor ihm auf dem Markt. Sechsstellig war auch der Gewinn für Strauß aus einer geheimen Beteiligung an der Werbeagentur seines Freundes Walter Schöll. Der besondere Hautgout dabei war, dass dessen Firma Staatsaufträge bekam und Strauß gleichzeitig Ministerpräsident war. Er hat also an Staatsaufträgen verdient.

Im Landtag fühlte sich Strauß wie der Eisbär in der Sauna


Von seinen Amigopraktiken ließ er nicht ab. Im Landesparlament fühlte er sich wie ein Eisbär in der Sauna. Der Weltpolitiker, für den er sich hielt, musste nun über Radwanderwege und Probleme der Landwirtschaft referieren. Die Zweifel, ob er nicht doch wieder nach Bonn gehen sollte – als CSU-Chef hätte er jederzeit in die Bundesregierung wechseln können – nagten sichtbar an ihm.
Da die bayerische Opposition, zu der das Verhältnis schnell zerrüttet war, unentwegt ätzte, konnte es vorkommen, dass Strauß einem ihrer Abgeordneten den Titel „Vollidiot des bayerischen Landtags“ verlieh. Dem Haushaltsausschuss schrieb er eine Wirksamkeit „wie die des Landwirtschaftsministeriums für das Wetter“ zu. Die CSU-Abgeordneten und Kabinettsmitglieder hatte er schon früher als „fett, faul und auf Feuerwehrfesten“ ausgemacht, er glaubte, in einem „weißblauen Puppenküchentheater“ gelandet zu sein. Glanz verbreitete Strauß nicht. Gleiches gilt auch für seine Biografen Möller und Siebenmorgen. (Michael Stiller) (Horst Möller, Franz Josef Strauß – Herrscher und Rebell, Piper, München, 832 Seiten, 39,99 Euro. Peter Siebenmorgen, Franz Josef Strauß – Ein Leben im Übermaß, 768 Seiten, Siedler, München, 29,99 Euro.)

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