Politik

Wir wollen provozieren, weil man uns sonst kein Gehör schenkt, sagt Jörg Alt. (Foto: dpa/Lennart Preiss)

11.11.2022

"Die eigentlichen Radikalen sind die anderen"

Jesuitenpater und Sozialethiker Jörg Alt über seine Teilnahme an Straßenblockaden, die zögerliche Umweltpolitik sowie das Vorgehen von Polizei und Justiz

Letzte Woche klebte sich der 61-jährige Priester und Sozialwissenschaftler Jörg Alt gemeinsam mit dem Bündnis „Letzte Generation“ in München auf die Straße. Im Interview erklärt er seine Motivation, warum er trotzdem kein Ökoterrorist ist und weshalb er sich auf den Prozess gegen ihn freut.

BSZ: Herr Alt, Sie haben sich kürzlich mit dem Bündnis „Letzte Generation“ am Münchner Stachus auf die Straße geklebt, um den Verkehr zu blockieren. Hatten Sie dabei keine Bedenken?
Jörg Alt: Mit 60 Jahren überlegt man sich solche Aktionen sehr genau und macht das nicht aus Spaß an der Freude. Der Verkehrssektor unternimmt am wenigsten für den Klimaschutz. Und gerade im Autoland Bayern wird zu wenig auf die Wissenschaft gehört und entsprechend gehandelt. Daher sehe ich es als Jesuit und Priester als meine Pflicht an, zum zivilen Ungehorsam aufzurufen. Wenn die Welt in Flammen steht, darf man den Feuerlöscher nicht wegsperren. Genau das aber tut Bayern.

BSZ: „Der Klimaschutz rechtfertigt keine Straftaten“, sagte Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) nach der Aktion und listete auf, welche Freiheitsstrafen dafür laut Gesetz infrage kommen. Sind Sie ein geistlicher Krimineller?
Alt: Zumindest sieht mich der Staat als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung – deshalb die Gefährderansprache. Die Staatsanwaltschaft beantragt aber auch sonst absurd hohe Strafen gegen Klimaaktivisten, vom Präventivgewahrsam ganz zu schweigen. Dabei sind die eigentlichen Radikalen die, die fossile Energien weiterhin erlauben und subventionieren. 

BSZ: Wie erging es Ihnen in Polizeigewahrsam?
Alt: Gut. Die Polizei ist nicht das Problem, dort haben wir eher Dankbarkeit gespürt, weil wir das auch für ihre Familien machen. Kompliziert wird es bei den Menschen in Führungsebenen, die ihre Besitzstände wahren wollen. Diskussionen mit denen sind immer sehr theoretisch und abgehoben.

BSZ: Aber Krankenwagen oder Bluttransporte zu blockieren und damit Menschenleben zu riskieren, könne fahrlässige Körperverletzung sein, meint selbst der liberale Bundesjustizminister Marco Buschmann. Ist das noch friedlicher Protest?
Alt: Wir protestieren ausdrücklich gewaltfrei. Natürlich wollen wir auch Kritik und Konfrontation provozieren. Das liegt daran, weil man uns seit Jahrzehnten kein Gehör schenkt. Der Weltklimarat sagt, wir haben nur noch drei Jahre Zeit, den menschengemachten globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wir haben unsere Blockaden immer so organisiert, dass der Verkehr stets ab- und umgeleitet werden kann. Trotzdem sind wir in der Zelle gelandet. Dabei ist am Tod der Berliner Fahrradfahrerin die Letzte Generation nach allem, was bisher bekannt ist, nicht schuld. 

BSZ: Neben den Autobahnblockaden werden Kunstwerke beschmiert oder mutwillig Feueralarme ausgelöst. Dienen solche Aktionen nicht vor allem der Mitglieder- und Spendengewinnung?
Alt: Nein. Jeder von uns hat Besseres zu tun, als Straßen zu blockieren. Aber wir haben eben wie gesagt möglicherweise nur noch drei Jahre Zeit, die Klimakatastrophe aufzuhalten. Daher braucht es radikalere Methoden, die polarisieren, nerven und stören. Das Monet-Gemälde aus der Serie „Heuschober“ wurde bewusst gewählt, weil es bei der aktuellen Klimaerwärmung bald keine Getreideschober mehr brauchen wird. Es wurde übrigens laut Museum nicht beschädigt.

BSZ: In Politik, Justiz, Polizei, Bevölkerung und selbst bei anderen Umweltverbänden kommen die Proteste nicht gut an. Statt über Klimaschutz wird jetzt über härtere Strafen für „radikalisierte Klima-Chaoten“ diskutiert. Das kann doch nicht Ihr Ziel gewesen sein.
Alt: Wir machen das nicht, um beliebt zu werden. Natürlich ist aktuell jeder überfordert von Corona, Krieg und Inflation – und jetzt kommen auch noch wir, die Klimaaktivisten. Die Menschen sehen aber nicht, dass diese Themen systemisch zusammenhängen. Wir haben uns zu lange einreden lassen, dass es unendliches Wachstum mit neuen Autos, Smartphones und langen Flugreisen braucht. Aber das ist ein Irrweg. Wir wollen, dass den Menschen das langsam bewusst wird. 

BSZ: Zu Beginn der Proteste haben Sie die Letzte Generation durchaus kritisch gesehen und sich für eine fortlaufende Evaluierung ausgesprochen.
Alt: Die überprüfen ihre Aktionen ja auch regelmäßig auf ihre Verhältnismäßigkeit. Es gab zu Beginn heftige Diskussionen darüber, ob Autoblockaden das richtige Mittel sind. Aber rückblickend muss ich sagen: Die jungen Menschen hatten recht. Der Verkehrssektor ist mit rund 20 Prozent CO2-Ausstoß der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen. Auch UN-Chef António Guterres nutzte auf der Weltklimakonferenz in Ägypten ein Bild aus der Autowelt, wenn er sagte: „Wir sind auf der Autobahn in die Klimahölle und geben dabei noch Gas.“

"Aktuell findet eine öffentliche Vorverurteilung statt, obwohl sich die Justiz noch gar nicht damit befasst hat"

BSZ: Mittlerweile sind vier Gerichtsverfahren gegen Sie anhängig. Manche bezeichnen Menschen wie Sie als „Ökoterroristen“.
Alt: Diese Leute haben überhaupt nicht verstanden, worum es geht. Ich will händeringend einen Prozess, aber selbst der wird mir verweigert. Es muss dringend geklärt werden, ob unsere Aktionen wegen eines bestehenden „rechtfertigenden Notstands“ legitimiert sind, also weil alle anderen Mittel nicht Abhilfe schaffen. Aber bisher wurde noch nicht einmal meine Selbstanzeige behandelt. Aktuell findet eine öffentliche Vorverurteilung statt, obwohl sich die Justiz noch gar nicht damit befasst hat. Sitzblockaden gegen atomare Aufrüstung wurden von Gerichten als legitime Protestform anerkannt. 

BSZ: Sie rufen in einem offenen Brief den Landtag dazu auf, die Präventivhaft und die Klimapolitik der Staatsregierung in einer Aktuellen Stunde im Plenum zu diskutieren. Aber selbst die Grünen-Fraktion kritisiert Ihre Aktionen. Was versprechen Sie sich davon?
Alt: Es heißt doch immer, das Parlament sei die Herzkammer der Demokratie. Im Gegensatz zu den Protesten gegen Corona haben wir die Wissenschaft hinter uns. Trotzdem sperrt man uns weg, schüchtert uns ein und verweigert uns den Austausch von Argumenten. Das untergräbt das Vertrauen in Staat und Polizei. Mir ist es daher wichtig, dem Thema ein großes Forum zu bieten. Bisher habe ich aber noch von keiner Fraktion eine Rückmeldung erhalten. 

BSZ: Ist die Klimapolitik durch die Ampel-Regierung besser geworden? 
Alt: Nein. Früher hat die Union jahrzehntelang den Klimaschutz blockiert, jetzt ist es die FDP. In deren Parteizentrale hat man wohl vergessen, dass man eine Bürgerrechtspartei war. Ich würde mir eine Minderheitsregierung ohne die FDP wünschen, selbst wenn der selbst ernannte Klimakanzler Olaf Scholz (SPD) nicht mehr liefert als Ex-Kanzlerin Angela Merkel (CDU). Auch in Bayern versucht man, die Statistiken schönzurechnen. Die Diskrepanz zwischen Rhetorik und politischer Umsetzung ist auffällig groß, das neue bayerische Klimaschutzgesetz nur peinlich. Hinzu kommt die Hetze vom rechten Rand.

BSZ: Wie kommt Ihr Protest bei anderen Geistlichen an?
Alt: Ach, da gibt es solche und solche. Aber es ist schwierig, mich zu kritisieren, weil ich nach 35 Jahren durch meine Publikationen und Vorträge beweisen kann, was ich schon alles versucht habe. Wenn mir jemand eine bessere Alternative als den Protest nennen kann, lass ich mich gerne eines Besseren belehren. (Interview: David Lohmann)

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