Politik

Gute Pflege- und Altenheime sind nicht billig. (Foto: dpa/Waltraud Grubitzsch)

26.08.2022

Die Angst vor dem Kosten-Tsunami

Der Eigenanteil für einen Pflegeplatz stieg zuletzt spürbar – zugleich könnten die Beiträge explodieren

Der demente alte Herr verwechselt immer mal wieder die Küche mit dem Badezimmer. Die 80-Jährige ist gerade zum zweiten Mal gestürzt. Bisher ist zu Hause alles irgendwie gut gegangen. Aber was, wenn die beiden ins Heim müssen? Wie soll man das bezahlen? Die Sorge, gerade in den letzten, den schwächsten Jahren des Lebens nicht über die Runden zu kommen, ist berechtigt: Die Kosten für die vollstationäre Pflege sind weiterhin hoch. Die Pflegeversicherung, in die man ein Berufsleben lang einzahlt, deckt diese nur zum Teil ab. Den Rest bezahlen die Pflegebedürftigen selbst.

Seit Januar soll ein monatlicher Leistungszuschlag die Lage entspannen. Denn immer wieder gab es in der Vergangenheit Klagen, der Eigenanteil sei zu hoch, weshalb die Politik schließlich versuchte, Abhilfe zu schaffen. In bayerischen Pflegeheimen werden im ersten Jahr 56 Euro monatlich, im zweiten 279 Euro, im dritten 502 Euro und ab dem vierten 781 Euro zugeschossen.

Doch wer dadurch auf eine gewisse Entlastung hoffte, wurde enttäuscht: Da der Zuschlag nach Aufenthaltsdauer gestaffelt ist, greift er so richtig erst, wenn jemand sehr lange im Heim lebt.
Und: Trotz der Zuschläge sind die Kosten für die Pflegeheimbewohner*innen zuletzt gestiegen. Die durchschnittliche Eigenbeteiligung für einen Platz im Pflegeheim lag im vergangenen Jahr bei 2126 Euro, aktuell ist sie sogar gestiegen: 2182 Euro sind zu bezahlen, wie die bayerische Landesvertretung des Verbands der Ersatzkassen vdek erklärt. Bereits sechs Monate nach seiner Einführung sei der Zuschlag wieder aufgezehrt, beklagt darum der vdek. Er führt die fatale Entwicklung sowohl auf gestiegene Lebenshaltungs- und Energiekosten, als auch auf höhere Löhne der Heimbeschäftigten zurück. Für Häuser, die ihre Arbeitskräfte bisher untertariflich bezahlt haben, wird es am 1. September abermals teurer. Ab dann schreibt nämlich der Gesetzgeber vor, Pflege- und Betreuungskräfte auf Basis von Tarifverträgen zu bezahlen.

Hinzu kommt: Coronabedingte Kosten oder Verluste können seit dem 1. Juli nicht mehr geltend gemacht werden, der sogenannte Pflegeschutzschirm ist ausgelaufen. Der Präsident des Verbands der privaten Pflegeanbieter, Thomas Greiner (AGVP), warnte gerade erst vor einem „Kosten-Tsunami“ im Bereich der Pflegeheime. Greiner fürchtet, dass Menschen in stationären Einrichtungen um bis zu 1000 Euro pro Monat mehr bezahlen müssen. Derzeit liegt der durchschnittliche Eigenanteil in Bayern bei 1070 Euro.

Die Pflegeversicherung schwächelt derweil. Wie sie für die wachsenden Mehrkosten aufkommen soll, ist unklar. Die Beiträge erhöhen? Die Beitragsbemessungsgrenze anheben? Steuergelder hineinpumpen? Eine neue Finanzierungsgrundlage für die Pflegeversicherung zu schaffen, gehört zu den Aufgaben von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), um die man ihn nicht beneidet.

Die Aussichten für Bayern sind düster

2021 hat die Pflegeversicherung mit einem Defizit von 1,35 Milliarden Euro abgeschlossen. 2022 erwarten die Kassen ein Minus von gut 2,3 Milliarden Euro. Und die Ausgaben der Pflegekassen werden auch in den kommenden Jahren massiv steigen. Die Zahl der Menschen in Deutschland, die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung beziehen, sol von heute fast viereinhalb Millionen bis 2030 auf über sechs Millionen wachsen.

Bereits 2019 prognostizierte die Bertelsmann Stiftung, dass der Beitragssatz zur Pflegeversicherung von heute rund 3 Prozent bis 2050 im ungünstigsten Szenario auf knapp unter 5 Prozent steigen könnte, sofern vorher kein ergänzender Lastenausgleich zwischen den Generationen erfolgt. Das entspricht einer Steigerung um fast zwei Drittel.

Und wie geht es kurzfristig weiter? Gerade erst hat das Bundesamt für Soziale Sicherung der Pflegeversicherung ein Darlehen über eine Milliarde Euro bewilligt. „Nicht nachvollziehbar“, findet Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU). Um die „pandemiebedingte Liquiditätslücke“ zu schließen, hätte er einen Bundeszuschuss bevorzugt, den man nicht, wie das Darlehen, zurückzahlen muss. „Es darf nicht sein, dass hier einmal mehr der Beitragszahler für gesamtgesellschaftliche Aufgaben herhalten soll“, so Holetschek.

In brenzligen Lage fordert der vdek zur Entlastung der Pflegebedürftigen, die Investitionskosten künftig anders zu verteilen. Bekanntlich setzen sich die Kosten für einen Heimplatz aus drei Bereichen zusammen: aus Unterbringung und Verpflegung, Investitionen in die Infrastruktur und die Ausbildung der Beschäftigten und der Pflege selbst. Der vdek verlangt nun von den Bundesländern, in die Pflegeinfrastruktur zu investieren.

Auf Anfrage verweist das bayerische Gesundheitsministerium darauf, dass man die Herausforderung erkannt und bereits im Jahr 2019 mit der Förderrichtlinie PflegesoNah reagiert habe. Für 2022 sind dafür Haushaltsmittel in Höhe von 100 Millionen Euro veranschlagt. 29 Bauvorhaben mit insgesamt 1500 Pflegeplätzen werden gefördert. Der herkulischen Aufgabe, die es zu bewältigen gilt, wird das selbstredend nicht gerecht.

Wie groß die Entlastung ist, die bei den Bewohnenden der Einrichtungen dadurch ankommt, ist noch unklar. Man gehe derzeit davon aus, dass die Pflegebedürftigen in den geförderten Einrichtungen Kosten von rund 120 Euro pro Monat einsparen können, so eine Sprecherin. Davon profitieren allerdings nur die wenigsten.

Die Aussichten für die derzeit rund 500 000 Pflegebedürftigen in Bayern und ihre Angehörigen sind entsprechend düster. Die Zahl der Pflegebedürftigen in Bayern wird sich laut einer Prognose bis zum Jahr 2050 um mindestens 55 Prozent auf insgesamt 760 000 erhöhen. Um sie alle bedarfsgerecht zu unterstützen, müssten die bestehenden Kapazitäten in der Hälfte aller Landkreise und kreisfreien Städte um 50 Prozent aufgestockt werden. Benötigt werden außerdem fast 20 000 Pflegefachkräfte und ebenso viele Hilfskräfte mehr bis 2040.  (Monika Goetsch)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Sollen Uni-Absolventen später als mit 67 in Rente gehen?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.