Eine typische Wahlkampfveranstaltung, das wird schnell klar, ist das hier nicht. Das liegt nicht nur am Veranstaltungsort, einer nüchternen Stadthalle in Starnberg. Während etwa die FDP zur Kundgebung auf dem Odeonsplatz in der Münchner Innenstadt einlädt und die CSU allerorten in gut gefüllte Bierzelte bittet, kann die bayerische AfD froh sein, wenn sie überhaupt irgendwo auftreten darf. In der Landeshauptstadt, das musste der Münchner AfD-Abgeordnete Uli Henkel wiederholt erfahren, canceln Gasthäuser regelmäßig bereits zugesagte AfD-Reservierungen. Weil, so erzählen es AfD-Leute übereinstimmend, Stadträte, Brauereien oder Antifa Druck auf die Wirte ausübten. „Natürlich wollen die Wirte vermeiden, dass es Zoff gibt und Gäste belästigt werden, weil unsere Veranstaltung gestört wird“, sagt ein AfD-Sprecher.
Die Paranoia der Ordner
An einem Freitagabend im September also lädt die bayerische AfD zur Wahlkampfveranstaltung in die Starnberger Schlossberghalle. Es werden rund 100 Leute kommen. Wer rein will, muss angemeldet sein – auch so eine AfD-Spezialität. Am Einlass wachen Ordner darüber, dass wirklich alle, auch die spontanen Gäste, ihre Namen in Listen eintragen. Wer sich eingetragen hat, kriegt einen blauen AfD-Kugelschreiber, einen AfD-Aufkleber und ein Mineralwasser in der Plastikflasche. Bier, Schweinswürstl oder Brezn gibt’s hier nicht – Stimmung kommt auch deshalb erst mal keine auf.
Wenige Meter entfernt treffen sich rund 300 Menschen bei einem „bunten Stadtfest“ . Organisiert hat die Gegenveranstaltung zur verhassten AfD ein Vorstandsmitglied der Starnberger Grünen, Christiane Krinner – wie sie sagt, „als Privatperson“. Ein Besucher der Veranstaltung in der Schlossberghalle wird sich später darüber empören, dass bei der Gegenveranstaltung ein Journalist als Redner aufgetreten ist – wie sich herausstellt, der Vorsitzende des bayerischen Journalistenverbands.
Ist das nicht ein bisserl arg paranoid, Namenslisten bei einer Wahlkampfveranstaltung? Die AfD-Ordner zucken mit den Schultern. „Leider notwendig“, sagen sie. Immer wieder gebe es Leute, die kämen, um Randale zu machen. Namenslisten, so glaubt man, erhöhen die Hemmschwelle. Ihren eigenen Namen wollen sie auf keinen Fall nennen, jedenfalls soll er nicht in der Zeitung stehen; sie haben Angst. Der jüngere erzählt von einem Überfall der Antifa vor zwei Jahren. Er sei in der Nähe eines AfD-Infostands an der Münchner Freiheit von fünf Leuten angegriffen worden. „Scheiß-Nazi, verpiss dich, das ist unsere Stadt“, hätten die gerufen. Das wolle er nicht noch mal erleben.
Die Arbeitgeber sollen nicht wissen, dass sie bei der AfD sind
Anonym bleiben wollen sie auch aus anderen Gründen. Ihre Arbeitgeber sollen nicht erfahren, bei welcher Partei sie sich engagieren. „Es würde im beruflichen Umfeld zu Problemen führen“, erklärt der jüngere. Er sagt: „Ein Teil der Gesellschaft glaubt, dass wir Nazis sind.“ Und, na ja, stimmt das nicht? Nichts an ihm sei nazigleich, betont der Ordner. Er ist 32 Jahre alt, seit 2014 AfD-Mitglied, stamme aus einer multikulturellen Familie, „und ich habe Freunde aus aller Welt“. Die „illegale Masseneinwanderung“ findet er aber falsch. Ebenso wie „alle wesentlichen politischen Entscheidungen“ der jüngeren Vergangenheit.
So oder ähnlich äußern sich viele im Publikum. Ein junger Handwerker in Lederhosen stöhnt: „Man soll die AfD immer doof finden, weil das angeblich Nazis sind.“ Er hält die Partei für „sehr bürgernah“. Warum? Wegen ihrer Positionen zu Klimawandel, Heizungsgesetz, Energiepolitik und Migration. „Abgelehnte Asylbewerber sollen abgeschoben werden“, verlangt der 21-Jährige und fügt an, das sei doch „eine sehr vertretbare Position“. Während er das sagt, es hat noch kein AfD-Redner das Wort ergriffen, fängt er sich einen Rüffel ein. Eine ältere Dame tritt von hinten heran und schimpft den Lederhosenmann, weil auf seinem Shirt das Logo ihres Handwerksbetriebs prangt. Das, rügt sie, sei „nicht gut“. Dabei ist sie selbst vor Ort, weil sie die AfD offenbar gut findet oder zumindest interessant. Nur wissen soll das niemand.
Ob er sich vorstellen kann, AfD zu wählen, will man von dem Junghandwerker wissen. „Eher nicht.“ Da seien „schwierige Leute“ dabei, erklärt er, Björn Höcke oder Alice Weidel. Wen er dann wählen würde: die Freien Wähler? „Ja.“ Die Grünen? „Auf keinen Fall.“
Derweil hat der erste Redner das Podium erklommen, der Landtagskandidat Alexander Neumayer. Er müht sich, gängige Vorbehalte gegen die AfD zu widerlegen. Zum Beispiel, dass sie antidemokratisch sei. Dabei, ruft Neumayer, „wird unser Parteiprogramm viel breiter diskutiert als das von anderen Parteien“. Zur Migration zitiert er unter anderem Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD), der die Einwanderung aus islamischen Ländern tatsächlich als schwierig empfand.
Kein AfD-Redner wird an diesem Abend die seltsamen Parteiforderungen wiederholen, Deutschland solle aus EU und Nato austreten. Überzeugung oder Kalkül – offenbar hat man registriert, dass die Bevölkerung das mehrheitlich nicht will.
Chrupalla kriegt Standing Ovations
Sehr wohl aber schürt man die Illusion, der Ukrainekrieg sei am Verhandlungstisch zu beenden. Obwohl Putin wiederholt betont hat, dass er das ausschließt. Parteichef Tino Chrupalla, als Wahlkampfhelfer zu Gast in Starnberg, ätzt genüsslich über die FDP-Bundespolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann, „die größte Kriegsfurie im Bundestag“. Strack-Zimmermann plädiert für einen harten Kurs gegen Putin. Da tobt der Saal. Chrupalla wird mit Standing Ovations bedacht, auch der junge Handwerker springt begeistert auf. Zuvor hat Chrupalla noch gegen die „Invasion“ illegaler Migrant*innen gewütet, die Russlandsanktionen als wirkungslos und schädlich für Deutschland gegeißelt, eine zumindest zeitweise Rückkehr zur Kernenergie gefordert und gezetert, dass die anderen Parteien „jeden Tag lügen“.
Auch Bayerns AfD-Spitzenkandidat Martin Böhm gibt sich martialisch. Man müsse hierzulande wieder „für Recht und Ordnung sorgen“, ruft er den „lieben, aufrechten Oberbayern“ zu. Eine „humane Asylpolitik“ brauche „Rechtsstaatlichkeit“. Böhm verweist unter dem Beifall der Anwesenden auf Österreich, wo man 300 Drohnen einsetze, um illegale Migration zu entdecken – mit Erfolg. Bayern dagegen habe lediglich drei Drohnen hierzu im Einsatz. Wirklich? Eine Anfrage beim bayerischen Innenministerium ergibt: Es stimmt. Böhm schmettert den Satz vom „Politikversagen auf allerhöchstem Niveau“ ins Publikum und wird begeistert beklatscht.
Wut auf die Medien
Ein Steuerberater, 69, aus Starnberg, der sich ansonsten maßvoll äußert, findet zur Migration drastische Worte. „Wir werden doch verarscht.“ Er fragt: Warum unternimmt man nichts gegen die wachsende illegale Migration? Die Lösung des Problems traut er allein der AfD zu. Deren Stigmatisierung nervt ihn. Ja, die Partei sei rechts, sagt er, rechtsradikal aber nicht. FDP, CSU? Die seien „Fähnchen im Wind“, urteilt der Mann.
So sehen das auch zwei Starnberger Unternehmer in den 50ern, die sich mal eine AfD-Veranstaltung angucken wollten. Einer sagt: „Ich will Lösungsvorschläge und nicht immer nur hören, was nicht geht.“ Und von CSU und FDP haben sie keine brauchbaren Aussagen gehört zu Wirtschaftspolitik und Migration. Auf die Frage, was sie von Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger halten, recken sie blitzartig die Daumen nach oben. Das eint sie mit sehr vielen hier im Saal: Nicht eine von der BSZ befragte Person findet Aiwanger wegen der Flugblatt-Affäre untragbar.
Und alle sind sauer auf die Medien. Bedrückend auch: Die meisten Anwesenden scheinen für die anderen Parteien verloren. Zwei elegante Damen in den 70ern erklären nach der Veranstaltung, dass sie, frustriert über die Politik der Merkel-Ära, zuletzt gar nicht mehr zur Wahl gegangen seien. „Aber diesmal wählen wir.“ Sie haben genau zugehört im Saal, betonen sie. „Alles, was gesagt wurde, stimmt.“
(Waltraud Taschner)
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