Politik

Viele der alten Menschen in Heimen sind während der Corona-Krise lethargisch geworden. (Foto: dpa/Frank Molter)

16.04.2021

Der Rest ist Schweigen

Die meisten Menschen in den Altenheimen sind geimpft – und doch müssen sie vergeblich auf Normalität warten

Hin und wieder gibt es sie ja, die positiven Nachrichten. Zum Beispiel die, dass über 80 Prozent der Alten- und Pflegeheimbewohner*innen in Bayern erst- und zweitgeimpft sind. Auch 60 Prozent der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bereits immunisiert. Klingt großartig. Ein Aufatmen könnte nun durch die rund 1500 bayerischen Alten- und Pflegeheime gehen. Dort haben Corona-Ausbrüche besonders vielen Menschen das Leben gekostet. Und wer gesund blieb, hatte unter den strikten Hygienevorschriften zu leiden: Abstand halten, Maske tragen, für alleinstehende alte Menschen, die nicht selten auch unter Demenz leiden, war dies nur schwer zu ertragen. Berührung ist für sie oft die letzte ihnen verbliebene Art der Kommunikation. Diese war ihnen nun verwehrt.

Doch auch jetzt, wo die Gefahr durch das Virus in den Heimen weitgehend gebannt scheint, werden die strengen Regeln nicht aufgehoben. Je nach Heim und Bundesland haben die alten Menschen nun zwar die Möglichkeit, häufiger Besuch zu empfangen und an Gruppenangeboten teilzunehmen. Die Abstandsregeln und das Maskengebot bleiben dagegen meist unangetastet.

In Bayern habe sich durch die Immunisierung rein gar nichts verbessert, sagt Nicole Czwielong, Altenheim-Mitarbeiterin aus Coburg, die schon im Herbst mit zwei Kolleginnen eine Petition beim Bayerischen Landtag eingereicht hat. Darin hatten sie gefordert, das Abstandsgebot innerhalb eines Wohnbereichs eines Altenheims fallen zu lassen, also in der Regel für Gruppen von rund 20 bis 30 Personen. Man lasse die Heimbewohner sehenden Auges vereinsamen, schrieben sie damals.

Jetzt, fünf Monate später, sei die Situation noch immer dieselbe. Nach wie vor würden die Bewohner*innen durch Plexiglasscheiben voreinander „geschützt“. Sie müssten alle Masken tragen und vor allem Abstand halten.

Das Gesundheitsministerium prüft. Und prüft. Und prüft

Die Petition wurde mittlerweile im Gesundheitsausschuss des Landtags mit den Stimmen der Koalitionspartner CSU und Freie Wähler sowie der FDP zurückgewiesen. Dass sich die Politik in besonderem Maße um die Gesundheit dieser stets als besonders vulnerabel bezeichneten Gruppe sorgt, daran mag Czwielong inzwischen kaum mehr glauben. Zumindest nicht, wenn es um die seelische Gesundheit der alten Menschen geht.

So ist aus einem oberfränkischen Heim zu hören, dass dort von etwas mehr als 100 Bewohnern mittlerweile bis auf zwei alle immunisiert seien – entweder, weil sie bereits infiziert waren, oder entsprechende Impfungen erhalten haben. Auch von den Mitarbeitenden hätten alle ein Impfangebot bekommen. Geändert habe sich dadurch allerdings nichts für die alten Menschen.

Nach den Gründen für die Beibehaltung der strikten Regeln befragt, verweist eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums darauf, dass es keinen hundertprozentigen Schutz gebe und man nicht wisse, ob eine Impfung die Weitergabe des Virus verhindere. Die Hinweise darauf sind jedoch recht deutlich, und ohnehin wäre die Infektionsgefahr, die von den geimpften Heimbewohnerinnen und -bewohnern ausgehen könnte, sehr gering, ihre Kontakte zu nicht Geimpften sind überschaubar.

Auf die BSZ-Nachfrage, ob es angesichts dieser geringen Gefahr vertretbar sei, die gravierenden Folgen für die psychische Gesundheit der Menschen in den Heimen in Kauf zu nehmen, heißt es aus dem Ministerium: „Im einrichtungsindividuellen Schutz- und Hygienekonzept muss, insbesondere hinsichtlich der Besuchsregelung, zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der pflege- und betreuungsbedürftigen Menschen und den gerade in stationären Einrichtungen notwendigen Maßnahmen des Infektionsschutzes eine fachliche und ethische Güter- und Interessenabwägung (Risikobewertung) getroffen werden.“ So abstrakt, so richtig. Nur: Eine Antwort, warum diese Güterabwägung so eindeutig zuungunsten der alten Menschen ausfällt, ist es nicht.

Der SPD-Landtagsabgeordneten Ruth Waldmann indes fehlt jedes Verständnis für die rigide Haltung der Staatsregierung. „Die Impfungsrate verändert die Lage entscheidend. Darauf muss man doch reagieren und endlich dieses Stück Freiheit und Leben wieder zurückgeben“, sagt die stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. „Es ist in der Auswirkung wirklich grausam für die Bewohnerinnen und Bewohner, wenn die Kontakte derart beschränkt sind.“

Zwar gibt es Heime, in denen die Vorgaben aus München etwas großzügiger ausgelegt und auch Begegnungen ohne Mindestabstand zwischen den Bewohnern ermöglicht werden. Doch Heimleitungen, die dieses Risiko eingehen, sind selten. Waldmann kann das bis zu einem gewissen Grad nachvollziehen: „Die Heimleitungen sind in der ganzen Pandemie mit ziemlich viel Verantwortung alleingelassen worden. Kein Wunder, dass manche auf Nummer sicher gehen.“

Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) ließ jüngst wissen, das Ministerium prüfe „fortschreitend, ob aufgrund des aktuellen Infektionsgeschehens zugunsten menschlicher Nähe auf den Mindestabstand von 1,5 Metern zwischen den Bewohnerinnen und Bewohnern verzichtet werden kann“. Doch während die Politik prüft und prüft, vereinsamen die Menschen in den Heimen zunehmend. Menschen, denen ohnehin nicht mehr allzu viel Zeit bleibt. Eine Beobachtung, die nicht nur Altenpflegerin Czwielong macht: In den Heimen breite sich ein unheimliches Schweigen aus. Wo es früher noch lebhaft zuging, kämen jetzt Gespräche zwischen den alten Menschen unter den erschwerten Bedingungen nicht mehr zustande. Czwielong: Selbst bei Gruppenangeboten säßen sie nur noch lethargisch herum, es habe sich inzwischen eine depressive Stimmung breitgemacht.
(Dominik Baur)

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