Politik

Gemüse ist – was den CO2-Gehalt betrifft – besser als Fleisch. Treibhausgemüse allerdings schneidet nicht gut ab. (Foto: dpa/Revierfoto/Roy Gilbert)

06.03.2020

Die Bio-Illusion

Der CO2-Gehalt von Essen und die Klimadebatte

Regionale Lebensmittel sind klimatechnisch super, vor allem dann, wenn sie bio sind? Das glauben viele. Leider ist es nicht so einfach. Damit Menschen im großen Stil klimabewusst essen können, sollten Kantinen über den CO2-Gehalt des Essens informieren. Leider tun das bisher sehr wenige.

Rund ein Fünftel der Treibhausgas-Emissionen entsteht durch unsere Ernährung. 1,75 Tonnen CO2 pro Jahr erzeugt jeder Deutsche allein durch die Nahrung. Klimafreundlich essen – das wollen heute immer mehr Menschen. Fleisch ist schlechter als Gemüse, das wissen viele noch. Dann aber wird es für die meisten schnell kompliziert.

Nicht so für die Mitarbeiter des Münchner Technologiekonzerns Infineon. Sie können seit Anfang des Jahres in ihrer Kantine auf einen Blick erkennen, wie klimafreundlich ihr Mittagessen ist. Und sich damit bewusst für eine klimafreundliche Variante entscheiden. Angezeigt werden die C02-Werte jedes Gerichts in einer App. Je mehr Sternchen eine Mahlzeit dort hat, umso klimafreundlicher ist sie. Das Angebot kommt bei den Mitarbeitern an. „Die Resonanz ist sehr gut“, erklärt Michaela Mehls, Sprecherin der Berliner Dussmann Group, die die Infineon-Kantine betreibt.

Dussmann ist einer der ersten Kantinenbetreiber, die in ihren Betriebsrestaurants eine CO2-Kennzeichnung eingeführt haben. In 20 Betriebsrestaurants, vier davon in Bayern, hat das Unternehmen begonnen, den Speiseplan klimafreundlicher zu machen. Dussmann greift auf Leistungen des jungen Unternehmens Eaternity aus der Schweiz zurück, um Menüs und Produkte nachhaltig zu gestalten. Eaternity betreibt die derzeit umfassendste Datenbank zur Berechnung der Umwelteinflüsse von Lebensmitteln und Menüs.

Neben Dussmann kooperiert in Deutschland auch der Kantinenbetreiber Sodexo mit Eaternity, um CO2-arme Rezepte und Gerichte zu entwickeln. Sodexo betreibt 200 Betriebsrestaurants und 40 Großküchen mit rund 500 000 Gästen in Unternehmen. Die Gäste erkennen am Speiseplan oder in einer App, welches Gericht CO2-freundlich ist. „Wir haben über 100 CO2-freundliche Gerichte im Angebot“, erklärt Sodexo-Sprecher Alexander Weiß.

"Bio" sagt über die CO2-Bilanz leider wenig aus

Während in Bayern wenigstens einige Unternehmen begonnen haben, sich für den CO2-Gehalt ihres Kantinenessens zu interessieren, sind öffentliche Einrichtungen zurückhaltend. Eine Umfrage der Staatszeitung bei den großen Städten sowie den Bezirksregierungen ergab: Der gute Wille ist vorhanden, doch es hapert am Wissen. Tatsächlich setzt keine der Großstädte München, Nürnberg und Augsburg und keine Bezirksregierung derzeit auf CO2-bewusstes Kantinenessen. Viele loben sich indes dafür, auf die Kategorien „Bio“ und „Regional“ zu setzen. Die Stadt München hat die CO2-Bilanz städtischer Einrichtungen errechnen lassen, der Stadtrat entscheidet im Sommer, ob „weitergehende Maßnahmen wie ein konkretes Screening der CO2-Bilanz des Speisenangebots in den städtischen Kantinen“ kommen sollen, so ein Sprecher.

Einige Behörden betonen daneben, dass sie Initiativen zu CO2-bewusstem Kantinenessen positiv gegenüberstehen: die Regierungen von Oberbayern oder Mittelfranken etwa.
Auch bei den Fraktionen im Landtag ist CO2-bewusstes Essen noch kein großes Thema. Keine von ihnen hat bislang eine Pflicht-Kennzeichnung der CO2-Belastung von Lebensmitteln angeregt. „Zu aufwendig“, meinen etwa CSU, Freie Wähler und FDP. Weiter ist man im Landtagsamt: Es würden gerade Modelle entwickelt, die den Gastronomievertragspartner in die Lage versetzen sollen, CO2-bewusstes Essen anzubieten, teilt eine Sprecherin mit. Das bayerische Landwirtschaftsministerium verweist darauf, dass man derzeit „unterschiedliche Berechnungsmodelle im Hinblick auf ihre Praxistauglichkeit“ prüfe. Daneben lobt das Ministerium seine Idee, staatliche Kantinen sollten mehr Bio-Essen anbieten.

Tatsächlich ist Bio- oder regionales Essen mit Blick auf die CO2-Bilanz keineswegs immer super. Eaternity-Gründer Manuel Klarmann erklärte kürzlich in einem Interview: Bio sei zwar besser fürs Tierwohl und für die Böden. „Aber klimatechnisch ist es ein Nullsummenspiel, der Methangasausstoß pro Tier ist höher, und viele Produkte sind nicht mal besser.“ Nicht viel vorteilhafter sehe es beim Aspekt Regionalität aus.

Experten fordern derweil für Deutschland mehr Verbraucheraufklärung, am besten über ein Pflicht-Label zur CO2-Belastung. Achim Spiller, Professor für Lebensmittel-Marketing und Agrarprodukte an der Uni Göttingen, erklärt: „Studien zeigen, dass Verbraucher überhaupt kein Gefühl dafür haben, welche Klimabilanz Lebensmittel haben.“ Dass Fleisch schlecht abschneide, sei einigermaßen bekannt, dass Milchprodukte eine ähnlich schlechte Bilanz aufweisen, dagegen nicht. Martin Hofstetter, bei Greenpeace zuständig für die Landwirtschaft, will eine Verpflichtung staatlicher Kantinen, den CO2-Fußabdruck der Gerichte auszuweisen. Staatliche Kantinen, betont er, hätten hier „eine Vorreiterrolle“.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

Kommentare (2)

  1. Muecke am 09.03.2020
    Ich bedauere außerordentlich, dass die CO2-Bilanzierung nun auch bei Kantinenessen gefordert wird.
    Für mich ist dies ein Beleg dafür, dass Umwelt-, Tier-, Pflanzen- und Menschenschutz endgültig von den Betriebswirten auf CO2 reduziert wurden. Alles nur noch in CO2 zu bilanzieren, mag für Rechenkünstler, die damit Geld verdienen wollen und für Ablasshändler sinnvoll sein, nicht aber für weniger engstirnige Menschen, die sich nicht auf CO2 reduzieren lassen.
    Mag eine CO2-Bilanzierung für den Klimaschutz noch gewisse Berechtigung haben, so hat diese aber nichts mit gesundem Essen, mit Tierwohl oder Bio zu tun.
  2. sirccook am 07.03.2020
    Apleona Culinaress weißt bereits seit 2018 in verschiedenen Betriebsrestaurants den CO2 Fußabdruck aus - in Bayern und In anderen Bundesländern
    Apleona Culinaress FoodPRINT macht klimafreundliche Betriebsverpflegung einfach & innovativ
    Grüße
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