Politik

Im Wesentlichen speist sich das Fahrverbot aus den Messwerten auf der Landshuter Allee – die allerdings als bundesweit höchste Schadstoffbelastungsstelle gilt. (Foto: dpa/Oliver Weiken)

27.01.2023

Der ÖPNV als Alternative? Schön wär’s!

Rund 80 000 Fahrzeuge dürfen ab Februar nicht mehr in den Münchner Innenraum – Handwerksbetriebe erhalten zwar Ausnahmegenehmigungen, aber womöglich nur für ein Jahr

Natürlich ist das ab 1. Februar 2023 ab dem Mittleren Ring geltende Dieselfahrverbot der Stadt München eine Frechheit – weil es wieder vor allem diejenigen trifft, die keine andere Wahl haben und sich keinen neuen saubereren Verbrenner (aktueller Preis: ab 40 000 Euro) leisten können: berufsbedingt Pendelnde. Betroffen sind schätzungsweise 80 000 Personen, die Fahrzeuge der Schadstoffklasse Euro 4/IV oder schlechter nutzen.

Auch für die etwa 20 000 betroffenen Handwerksbetriebe im Münchner Umland kommt das Fahrverbot zur Unzeit. Erst die Lockdowns während der Pandemie, nun die explodierenden Energie- und Materialpreise, dazu die schon länger währende Personalnot (die Pendelnden sind ja ihre Beschäftigten) sowie gestörte Lieferketten: All das macht vor allem kleineren Unternehmen das wirtschaftliche Überleben immer schwerer. Zahlreiche Betriebe werden wohl aufgeben müssen.

Kommunikativ ist die Aktion ein Desaster

Zu den klassischen Transportfahrzeugen gibt es derzeit auch keine überzeugende Alternative. Da hilft es auch nicht, wenn die Münchner Stadtverwaltung ihnen sowie den Lieferdiensten, den Menschen mit Behinderung, den Schichtdienstleistenden und Anwohnenden vorerst unbürokratische Ausnahmen zubilligt. Denn sind die EU-Grenzwerte für Stickstoffdioxid bis zum März des Jahres 2024 noch immer nicht im grünen Bereich, werden die Ausnahmen ungültig. Und dann muss schnell eine Lösung her.

Und es ist auch nicht super hilfreich, wenn man wie Münchens Zweite Bürgermeisterin Katrin Habenschaden (Grüne) einfach zum Umstieg auf den ÖPNV rät. Denn MVG und MVV werden immer teurer – und immer schlechter. Mitte Dezember 2022 erfolgte eine Preiserhöhung von 6,9 Prozent, ein Jahr davor waren es 3,4 Prozent. Doch zu den Stoßzeiten am Morgen und am späten Nachmittag sind die völlig überfüllten S-Bahnen eine regelrechte Zumutung; mitunter muss man von mancher Endhaltestelle bis zum Marienplatz aufgrund viel zu weniger Sitzplätze mehr als eine Stunde stehen. Größeres oder sperriges Gepäck mitzunehmen ist ohnehin eine Unmöglichkeit.

Der aktuelle Hinweis aus dem Rathaus, dass man zum Warentransport innerhalb des Mittleren Ringes Lastenräder nutzen könne, überzeugt auch nicht. Eine Entschuldigung von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) für diesen Stadtratsbeschluss gab es auch nicht. Immerhin: Die Fraktion von SPD und Volt will die Gebühren für die Ausnahmegenehmigung nun von 200 auf 50 Euro senken, Sozialleistungsbeziehende sollen 10 Euro bezahlen. 

Initiiert hat das Ganze jedoch nicht die Landeshauptstadt. Sondern die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die mit ihrem Geschäftsmodell von Abmahngebühren zum Kreuzzug gegen den Pkw geblasen hat und bundesweit Kommunen mit Klagen überzieht. Und die bayerische Staatsregierung blieb untätig angesichts der über die Jahre immer schlechter werdenden Luftwerte. Schon lange verstößt München gegen EU-Grenzwerte bei den Schadstoffen. Die Landshuter Allee beispielsweise gilt als die am meisten belastete Straße der Republik. Immer wieder hatten Gerichte geurteilt, dass der Freistaat etwas gegen die hohen Stickoxidwerte unternehmen muss.

Doch die Staatsregierung machte sich einen schlanken Fuß – um dann im Sommer 2022 zu beschließen, dass fortan in allen Städten Bayerns mit mehr als 100 000 Bewohnenden die Zuständigkeit für die Luftreinheit auf die jeweilige Kommune übergeht. „Das war schon echt hinterfotzig“, meint ein führender oberbayerischer CSUler im Münchner Speckgürtel.

Man hätte jahrelang viel tun können, um die Luftqualität zu verbessern und ein generelles Fahrverbot abzuwenden – beispielsweise durchgehend Tempo 30, was niemanden einen Cent gekostet hätte. Doch Tempolimits in jedweder Form sind der CSU schon immer ein Gräuel. Derweil saß die klagende DUH der Landeshauptstadt im Nacken und ein Vergleich musste möglichst schnell gefunden werden. Wäre die Stadtregierung untätig geblieben, hätte die DUH vor Gericht womöglich ein noch schärferes Fahrverbot erzwungen – mit Fahrverboten auch außerhalb des Mittleren Ringes. Grundsätzlich freuen sich die Grünen aber über das Verbot. 

 Natürlich ließ der Protest nicht lang auf sich warten. „Der Vorschlag geht zur falschen Zeit in die falsche Richtung“, kritisiert der ADAC in einem offenen Brief an OB Reiter. Die CSU versucht zwar, aus dem Verbot politisch Kapital zu schlagen, geht dabei aber nicht sehr geschickt vor. Ihr aus dem Münchner Stadtteil Bogenhausen stammender Landtagsabgeordneter Robert Brannekämper – der nach eigenen Angaben einen zehn Jahre alten Landrover fährt – kündigte im Dezember 2022 mit viel Tamtam eine Klage gegen das Fahrverbot an. Eine Rückfrage in seinem Büro ergab aber, dass diese Klage bis Redaktionsschluss noch gar nicht eingereicht wurde.

„Demonstrationen und ein Dringlichkeitsantrag“

Richtig mobil macht dagegen die AfD. Man werde „das geplante Dieselfahrverbot nicht klaglos hinnehmen, sondern auf allen Ebenen bekämpfen“, kündigte der verkehrspolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Uli Henkel, an. Dazu gehören für Henkel Demonstrationen sowie „ein Dringlichkeitsantrag im Landtag, in dem wir die Unverhältnismäßigkeit dieser Maßnahme, die einer Enteignung gleichkommt, aufzeigen“.

Wobei es politisch gefährlich sein kann, sich gegen das Dieselfahrverbot zu wehren. In der SZ wurde eine Protestveranstaltung am vergangenen Wochenende in Milbertshofen als „verschwörungsideologisch geprägter Aufmarsch“ mit „antisemitischen Chiffren“ bezeichnet.

Obendrein soll, wenn die von der EU festgesetzten Stickstoffdioxid-Grenzwerte im Laufe dieses Jahres nicht eingehalten werden können, das Fahrverbot ab Oktober 2023 auch für Diesel der Schadstoffklasse Euro 5/V erfolgen – unabhängig davon, ob sie eine grüne Plakette auf der Windschutzscheibe haben.

Die City-Partner – das ist der Verband der Münchner Innenstadthändler*innen – halten dem entgegen, dass die Luftqualität zuletzt besser geworden sei. Das Fahrverbot werde ja nur angeordnet, „um die Messwerte an einer einzigen Stelle in den Griff zu bekommen“, schimpft Verbandssprecher Wolfgang Fischer – eben an der Landshuter Allee, einer mehrspurigen Innenstadtstraße mit Dauerstau. (André Paul)
 

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