Politik

Die Pandemie legte nicht nur an Schulen viele Probleme bei der Digitalisierung offen. (Foto: dpa/Mohssen Assanimoghaddam)

21.01.2022

"Der Staat muss bei der Digitalisierung weiterdenken"

Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) über ein Verbot von Telegram, die Verlängerung der Luca-App-Lizenz und ihre Karrierepläne

In vielen Bereichen kommt die Digitalisierung in Bayern nur stockend voran. Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) misst daher jetzt die Fort- und gegebenenfalls Rückschritte in Sachen digitaler Transformation in den einzelnen Ministerien und Kommunen. Für schwierige Fälle gibt es ein Beschleunigungsbudget.

BSZ: Frau Gerlach, sagt Ihnen die Durchwahl 242 in Ihrem Ministerium etwas?
Judith Gerlach: (überlegt) Das ist unsere Faxnummer. Es gibt Menschen, die uns auf diesem Weg erreichen wollen. Für mich ist das auch in einem Digitalministerium völlig in Ordnung. Entscheidend ist doch, dass wir darüber hinaus komplett digital erreichbar sind und auch so arbeiten. Das tun wir im Digitalministerium, deshalb konnten wir zum Beispiel zu Beginn von Corona über Nacht ins Homeoffice wechseln.

BSZ: Was sagt es über die Digitalisierung in Bayern aus, wenn Gesundheitsämter in einer Pandemie ihre Daten per Fax übermitteln müssen?
Gerlach: Vor allem in den Gesundheitsämtern ist es wichtig, die aktuelle Situation digital abzubilden. Zu Beginn der Pandemie gab es dazu noch keine passende Software. Deshalb haben wir bereits im Sommer 2020 als Übergangslösung das Bayerische System für Infektionskettenmanagement an den Start gebracht, um die Kontaktnachverfolgung digital erfassen zu lassen. Später stand dann mit der Software Sormas auch eine bundesweite Lösung zur Verfügung. Gerade im medizinischen Bereich braucht es mehr digitale Lösungen, beispielsweise bei der Patientenakte. 

BSZ: Für Abhilfe bei der Kontaktnachverfolgung sollte auch die fünf Millionen Euro teure Luca-App-Lizenz sorgen, die direkt mit den Gesundheitsämtern verbunden ist. Wird die Lizenz trotz der Kritik von Datenschutzfachleuten verlängert?
Gerlach: Das hängt vom Gesundheitsministerium ab. Wenn die Experten dort eine Kontaktnachverfolgung mit Adresse etwa in der Gastronomie weiter für sinnvoll erachten, reicht die Corona-Warn-App nicht aus. Dann brauchen wir Luca oder eine andere App, die Kontaktdaten erfasst. Die Entscheidungsfindung läuft aktuell. 

BSZ: Aus dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur unter Andreas Scheuer (CSU) ist das Bundesministerium für Digitales und Verkehr geworden. Ein Fortschritt?
Gerlach: Ich hoffe es, weil wir den dringend brauchen. Ich halte es aber für eine Mogelpackung, nur das Digitale vor den Verkehr zu setzen. Gerade die Ampel-Parteien hätten die Möglichkeit gehabt, alte Zuständigkeiten aufzubrechen. Man hätte zum Beispiel die digitale Verwaltung aus dem Innenministerium holen und in einem schlagkräftigen Digitalministerium vereinen können. 

BSZ: In Bayern sind die digitalen Zuständigkeiten doch auch auf viele andere Ministerien verteilt.
Gerlach: Wir sind der Thinktank der Staatsregierung. Es gibt keinen Bereich, der uns nicht berührt. Es würde keinen Sinn ergeben, alle Digitalthemen aus den anderen Ministerien rauszulösen. Wir geben strategische Hinweise und unterstützen die anderen Ministerien bei wichtigen Digitalprojekten. 

BSZ: Sprechen Sie auch mit den anderen Ministerinnen und Ministern? Bayern hat von den 800 Millionen Euro im Rahmen des Digitalpakts Schule erst rund ein Viertel der Mittel vom Bund abgerufen. Viele Schulen haben weder WLAN noch Leihgeräte für das Homeschooling. Auch bei der Internetplattform Mebis des Kultusministeriums lief es lange nicht rund.
Gerlach: Wir sind ständig im Gespräch. Wobei das Geld beim Digitalpakt von den Kommunen auch abgerufen werden muss. Das ist leider sehr bürokratisch. Wir haben schon häufiger in Richtung Bund gefordert, das zu vereinfachen. Beim Thema Schul-Cloud sind wir dabei, klar. Der Staat muss weiterdenken – auch im Schulbereich.

BSZ: Ihr Haus führt jetzt ein Digitalmonitoring durch, das Fort- und gegebenenfalls Rückschritte in Sachen digitaler Transformation in den Ministerien aufzeigt. Die Pläne dafür lagen schon lange in der Schublade. Haben die anderen Ministerinnen und Minister aus Sorge vor schlechten Werten gebremst?
Gerlach: Es ging mir nicht nur darum, das Digitalmonitoring, sondern das Gesamtpaket durchzubekommen. Unser Haus wird um eine Digitalagentur für die Ministerien erweitert, ein Digitalrat wird große Projekte miteinander verknüpfen, und das Beschleunigungsbudget hilft, wenn der Zeithorizont für Projekte zu lang wird. Einzelne Punkte will ich gar nicht herausgreifen, denn das Gesamtpaket macht die Musik.

„Bei jüngeren Frauen in gehobener Position wird gern zunächst mal die Kompetenz pauschal angezweifelt“

BSZ: Sie sind als Filmministerin auch für Kinos zuständig. Die Staatsregierung hatte Lockerungen für die Kulturbranche in Aussicht gestellt. Jetzt dürfen trotz 2G plus aber weiterhin nur 25 Prozent der Plätze belegt werden, während Gaststätten bei 2G voll belegt sein dürfen. Hat Sie die Entscheidung enttäuscht?
Gerlach: Es wurde nur entschieden, vorerst nicht zu lockern. Alles andere wäre in einer Phase steigender Inzidenzen wegen Omikron schwierig gewesen. Wir wollen auf Sicht fahren. Das heißt aber nicht, dass wir die Kulturschaffenden nicht im Blick haben. Jetzt warten wir mal die Entwicklungen bis zur nächsten Ministerpräsidentenkonferenz ab.

BSZ: CSU-Chef Markus Söder hat ein Verbot des Nachrichtendiensts Telegram gefordert. Sie klangen in diesem Punkt zurückhaltender.
Gerlach: Telegram abzuschalten kann nur die letzte Möglichkeit sein. Unser Problem sind nicht die Gesetze, sondern der Vollzug gegenüber Telegram. Und dabei braucht es die Schlagkraft der EU. Ich erwarte, dass die europäische Spitzenpolitik endlich den Kontakt zu Behörden der Vereinigten Arabischen Emirate herstellt, wo Telegram seinen Sitz hat. Als Digitalministerin in Bayern kann ich da konkret wenig ändern. Ich habe aber meine Kontakte zur dortigen Ministerin für fortgeschrittene Technologie für ein persönliches Schreiben genutzt und auf Unterstützung der deutschen Behörden gedrängt.

BSZ: Sie setzen sich auch für Löschfristen für Hass oder Hetze im Netz ein. Bekommen Plattformen wie zum Beispiel Facebook nicht sehr viel Macht, wenn sie zunehmend über die zu zensierenden Inhalte entscheiden?
Gerlach: Entscheidend ist, dass wir die Rechte der Nutzer stärken. Daher muss es klar definierte Löschfristen geben. Die geplante europäische Regelung im Digital Services Act droht hier hinter das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz zurückzufallen. Ich habe zudem die Einrichtung einer Stelle vorgeschlagen, bei der sich Nutzer beschweren können. Wir brauchen hier Beschwerdemöglichkeiten in der jeweiligen Landessprache. Die Plattformbetreiber verdienen massig Geld, das kann man schon erwarten. Außerdem sollten sie die Empfehlungsalgorithmen transparent darstellen, also welche Beiträge gepusht werden.

BSZ: Sie gelten im politischen Alltag als direkt und schlagfertig. Kommen damit alle in Ihrer Partei gut klar?
Gerlach: Es war schon immer meine Art, direkt und ehrlich zu kommunizieren und angstfrei in Diskussionen reinzugehen. Dadurch verschafft man sich Respekt. Der ist kein Automatismus, wie teilweise bei anderen. Bei jüngeren Frauen in gehobener Position wird gern zunächst mal die Kompetenz pauschal angezweifelt. Ich hatte schon immer Spaß daran, diejenigen eines Besseren zu belehren. 

BSZ: Ministerpräsident Söder wird wohl bald sein Kabinett umstellen. Welcher Posten würde Ihnen gefallen?
Gerlach: (lacht) Ich bin sehr happy mit meinem. Und das ist keine Floskel. Das Thema Digitalisierung ist nicht nur technisch, sondern betrifft alle Lebensbereiche. Das war der Grund, warum ich in die Politik gegangen bin. Ich kenne keinen Job, der so vielfältig und horizonterweiternd ist. (Interview: David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2023

Nächster Erscheinungstermin:
29. November 2024

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 24.11.2023 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.