Politik

Schlange vor dem Bürgeramt am Ostbahnhof. Für die Beantragung eines neuen Ausweises muss man eine stundenlange Wartezeit einrechnen. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

05.09.2017

Die Beine in den Bauch stehen

Die Verwaltung in Bayern wird zunehmend digitalisiert. Vor Bürgerbüros stehen Menschen trotzdem Schlange - warum?

Im Münchner Osten windet sich eine Schlange aus 150 Menschen vor einem Gebäude. Es ist 8.20 Uhr. In zehn Minuten öffnet das Bürgerbüro. Markus Höcherl war schon gestern hier, um 10.30 Uhr. Drangekommen ist er nicht mehr, bevor das Büro um 12.00 Uhr schloss. "Aber man muss die Dinge ja erledigen", sagt er und zuckt mit den Schultern.

Beim Bürgerbüro nicht mehr anstehen, den Papierkram einfach online erledigen? Flächendeckend funktioniert das nicht. Im Ländervergleich sei Bayern in Sachen digitale Verwaltung in vielen Fällen Vorreiter, sagt Marc Reinhardt, der die Initiative D21, ein Experten-Netzwerk für Digitale Gesellschaft, im nationalen IT-Gipfel vertritt. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern liegt Deutschland zurück und belegt nach einer Erhebung der Europäische Kommission Platz 20 in der EU. "Auch Bayern hat noch viel Luft nach oben", so Reinhardt. Dabei sind die Voraussetzungen mit dem neuen Personalausweis seit 2010 geschaffen. Mit ihm kann man sich online ausweisen.

Auf die Frage, ob die elektronische ID auf ihren Personalausweisen freigeschaltet ist, antworten viele in der Schlange im Münchner Osten mit fragendem Blick. Sie wissen nicht, was ihr Personalausweis kann. "Die meisten Bürger vermuten gar kein digitales Angebot von der Verwaltung", sagt Reinhardt. Die Mitarbeiter der Bürgerämter seien zudem nicht auf die Digitalisierung vorbereitet. Seit der Einführung des neuen Personalausweises wurden laut Bundesinnenministerium 49 Millionen neue Ausweise ausgegeben - nur bei einem Drittel ist die eID aktiviert. Nach einer Studie der Initiative D21 im Jahr 2016 ließen 16 Prozent der Befragten die digitale Ausweisfunktion ihrer Personalausweise nicht freischalten, weil Behördenmitarbeiter ihnen davon abrieten.

Viele wissen gar nicht, was der Personalausweis kann

Höcherl, der vor dem Bürgerbüro in München steht, weiß, was sein Ausweis kann. Er hat aber kein Kartenlesegerät, das er für die Nutzung bräuchte. "Ich würde das kaufen, wenn es sich lohnen würde, aber es rentiert sich nicht", sagt er. "Alles Wichtige funktioniert online ja nicht." Er möchte sich in München melden. Selbst mit Lesegerät ginge das nicht online - gesetzlich ist vorgeschrieben, dass er persönlich beim Amt erscheinen muss. Gleiches gilt für andere Dinge, die jeder irgendwann erledigen muss, wie etwa die Beantragung von Personal- oder Reisepass. Ein anderer in der Schlange will ein Führungszeugnis anfordern. Dafür müsste er hier nicht stehen, weiß aber nichts davon.

Das Führungszeugnis online anfordern, können Bürger deutschlandweit über ein zentrales System. In Bayern kann man zudem auch den Bafög-Antrag und den Schwerbehinderten-Antrag online stellen. Bei allem, was aber unter die kommunale Selbstverwaltung fällt, wird es kompliziert. "Die Angebote sind zu selten und zu verstreut über verschiedenste Behörden und Ämter beziehungsweise über diverse föderale Ebenen", sagt Reinhardt.

Wird schrittweise eingeführt: Die Online-Terminvergabe

Das Bayernportal sollte für Übersichtlichkeit sorgen. Finanzminister Markus Söder (CSU) stellte das Portal Ende 2015 vor. Er bezeichnet es als "digitalen Lotsen durch die Verwaltung". 300 staatliche und kommunale Dienste umfasst das Portal. Nur bieten nicht alle Kommunen alles an. Ingolstadt und Markt Altdorf gelten im Ministerium als Positivbeispiele, ein Drittel der bayerischen Kommunen ist allerdings nicht an das Portal angebunden. Deutschlandweit ist es dennoch einzigartig. Der Bund und das Land Hessen hätten bereits an dem Konzept Interesse gezeigt, heißt es aus dem Finanzministerium.

"Die Politik hat das Thema E-Government lange ignoriert beziehungsweise niedrig priorisiert", sagt Reinhardt. Das ändere sich mittlerweile. Für die nächste Legislaturperiode im Bund, aber auch in Bayern, sollte mehr Schwung ins Thema kommen, glaubt er. In München kann man bei zwei Bürgerbüros online einen Termin vereinbaren und so die Warteschlange umgehen. "Das neue Online-Terminvergabesystem wird schrittweise 2017/2018 in allen Bürgerbüro-Außenstellen eingeführt", heißt es von der Stadt. Dann sollte zumindest die Schlange vor dem Bürgerbüro in Münchner Osten kürzer werden. (Luisa Hofmeier, dpa)

INFO: Was kann das Bayernportal
Seit 2015 soll das Bayernportal Bürgern ermöglichen, ihre Behördengänge am Computer zu erledigen.

Was bietet das Bayernportal?
Wer die Webseite www.freistaat.bayern besucht, wird von der Vielfalt der Angebote überwältigt. Allein hinter der Rubrik "Bürgerservice" verbergen sich etwa 200 digitale Angebote. Die Services beschränken sich nicht auf Angelegenheiten, die man sonst bei der Gemeinde erledigen muss, sondern bündeln schlichtweg viele Informationen. Bürger sehen beispielsweise, dass sie ein Gewerbe anmelden können. Sie haben aber auch die Möglichkeit, auf die Datenbank des Statistischen Landesamts zuzugreifen. Rund die Hälfte der Angebote kommt vom Freistaat, andere sind bundesweit abrufbar. Das Portal ist zudem Wegweiser. Für Offline-Services zeigt es mithilfe der Postleitzahl an, welche Behörde zuständig ist.

Wie kann ich meine Behördengänge online erledigen?

Bürger brauchen dafür den neuen Personalausweis. Zudem muss die eID, also die elektronische Identität, freigeschaltet sein. Das kann man beim Bürgeramt erledigen und bekommt eine persönliche Identifikationssnummer (PIN). Zusätzlich braucht man ein Kartenlesegerät und die Ausweis-App des Bundes. Im Bayernportal kann man dann ein Konto anlegen, die sogenannte Bayern ID.

Nutzen Bürger das Angebot?

250 000 Mal pro Monat wird das Portal aufgerufen. Insgesamt gibt es laut bayerischem Finanzministerium 70 000 Nutzerkonten. Da man aber kein Nutzerkonto anlegen muss, ist unklar, wie viele Menschen im Freistaat das Portal nutzen.

Nie wieder bei Behörden anstehen - ist das schon Realität?
Nein. Viele der Services sind teilweise digitalisiert. Eine vollständige Abwicklung über das Internet ist nur bei wenigen Angeboten möglich. Dazu gehört neben Bafög- und Schwerbehinderten-Antrag auch die Beantragung von Meldebescheinigungen, die Reservierung des Wunschkennzeichens und die elektronische Steuererklärung. Elterngeld können Bürger zwar online beantragen, zum Schluss müssen sie aber trotzdem ein Formular ausdrucken, unterschreiben und per Post schicken. Aufgrund von gesetzlichen Vorgaben können auch nicht alle Behördengänge online erledigt werden, zum Beispiel die Beantragung eines Passes.

Bieten alle Gemeinden die gleichen Services an?

Nein. Laut Finanzministerium sind 1400 von den mehr als 2000 bayerischen Kommunen am Bayernportal angeschlossen. Briefwahlunterlagen anfordern kann man über das Portal aber nur bei 700 Kommunen, den Verlust des Ausweises anzeigen bei 240. Das liegt daran, dass auch in Sachen Digitalisierung die kommunale Selbstverwaltung gilt. Beim Bayerischen Gemeindetag sieht man das Problem unter anderem in der personellen Betreuung von Online-Angeboten. "Es gibt viele Gemeinden, die haben gerade einmal fünf Mitarbeiter im Rathaus, die für alles zuständig sind. Da bleibt das Thema E-Government bisweilen auf der Strecke", sagt ein Sprecher. (dpa)

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