Politik

Mit so einem Meißel wird gebohrt, um das heiße Wasser in der Tiefe anzuzapfen. (Foto: dpa/Uwe Anspach)

19.08.2022

Der Schatz in der Tiefe

Ein Großteil der Wärme, die der Freistaat braucht, könnte Fachleuten zufolge durch Geothermie abgedeckt werden

Energiewende: Da dachten viele bislang vor allem an Wind und Photovoltaik. Es ging um Strom, aber nicht um Wärme. Denn Erdgas war billig und Wärme im Überfluss vorhanden. Seit Putins Angriffskrieg ist jedoch auf den Energieträger Gas kein Verlass mehr. Geothermie gilt auf einmal als Hoffnungsträger – und das zu Recht. Denn die Vorteile der Erdwärme liegen auf der Hand: Der Flächenverbrauch ist gering und eine Versorgung rund um die Uhr möglich. Weder Lärm noch Emissionen entstehen. Die Anlagen arbeiten unabhängig von Sonne, Wind und Klima.

Und: Erdwärmeanlagen können nicht nur wärmen. Sie können auch kühlen. Genutzt wird dabei die natürliche Kälte des Wassers, das in der Tiefe fließt. Das ersetzt klassische Klimaanlagen und spart Strom.

Die Furcht wiederum, Geothermie könne Erdbeben provozieren, halten Fachleute für unbegründet – die richtige technische Umsetzung und Überwachung vorausgesetzt. „Fälschlicherweise“, heißt es dazu vonseiten der Geothermie-Allianz Bayern, an der fünf Universitäten beteiligt sind, werde Geothermie als Risikotechnologie eingeschätzt. Grund dafür sei auch ein Bohrunfall in Staufen. Dort allerdings sei „geologisches Allgemeinwissen“ ignoriert worden.

Großes Potenzial

Zwar ist es nicht überall möglich, brodelnd heißes Thermalwasser aus mehreren Tausend Meter Tiefe zu fördern, aber das Potenzial ist groß: Ein Viertel des Wärmebedarfs könnte Tiefengeothermie deutschlandweit etwa mittels Fernwärmenetzen decken, schätzen Institute der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft in einer aktuellen Roadmap. Aber nicht nur das: Mit einem zweiten geothermischen Verfahren, der oberflächennahen Geothermie, ließen sich bis zu 75 Prozent der Bestandsgebäude versorgen und Öl- und Gasheizungen ersetzen, erklären Fachleute der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie IEG in einer weiteren Studie.

In Oberbayern hat man die Attraktivität von Geothermie schon vor Jahren erkannt und Nägel mit Köpfen gemacht. Mehrere Anlagen pumpen in München und dem Umland heißes Wasser aus der porösen Gesteinsschicht des kilometertiefen unterirdischen Molassebeckens. Sie befördern es an die Oberfläche und versorgen damit via Wärmetauscher und Fernwärmenetz bereits Tausende von Haushalten, Schulen, Firmen und Einrichtungen.

Europas größte Anlage ging im vergangenen Jahr in München-Sendling in den Probebetrieb. 80 000 Haushalte sollen künftig davon profitieren. „In tiefer Geothermie ist Bayern eindeutig Spitzenreiter“, sagt Rolf Bracke, Institutsleiter der Fraunhofer IEG, der auch die Landesregierung berät. „Und München ist ein Leuchtturm nicht nur in Deutschland, sondern europaweit.“

SPD fordert massiven Ausbau der Geothermie

Ausruhen sollte man sich auf diesen Lorbeeren nicht. Zumal auch der Norden Bayerns, etwa Erlangen und Nürnberg, durchaus Geothermiepotenzial hat, wie Bracke erklärt. Nicht nur Florian von Brunn, Chef der SPD-Landtagsfraktion, fordert darum die Staatsregierung auf, den Ausbau der Geothermie „massiv“ zu beschleunigen. Auch Fachleute drängen die Politik zum Handeln. Knapp die Hälfte der Wärme, die der Freistaat braucht, könnte er durch die Tiefengeothermie decken, sagte zum Beispiel der Physiker und Geothermie-Pionier Erwin Knapek jüngst der SZ.

Zwar hat die Bundesregierung gerade ein Programm aufgelegt, das es Kommunen ab September ermöglicht, geothermische Anlagen zu 40 Prozent fördern zu lassen. Aber das allein genügt nicht. Denn Geothermie ist teuer. Eine Anlage kann rund 40 Millionen Euro kosten. Und selbst die genauesten Berechnungen garantieren nicht, dass man in Tausenden Metern Tiefe auf die Menge heißen Wassers stößt, die benötigt wird, um rentabel zu wirtschaften.

Finanzstarke Investoren dürften sich für Geothermie kaum interessieren lassen. Die Gewinnmargen sind zu klein. Bleiben die lokalen Stadtwerke, die das Ganze zu stemmen haben. „Es wäre fatal für das Stadtwerk einer kleineren Kommune, eine zehn Millionen teure Bohrung zu machen, ohne fündig zu werden“, so Bracke. „Darum wird jetzt kurzfristig eines von zwei Instrumenten benötigt, die der Freistaat schaffen muss: ein Fonds, aus dem sich die Stadtwerke bedienen können, oder eine Versicherung, die das Risiko absichert.“

Verfahren straffen

Zudem müssten Genehmigungsverfahren gestrafft und Vergabeverfahren beschleunigt werden. Denn von der Idee bis zur Umsetzung dauert es bisher im Durchschnitt sechs Jahre, so die Geothermie-Allianz Bayern.

Dringenden Handlungsbedarf sieht Bracke aber nicht nur bei der tiefen, sondern auch bei der oberflächennahen Geothermie. Hier wird Wasser aus einer Tiefe von höchstens 400 Metern gewonnen. Vor allem Mehrfamilienhäuser können so mit Wärme versorgt werden. „Bayern liegt da im Vergleich mit anderen Bundesländern allerdings ziemlich weit hinten“, so Bracke. Der Grund: „Eine sehr restriktive Genehmigungspraxis für Erdwärmepumpen.“ Dass ein Merkblatt aus dem CSU-geführten Umweltministerium anordnet, man dürfe für Oberflächengeothermieanlagen nicht durch den ersten Grundwasserleiter bohren, hält er für „anachronistisch“.

Die Befürchtung, die Bohrungen verschmutzten das Grundwasser, sei unnötig: In der Tiefengeothermie werde schließlich regelmäßig sehr viel tiefer gebohrt. „Wenn man nur 50 Meter tief bohren darf, kann man vielleicht ein Neubaugebiet versorgen“, erklärt Bracke. „Aber das genügt nicht, um Bestandsgebäude auf Erdwärme umzustellen.“ Seine Lösung: „Der Rechtsrahmen müsste an den aktuellen Stand der Technik angepasst und die Genehmigungspraxis verändert werden.“
(Monika Goetsch)

 

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