Politik

Über Menschen jüdischen Glaubens existieren auch an den Schulen im Freistaat Vorurteile. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

10.11.2023

Der Nahostkonflikt erreicht die Schulen

Wie Bayerns Bildungseinrichtungen mit dem wachsenden Antisemitismus umgehen

Die jüngste Eskalation im Nahost-Konflikt führt auch an Bayerns Schulen zu heftigen Diskussionen. Viele Lehrkräfte fühlen sich überfordert. Dabei ist gerade jetzt Aufklärung, die über die Lehrpläne hinausgeht, dringend gefragt.

Deutschlandweit ist die Zahl antisemitischer Vorfälle seit dem Angriff der Hamas gestiegen. An Bayerns Schulen ist zwar kein Anstieg bekannt. Allerdings führen weder Kultus- noch Innenministerium eine eigene Statistik für Vorfälle an Schulen, wie eine Anfrage ergab.

In den Lehrplänen aller Schularten finden sich für Sozialkunde oder Geschichte Themen wie Toleranz, Religion, Terrorismus, Fundamentalismus, jüdisches Leben, Holocaust und Antisemitismus. Der Nahostkonflikt wird aber etwa am Gymnasium erst in der 13. Jahrgangsstufe thematisiert. Und wie stark jeweils über aktuelle Vorkommnisse gesprochen wird, hängt von der jeweiligen Lehrkraft ab.

Großer Gesprächsbedarf

Der Bedarf, über die aktuelle Situation zu sprechen, ist nach der Attacke der Hamas auf Israel jedenfalls bei vielen Kindern und Jugendlichen groß. Die wenigsten lesen Zeitung. Und was sie in sozialen Medien erfahren, stammt oft aus zweifelhaften Quellen. Hat die eigene Familie Wurzeln in einem islamisch geprägten Land, kommt häufig auch eine stark negative Grundhaltung gegenüber Israel und dem Judentum hinzu.

Das führt dann zu Aussagen wie „Die haben uns das Land weggenommen“ oder „Ich sage meine Meinung jetzt nicht, die wäre nicht zitierbar“. So erzählt es eine Lehrerin, die an einem oberbayerischen Gymnasium tätig ist. Sie hat die schrecklichen Vorfälle in Israel mit ihren Klassen sofort diskutiert. „Man merkt in der Schule die Spaltung der Gesellschaft“, sagt sie. Einige Schüler*innen, vor allem die mit Migrationshintergrund, seien „total pro Palästina“ und sehr emotional geworden. Jedes Wort müsse man auf die Goldwaage legen, um zu verhindern, dass ein Gespräch eskaliert. Kein Wunder also, dass manche Lehrkraft da lieber beim Lehrplan bleibt, wie die Lehrerin erzählt. Das hört man auch von anderen Schulen.

Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), hat dafür Verständnis: „Die Lehrer sind überfordert.“ Auf vielen Schulhöfen und in Klassenzimmern komme es zurzeit zu „deutlichen verbalen Auseinandersetzungen“. Viele Lehrkräfte wollten nicht dazwischen geraten. „Wir brauchen mutige Lehrer und Schulleitungen, die das Thema in den Mittelpunkt stellen und den Pythagoras zur Seite“, sagt Fleischmann. In einigen Elternhäusern gebe es keine sachliche Diskussion darüber.

Überforderte Lehrkräfte

Beim Bayerischen Philologenverband (BPV) sieht man die Situation weniger kritisch. In den Lehrplänen gebe es viele Anknüpfungspunkte zum aktuellen Konflikt, erklärt eine Sprecherin und fügt an: „Die Schule ist kein gesellschaftlich-politischer Reparaturbetrieb.“ Wichtig ist es aus Sicht des BPV, die Schulen zu beraten, was von der Meinungs- und Glaubensfreiheit gedeckt ist und was nicht. Anders als an Berliner Schulen ist etwa das Tragen von sogenannten Palästinensertüchern in Bayern nicht verboten.

Auch das Kultusministerium verweist auf die Lehrpläne, in denen Antisemitismus, Holocaust und Nahostkonflikt behandelt werden und aus Sicht des Ministeriums genug Raum für Diskussionen bieten. Dazu gebe es viele aktuelle Fortbildungs- und Materialangebote für Lehrkräfte. Das Ministerium hatte die Schulen auch unmittelbar nach dem Hamas-Angriff dazu aufgerufen, die Entwicklung zu thematisieren. So erreiche man auch migrantische Schulkinder aus dem muslimisch-arabischen Kulturkreis, erklärt eine Sprecherin. Speziell für sie gibt es außerdem Workshops, in deren Rahmen antisemitische Einstellungen reflektiert werden sollen.

Von einer Verfassungsviertelstunde pro Woche, wie sie Ministerpräsident Markus Söder (CSU) für die Schulen angekündigt hat, halten die befragten Lehrkräfte aber genauso wenig wie die Verbände. Der Tenor: Zu wenig Zeit, lieber bestehende Formate ausweiten. Wie das Format aussehen soll, ist ohnehin noch nicht bekannt. „Die Umsetzung wird derzeit erarbeitet“, heißt es dazu nur aus dem Kultusministerium.
(Thorsten Stark)

 

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