Politik

Bunte Stelen einer Selbsthilfeorganisation von verwaisten Eltern stehen auf dem Friedhof in Coburg. Zuletzt hat die Zahl der Totgeburten stark zugenommen. (Foto: dpa/David Ebener)

01.12.2022

Deutlich mehr Totgeburten

Im vergangenen Jahr kamen in Bayern 543 Kinder tot zur Welt – es ist noch unklar, welche Rolle dabei die Pandemie spielt

Schwangerschaften sind mit Risiken verbunden, nicht immer geht alles gut. Im vergangenen Jahr ist die Zahl an Totgeburten im Freistaat deutlich gestiegen. 543 Kinder wurden 2021 tot geboren, 2020 waren es 478, 2012 dagegen 303. Auf den ersten Blick scheint der Fall klar: Die Pandemie ist schuld! Es lohnt sich allerdings, genauer hinzusehen.

Denn dann wird klar: Die Zahlen sind traurig, der Anstieg ist aber weniger dramatisch, als es den Anschein hat. 2021 war nämlich nicht nur die Zahl der Totgeburten, sondern auch die der Geburten auf einem Höchststand: Bei insgesamt 134 864 Entbindungen kam es in 0,4 Prozent der Fälle zu Totgeburten, so das Bayerische Landesamt für Statistik. In den vergangenen 20 Jahren lag der Prozentsatz an Totgeburten in Bayern durchgängig zwischen 0,3 und 0,4 Prozent. Ähnliches zeigen auch die vorläufigen Daten für 2022.

Was genau hinter diesen Zahlen steckt, wird nicht systematisch erfasst. „Hintergrundinformationen über die Totgebärenden liegen dem Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege nicht vor“, so eine Sprecherin. Es bestehe aufseiten der Krankenhäuser keine Meldepflicht, die über die Krankenhausplanung und Versorgungssteuerung hinausgehe.

Die allgemeinen Ursachen für Fehl- und Totgeburten sind bekannt. Es kann eine Mangelversorgung über die Plazenta vorliegen oder eine Schwäche des Gebärmutterhalses. Manche Komplikationen haben mit der Nabelschnur zu tun oder mit Fehlbildungen des Kindes, andere mit Infektionen, Alkohol, Nikotin oder Drogen. Und natürlich wirkt sich auch die Qualität der medizinischen Versorgung aus. Von herausragender Bedeutung ist das Alter der Mutter.

„Die Rate an Totgeburten ist bei uns im Haus in den vergangenen Jahren nicht statistisch messbar gestiegen“, so Christoph Scholz, Chefarzt der München Klinik, die rund 6000 Geburten pro Jahr betreut. „Dennoch nehmen wir eine Entwicklung zu höherem mütterlichen Alter und damit einhergehend höheren Risiken wahr.“

Die Mütter werden immer älter

2021 lag das Durchschnittsalter der Totgebärenden bei 32,3 Jahren, 2000 bei 30,2. Ein Sprecher des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung bestätigt auf Anfrage, dass sich die meisten Totgeburten bundesweit bei Frauen über 35 ereignen. Statistiker*innen geben allerdings zu bedenken, dass sich der deutschlandweite Anstieg von Totgeburten um 24 Prozent seit 2007 nicht nur auf das gestiegene Alter zurückführen lasse.

Was sonst könnte also dahinterstecken? Sind die Impfungen, die von der Stiko seit September 2021 für Schwangere empfohlen wurden und schon Monate zuvor erhältlich waren, doch nicht sicher? Mechthild Hofner, Vorsitzende des bayerischen Hebammenverbands, nennt die gestiegene Zahl an Totgeburten „beunruhigend“. In der Praxis werde ein noch deutlicherer Anstieg für 2022 wahrgenommen.

Die Geburtszahlen an namhaften Kliniken hätten in diesem Jahr signifikant abgenommen – bei gleichbleibenden Anmeldungszahlen. Hofner hält es darum für zielführend, nicht nur die Totgeburten zu zählen und zu analysieren, sondern auch die Früh- und Spätaborte, „mit einer höheren Anzahl an Autopsien“.

Ob sich die Zahl der Fehlgeburten während der Pandemie verändert hat, ist allerdings schwer zu erfassen. Aborte sind nicht meldepflichtig. Die Behauptung, Covid-19-Impfungen führten zu mehr Fehlgeburten, hält sich dennoch hartnäckig in sozialen Netzwerken. Mal wurde eine Studie der amerikanischen Gesundheitsbehörde falsch interpretiert, wie die Plattform correctiv.org in einem Faktencheck zeigt, mal sind Zahlen schlicht „erfunden“.

Aufarbeitung der Corona-Pandemie geht weiter

Unterdessen geht die Aufarbeitung der Corona-Jahre weiter. Im kommenden Jahr soll eine Beobachtungsstudie an der Berliner Charité zur Sicherheit der Impfstoffe in der Schwangerschaft für weitere Klarheit sorgen. Daten sammelt auch das nationale Cronos-Register der Deutschen Gesellschaft für perinatale Medizin. Eine Auswertung zeigt laut Deutscher Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, dass die Impfung das Risiko, stationär oder intensivmedizinisch behandelt werden zu müssen, für Schwangere deutlich reduziert hat. „Auch mussten geimpfte Infizierte seltener aufgrund von Covid-19 entbunden werden“, heißt es in dem Bericht.

Bleibt die Frage, ob mangelhafte medizinische Versorgung die Zahl der Totgeburten beeinflusst haben könnte. Chefarzt Scholz betont für seine Klinik, was generell im Freistaat gelten dürfte: „Wir haben es geschafft, dass die Versorgungsstrukturen auch unter den teils enormen Belastungen der Pandemie immer intakt geblieben sind.“

Auf internationaler Ebene sieht das anders aus: „Es gibt Gesundheitssysteme, in denen unter der Last der Pandemie gerade die Schwangerenvorsorge eingebrochen ist“, sagt Scholz. Dies habe einen messbaren Anstieg der Totgeburtenrate und mütterlicher Todesfälle zur Folge gehabt. Besonders betroffen seien Schwangere gewesen, die zugleich unter Erkrankungen wie Bluthochdruck oder Diabetes litten.

„In der Delta-Welle zeigte sich ein Zusammenhang zwischen einer Plazenta-Entzündung als mögliche Ursache für Totgeburten bei nicht gegen Sars-CoV-2 geimpften Schwangeren“, so Scholz. „Dies sollte uns eine Lehre sein, dass eine stabile Schwangerenvorsorge kein Spielball für externe Interessen jedweder Art sein darf.“ (Monika Goetsch)
 

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