Hubert Aiwanger (53) polarisiert. Viele Menschen sagen, dass er ihnen aus dem Herzen spricht, andere finden ihn einfach nur populistisch. Sicher ist: Aiwanger langweilt nicht. In der CSU hören sie es nicht gern – er war mal Stipendiat der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Dass er ab und zu mit dem Koalitionspartner aneinandergerät, wird wohl so bleiben – auch mit Blick auf die Bundestagswahl.
BSZ: Herr Aiwanger, die CSU hat in Umfragen zugelegt, die Freien Wähler verlieren. Sind Sie besorgt?
Hubert Aiwanger: Umfragen und Wahlergebnisse haben noch nie zusammengepasst. Wir haben auch noch mehrere Jahre bis zur nächsten Landtagswahl. Vier Jahre vor der letzten Landtagswahl waren wir teilweise einstellig. Am Ende haben wir 16 Prozent bekommen. Wer weiß, welche Themen in vier Jahren die Wahl beeinflussen. Und jetzt, da alle nur von Bundespolitik, von Wagenknecht, AfD und Co reden, sind 12 Prozent ein super Ergebnis. Außerdem: Die CSU liegt in der Zwischen-Wahlzeit immer bei 42 und 43 Prozent, am Ende hatten sie dann immer unter 40. Wogegen wir bei der Wahl immer ein paar Prozent mehr hatten als in Umfragen prophezeit.
BSZ: Sie haben aber doch auch die Bundestagswahl im nächsten Jahr vor Augen.
Aiwanger: Da lagen wir in einer Forsa-Umfrage zuletzt bei 3 Prozent. Man darf auch nicht vergessen, dass das Wahlrecht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts geändert werden muss. Möglicherweise würden dann drei Direktmandate reichen, um in den Bundestag einzuziehen; ich würde mich natürlich auch nicht wehren, wenn es heißt, 3 Prozent würden reichen. Jedenfalls strebe ich ganz offensiv die bürgerliche Koalition an, also: CDU/CSU, Freie Wähler und FDP. Und ich erwarte, dass ein Unionskanzlerkandidat, wer immer das ist, eindeutig sagt, er will Rot-Grün in die Opposition schicken und mit den Kommunisten der Wagenknecht-Partei nicht paktieren. Aber stattdessen kungelt man mit denen. Wir brauchen einen deutlichen Politikwechsel. Und nicht nur einen neuen Koalitionspartner, der dazu beiträgt, dass sich wieder nichts ändern wird in der Politik.
BSZ: Ist ein Bündnis mit der AfD für Sie für alle Ewigkeit ausgeschlossen?
Aiwanger: Ich glaube, dass auf absehbare Zeit niemand mit der AfD koalieren wird. Bei der kommenden Bundestagswahl wird sich alles gegen die AfD zusammentun. Deshalb ist eine Stimme für die AfD eine Stimme für die Grünen – die werden, wenn die von mir angestrebte bürgerliche Koalition nicht zustandekommt, mit großer Wahrscheinlichkeit wieder in der Regierung sitzen. Und mit Schwarz-Grün oder Schwarz-Rot wird man die Probleme nicht lösen, die ja von diesen Parteien verursacht wurden.
BSZ: Warum wollen Sie überhaupt in den Bundestag? Sind die Freien Wähler nicht eher regional ausgerichtet?
Aiwanger: Fast alle bundespolitischen Themen wirken sich in den Kommunen aus. Nehmen Sie innere Sicherheit und Migration: Unsere Bürgermeister und Landräte müssen die Asylbewerber unterbringen – die in vielen Fällen gar nicht hier sein dürften, wenn’s nach Recht und Gesetz geht. Ich bin auf alle Fälle für eine schärfere Asylpolitik. Die verfehlte Gesundheitspolitik von Schwarz und Rot im Bund ruiniert die Apotheken, freiberuflichen Ärzte und Krankenhäuser vor Ort in den Kommunen. Bei der Wirtschaftspolitik gibt es ebenfalls viele Themen, die uns bewegen: Energie, Wasserstoff, Verbrennerverbot. Es muss Politik für die Wirtschaft gemacht werden. Auch, indem wir die Steuern senken. Ich habe bereits den Vorschlag unterbreitet, 2000 Euro pro Monat steuerfrei zu stellen statt nur knapp 1000 Euro. Damit sich Arbeit wieder lohnt. Ich will auch das Bürgergeld in der aktuellen Form abschaffen und reformieren. Und eines der ganz großen Themen: Die politische Kultur muss sich ändern.
BSZ: Was meinen Sie damit? Sie haben ja mal gefordert, man müsse die Demokratie zurückholen.
Aiwanger: Diese Formulierung wurde offensichtlich gezielt missverstanden. Noch mal: Wir müssen wieder mehr darauf hören, was der normale Bürger will. Das müssen wir wieder in den Mittelpunkt der Politik rücken. Die Menschen sagen mit Blick auf Bundesinnenministerin Faeser oder Außenministerin Baerbock immer öfter, die vertreten nicht mehr unsere Interessen, die machen mittlerweile Politik gegen unser Land und nicht mehr für unser Land. Genauso war es mit Habecks Heizungsgesetz, gegen den Willen von 80 Prozent der Bevölkerung. Die Ampel-Regierung produziert Staatsverdrossenheit und spielt damit den radikalen Parteien den Ball zu.
"Ich strebe im Bund eine bürgerliche Koalition an, also: CDU/CSU, Freie Wähler und FDP"
BSZ: Zur Migrationspolitik: Sind Sie da mit der Union auf einer Linie?
Aiwanger: Je nachdem, wo die Union sich gerade befindet. Die hauen doch jeden Tag eine andere Parole raus. Auf alle Fälle bin ich nicht auf Linie der Union des Jahres 2015 – und da war die CSU mit dabei. Die CSU hat den Wahnsinn von Frau Merkel über Jahre mit verantwortet. Die CSU hätte damals den Bruch der Koalition androhen müssen. Denn damals kam es zu massiven Rechtsverstößen bei der Einwanderung. Seitdem ist Deutschland im Abwärtstrend und in der politischen Polarisierung.
BSZ: Worin unterscheiden sich Ihre Forderungen zur Migration von denen der AfD?
Aiwanger: Die AfD geht an das Thema radikaler und auch rassistisch ran. Wir Freie Wähler akzeptieren qualifizierte Zuwanderer, die wir in der Wirtschaft brauchen, aber eben nicht Leute, die uns nur Ärger machen.
"Ich schiele nicht ständig auf die AfD und sag dann das Gegenteil von denen, sondern ich sage, was ich für richtig halte."
BSZ: So sieht das auch die AfD.
Aiwanger: Ich schiele nicht ständig auf die AfD und sag dann das Gegenteil von denen, sondern ich sage, was ich für richtig halte. Auf alle Fälle brauchen wir eine Flüchtlingspolitik, die sicherstellt, dass unser Land nicht überfordert wird. Dass nur anständige und gesetzestreue Leute kommen, die sich an unsere Regeln halten. Jeder, der massiv dagegen verstößt, muss außer Landes. Und wir dürfen nicht so schnell einbürgern. Ob die AfD das auch so sieht oder davon abweicht, das interessiert mich nur zweitrangig. Man muss vernünftige Politik für das Land machen und nicht sagen: Wenn die AfD etwas fordert, bin ich automatisch dagegen. Wenn die AfD fordert, nicht so schnell einzubürgern, soll ich dann sagen, nein, wir müssen schneller einbürgern? Linke Meinungsmacher betreiben dieses Spiel gezielt, die benutzen die AfD, um in Abgrenzung dazu linke Themen durchzuboxen. Und die bürgerliche Mitte knickt aus Angst vor einem Shitstorm davor ein.
BSZ: Kommen wir zu Bayern: In Ihrer schwarz-orangen Koalition knirscht es immer wieder gewaltig. Zuletzt haben Sie sich mit Agrarministerin Kaniber öffentlich wegen des Wassercents gezofft, also darüber, wer diese geplante Abgabe zur Sicherung der Wasserversorgung zahlen muss. Warum besprechen Sie das nicht intern?
Aiwanger: Es scheint die Strategie der CSU zu sein, hier im Vorfeld der Bundestagswahl Stimmung gegen uns zu machen. Wir haben das Thema Wassercent durchaus intern besprochen. Ich war dann etwas verwundert, dass Frau Kaniber mit diesen Interna rausgegangen ist, um uns bei bestimmten Lobbygruppen unmöglich zu machen – Stichwort Industrie und Landwirtschaft. Kaum war die Debatte intern eröffnet, haben Kaniber und andere begonnen, uns anzuschwärzen. Das ist unkollegial und unfair.
BSZ: Es fällt aber schon auf, dass Sie sich besonders oft mit Frau Kaniber streiten. Liegt das daran, dass Sie selber gern das Landwirtschaftsressort hätten?
Aiwanger: Stimmt, wir hätten das Landwirtschaftsministerium gern gehabt – für die Freien Wähler. Ich habe nicht gesagt, dass ich das unbedingt selber übernehmen will. Natürlich sind wir bei der Landwirtschaft stark unterwegs. Es nutzt den Bauern aber auch, dass wir in Bayern zwei Parteien haben, die sich um die Landwirtschaft kümmern. Für die Bauern ist es eigentlich ein Gewinn, dass wir uns einen Wettlauf darüber liefern, wer die bessere Landwirtschaftspolitik macht. Trotzdem, die CSU versucht immer wieder, uns bei den Bauern unmöglich zu machen. Das hat man auch gesehen bei den Bauerndemos zu Beginn des Jahres. Die CSU wollte nicht, dass ich zu diesen Demos gehe, obwohl ich eingeladen wurde und dort auch viel Beifall bekommen habe. Das ist schon eine einmalige Situation: dass der Koalitionspartner einem verbieten will, bei diesem Klientel aufzutreten – aus Sorge, dass wir dort zu viel Punkte kriegen.
"In der Pandemie wurde mir die Schlinge zugezogen, es hieß, du kannst ja deine Arbeit nicht mehr erfüllen."
BSZ: Viele halten Sie für einen Populisten. Ärgert Sie das?
Aiwanger: Ein bisschen schon. Weil ich mich nicht als Populist sehe. Meine Definition von Populist ist, dass jemand gegen seine eigene Überzeugung den Leuten nach dem Mund redet, es aber ganz anders meint. Horst Seehofer zum Beispiel hat Populismus positiv interpretiert: Populus heißt Volk, man spricht also im Sinne des Volkes oder für das Volk. Ich sehe mich als ehrlichen Politiker, der den Leuten auch bei unangenehmen Themen sagt, also liebe Leute, wir müssen das jetzt machen.
BSZ: In der Pandemie waren Sie für viele Menschen ein rotes Tuch. Und Ihr Verhältnis zu Markus Söder war stark beschädigt. Wie tief ist der Riss, der damals entstanden ist?
Aiwanger: Es war schon eine tiefe Wunde, dass ich öffentlich zu meinem Impfstatus befragt wurde und dass ich mich erklären musste, warum ich nicht geimpft war. Das ging einfach über mein Menschenbild hinaus, also meine Vorstellung vom freien Menschen, der natürlich sozial rückgekoppelt ist. Aber das darf nicht so weit gehen, dass man in die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen eingreift. Noch dazu, weil die Dinge medizinisch keineswegs so klar waren, wie man getan hat. Das bestätigt sich doch jetzt auch durch die RKI-Files.
BSZ: Sie haben sich dann doch noch impfen lassen. Warum?
Aiwanger: Weil der Druck so groß geworden ist, dass ich nicht mehr Minister hätte bleiben können. Ich wäre hinausmanövriert worden – durch die Medien und den Koalitionspartner. Mir wurde die Schlinge zugezogen, es hieß, du kannst ja deine Arbeit nicht mehr erfüllen, weil man an gewissen Sitzungen, Pressekonferenzen et cetera nur noch mit Impfstatus teilnehmen konnte. Es haben ja auch die Grünen schon an der Tür gekratzt. Ich weiß nicht, wie das ausgegangen wäre, wenn ich gefallen wäre, ob nicht irgendwann die ganze Koalition ins Wanken geraten wäre. Die Grünen haben darauf spekuliert, in die Koalition mit der CSU reinzukommen.
BSZ: Fordern Sie eine Aufarbeitung der Corona-Politik?
Aiwanger: Mit der Veröffentlichung der Protokolle des Robert Koch-Instituts steht ja im Raum, dass die Politik über die medizinischen Erkenntnisse hinausgegangen ist, dass vielleicht Gefälligkeitsgutachten erstellt wurden, die in Richtung strengere Maßnahmen gewirkt und darauf abgezielt haben, die Impfung positiver zu sehen, als sie gewirkt hat. Dieser Sachverhalt müsste schon aufgeklärt werden. Wer hat auf das RKI Einfluss genommen und hat diesem nahegelegt, schärfere Formulierungen zu wählen und schärfere Maßnahmen zu empfehlen? Wurden unter Bezug auf die Wissenschaft kritische Stimmen mundtot gemacht, und in Wirklichkeit waren die wissenschaftlichen Erkenntnisse gar nicht so deutlich da oder gar politisch beeinflusst? All das muss festgestellt werden. Man fürchtet natürlich Konsequenzen hinsichtlich Haftung und Entschädigungen auch finanzieller Art. Ich will mich jetzt nicht darauf festlegen, ob eine Kommission oder ein Untersuchungsausschuss die Aufarbeitung übernehmen soll. Das könnte ja auch der Bundespräsident federführend machen. Aber wenn die Politik Vertrauen zurückgewinnen will, muss sie Fehler zugeben und das aufarbeiten, auch für ähnliche Fälle in Zukunft.
(Interview: Waltraud Taschner)
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