Politik

Muss man sich um die Zukunft der bayerischen Braubranche und deren Mehrwegsystem Sorgen machen? Wohl eher nicht. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

23.06.2023

Die Bierkastenoffensive

Mit einem Dringlichkeitsantrag im Landtag wollen die Freien Wähler auf die Unschärfen im Entwurf der geplanten EU-Verpackungsverordnung hinweisen und sie beseitigen

Müssen die bayerischen Brauereien wegen der geplanten neuen EU-Verpackungsverordnung ihre Flaschen einschmelzen und ihre Bierkästen wegwerfen? Steht das deutsche Mehrwegsystem generell vor dem Aus? Die EU-Kommission hat entsprechende Befürchtungen zuletzt zu entkräften versucht. Doch die Freien Wähler trauen dem Ganzen nicht.

Sie fordern, die angekündigten Ausnahmen in der Verpackungsverordnung, englisch: Packaging and Packaging Waste Regulation (PPWR), konkret festzuhalten. Dafür haben sie jetzt einen Dringlichkeitsantrag im Landtag mit dem polemischen Untertitel „EU-Irrsinn in der PPWR verhindern“ eingereicht. Der Vorstoß ist sicher auch dem Wahlkampf geschuldet. Aber es schadet nichts, festzuhalten, dass der Gesetzentwurf noch entsprechend angepasst werden muss.

Ziel der EU-Kommission ist es, den Verpackungsmüll bis 2040 um 15 Prozent pro Mitgliedstaat zu verringern, und zwar durch Wiederverwendung, Recycling und generell Müllvermeidung. Denn pro Kopf beträgt derzeit der Verpackungsabfall im EU-Durchschnitt 180 Kilogramm im Jahr, Tendenz steigend. Eine Neufassung der geltenden, rund 30 Jahre alten Verpackungsverordnung ist da sicher angebracht.

Viele Rohstoffe nur für Verpackungen

Tatsächlich werden inzwischen 40 Prozent der Kunststoffe und sogar 50 Prozent des Papiers in der Europäischen Union für Verpackungsmaterial verwendet. Das liegt besonders an der enormen Zunahme des Online-Handels, der vor 30 Jahren noch keine Rolle spielte, nun aber mit der Verordnung in die Pflicht genommen werden soll.

Zum Beispiel sollen Unternehmen dazu verpflichtet werden, einen gewissen Anteil ihrer Produkte in wiederverwendbaren Verpackungen anzubieten. Für neue Kunststoffverpackungen ist ein fester Recyclinganteil vorgeschrieben. Verboten werden sollen unter anderem Einwegverpackungen für Lebensmittel und Getränke, die in Restaurants und Cafés verzehrt werden, Einwegverpackungen für Obst und Gemüse, Minishampooflaschen und andere Miniverpackungen in Hotels.

Für jede Verpackung ist zudem eine dauerhaft angebrachte Kennzeichnung vorgesehen, die per QR-Code angibt, woraus sie gemacht ist und in welchen Abfallbehälter sie gehört. Vorgesehen sind außerdem Kriterien für die Gestaltung von Verpackungen und verbindliche Pfandsysteme für Kunststoffflaschen und Aluminiumdosen.

Vor allem die Brauereien waren nun aus mehreren Gründen alarmiert. Aus dem Entwurf kann man durchaus herauslesen, dass die bisher verwendeten abwaschbaren Etiketten auf den Flaschen nicht als dauerhafte Kennzeichnung angesehen werden. Alternative wäre dann eine Gravur auf jeder Flasche – ein enormer Aufwand, zudem müssten die alten Flaschen alle vernichtet werden. Ein ökologisches Desaster.

Kritisch sahen die Unternehmen auch die geplante Begrenzung des Leerraums jeder Verpackung auf maximal 40 Prozent. Würde das nicht das Aus aller Getränkekästen bedeuten? Schließlich übersteigt der Leerraum dort deutlich die 40 Prozent. Auch wegen weiterer Regelungen in dem Entwurf sei das so erfolgreiche Mehrwegsystem in Deutschland gefährdet, erklärten die Brauereien.

Nein, versicherte daraufhin die EU-Kommission. Die Etiketten seien ausreichend, es spreche auch nichts gegen die Mehrweg-Getränkekästen. Das deutsche System sei nicht gefährdet. Denn: „Das Pfandsystem in Deutschland ist ein Erfolg.“ Andere Länder sollten sich daran ein Beispiel nehmen. Im Blick habe man eher die großen Kartons mit wenig Inhalt im Online-Handel gehabt.

Mit diesen Versicherungen geben sich die Freien Wähler nun nicht zufrieden. Sie wollen, dass sich die Staatsregierung auf Bundes- und EU-Ebene dafür einsetzt, all das verbindlich in die Verordnung einzubauen. Ein weiteres Beispiel: Was ist mit Mehrwegflaschen, die mit Kronkorken verschlossen sind? Macht sie der Verschluss schon zur Einwegflasche? Auch das könnte man aus der Verordnung herauslesen.

„Gut gemeint ist nicht gut gemacht“, sagt der umweltpolitische Sprecher der FW-Landtagsfraktion, Benno Zierer. Er glaubt nicht, dass sich die EU-Kommission bei der Erstellung des Textes näher mit den Gegebenheiten in den einzelnen Mitgliedsländern vertraut gemacht hat – zum Beispiel mit dem Pfandsystem in Deutschland. „Zum Glück sind sie dann zurückgerudert.“

Die Kommission verweist allerdings darauf, dass Akteure aus allen 27 EU-Staaten vorab eingebunden waren. Gleichzeitig räumt sie aber auch ein, dass der Inhalt der Verordnung noch einer Präzisierung bedarf.

Einige Fragen sind noch offen

Dass man dem Verpackungsmüll den Kampf ansagen muss, das bestreitet Benno Zierer natürlich nicht. Aber ihm stoßen auch noch weitere Vorgaben in der Verordnung auf. Etwa, dass 90 Prozent der Verpackungen von großen Haushaltsgeräten Mehrweg werden sollen.

Er habe sich jetzt im Handel eine Kühl- und Gefrierkombination gekauft, sagt Zierer. Da sei lediglich ein wenig Pappe um das Gerät herum gewesen und unten Styropor. Die Pappe könne man ja direkt recyceln und das bisschen Styropor auf den Wertstoffhof bringen. Dafür ein eigenes Mehrwegsystem zu schaffen, sei nicht ökologischer, findet er.

Zudem sind die Gerätegrößen bisher auch nicht normiert. Soll es dann für jedes Modell von Kühlschränken und Fernsehern eigene Mehrwegverpackungsgrößen geben? Oder stopfen die Händler den Leerraum bei kleineren Modellen dann wieder mit Wegwerfmaterial aus? Es sind schon noch einige Fragen offen.

Mitte 2024 soll die EU-Verpackungsverordnung schon Gültigkeit haben. Im Entwurf ist auf jeden Fall noch viel Luft nach oben. (Thorsten Stark)
 

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll die tägliche Höchstarbeitszeit flexibilisiert werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.