Politik

Ex-Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Jahr 2023 bei einer Wehrübung der Bundeswehr. (Foto: dpa/Frankenberg

20.06.2025

"Die Einstellung der Grünen hat sich gewandelt"

Norman Böhm vom Verein BundeswehrGrün über Rüstungsinvestitionen, die Wehrpflicht – und wie seine Initiative innerhalb der Partei ankommt

BundeswehrGrün: Der Verein wirkt erst mal wie ein Widerspruch zu den Grünen. Noch immer ist das Thema Aufrüstung innerhalb der einstigen Friedenspartei umstritten. Doch der Vorsitzende Norman Böhm stößt nach eigenen Worten mit seinen Forderungen zunehmend auf Gehör. 

BSZ: Herr Böhm, am Wochenende wurde erstmals ein Nationaler Veteranentag begangen. Ein Anlass zur Freude?
Norman Böhm: Ja, wir begrüßen diesen Schritt und haben uns auch dafür eingesetzt. Es geht nicht um persönliche Anerkennung – sondern darum, Sichtbarkeit zu schaffen für Veteraninnen und Veteranen mit ganz unterschiedlichen Lebensläufen. Nicht nur für die einsatzgeschädigten Soldaten, sondern auch für die, die jahrzehntelang in Deutschland gedient haben. Viele wissen gar nicht, dass wir es mit rund zehn Millionen Menschen zu tun haben, die in irgendeiner Form Veteranenstatus haben.

BSZ: Ihr Verein BundeswehrGrün wirkt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch zur grünen Friedensbewegung. Wie kam es zur Gründung?
Böhm: Wir verstehen uns nicht als Vertretung der Grünen, sondern sind bewusst unabhängig. Gegründet wurde der Verein 2021 von grünen Mitgliedern, die zugleich Bundeswehrangehörige sind. Unsere Idee: eine Plattform schaffen, die sicherheitspolitische Themen aus grüner Perspektive adressiert – auch kritisch. Wir erlebten auf beiden Seiten ein gewisses Fremdeln. Deshalb bieten wir Raum für Diskussion, Information und Austausch, gerade auch dort, wo sonst eher Schweigen herrscht.

BSZ: Wie wird BundeswehrGrün innerhalb der Partei wahrgenommen? Gibt es auch Ablehnung?
Böhm: Erstaunlich wenig. Wir waren auf Bundesdelegiertenkonferenzen eingeladen, haben diverse Diskussionsrunden mitgestaltet – ohne nennenswerte Kritik. Natürlich gibt es unterschiedliche Strömungen in der Partei, aber wir werden auch von linken Parteigliederungen eingeladen. Unser Eindruck: Das Thema Bundeswehr ist keines, dem man ausweicht – eher eins, bei dem es bisher zu wenig direkte Erfahrungen und damit verknüpfte Diskussionsangebote gab.

BSZ: Worin unterscheiden sich Ihre Positionen von denen der Partei?
Böhm: Ad hoc habe ich gar keine konkreten Beispiele, weil sich die Einstellung innerhalb der Partei gewandelt hat. Wir sagen klar: Wir brauchen eine verteidigungsfähige Bundeswehr und das tun die Grünen mittlerweile auch. Das heißt auch, dass das Parlament die notwendigen Mittel bereitstellen muss. Die Grünen stellen die Notwendigkeit der Bundeswehr, nicht mehr infrage. Auch beim Thema Drohnen hat sich viel bewegt – zu Recht. Konflikte wie in Bergkarabach zeigen, dass moderne Fähigkeiten entscheidend sein können. Man muss sich fragen: Brauchen wir den dreihundertsten Panzer – oder investieren wir in Fähigkeiten, die wirklich gebraucht werden? Unser Hauptanliegen ist Verlässlichkeit: keine sicherheitspolitische Kehrtwende nach jeder Wahl. Wenn wir als Gesellschaft erwarten, dass Menschen Verantwortung in der Bundeswehr übernehmen, müssen wir das auch politisch verlässlich begleiten.

BSZ: Der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter überraschte 2022, als er bei Markus Lanz mit detailliertem Wissen über polnische Panzer aufwartete. War das ein Wendepunkt?
Böhm: Das Umdenken begann schon früher, spätestens mit dem Kosovo-Einsatz. Aber viele in der Partei haben sich erst in den letzten Jahren intensiver mit dem Thema beschäftigt. Der Ukraine-Krieg war sicher ein Katalysator. Und man darf nicht vergessen: Es ging früher oft nicht um Ablehnung, sondern um ein bewusstes Wegsehen oder Desinteresse. Das hat sich jetzt geändert.

BSZ: Auch in der SPD wird vor einem „unbegrenzten Rüstungsrausch“ gewarnt, zuletzt durch das Russland-„Manifest“.
Böhm: Der Wunsch nach diplomatischen Lösungen ist selbstverständlich da. Aber ich sehe aktuell keinen realistischen Weg. Diplomatie findet statt, oft im Stillen – das ist auch gut so. Aber ohne militärische Stärke wird man in Moskau nicht ernst genommen. Es braucht diese Stärke, um überhaupt auf Augenhöhe sprechen zu können.

BSZ: Wie steht Ihr Verein zur Wehrpflicht?
Böhm: Wir sprechen uns für eine allgemeine Dienstpflicht aus. Mit den aktuellen Verhältnissen in Berlin sehe ich aber nicht, dass eine Grundgesetzänderung kommt. Die Linke wird sich nicht überzeugen lassen. Und ich würde davon abraten, die Mehrheiten im blauen Lager zu suchen. 

BSZ: Was wäre kurzfristig machbar?
Böhm: Das Modell von Verteidigungsminister Pistorius, mit einem ersten Jahrgang Freiwilliger zu starten und dann verpflichtende Elemente nachzuschieben – wie in Skandinavien – ist realistisch. Aber klar ist: Die Infrastruktur in den Kasernen reicht derzeit nicht aus, um ganze Jahrgänge aufzunehmen. Selbst mit Abstrichen ist das logistisch kaum machbar. Wichtig ist, dass wir jetzt anfangen – weil der Aufbau Jahre dauern wird.

"Die Debatte um die Zwei-Prozent-Marke finde ich wenig zielführend."

BSZ: Wie realistisch ist Ihrer Meinung nach ein russischer Angriff auf ein Nato-Land?
Böhm: Ich halte das für eine ernst zunehmende Option. Wir kennen Putins Weltbild. Und es gibt Einschätzungen, dass Russland in fünf Jahren militärisch wieder einsatzbereit sein könnte. Sollte nichts passieren – umso besser. Aber es wäre fahrlässig, sich nicht vorzubereiten. Natürlich gibt es auch Stimmen, die mit Kriegsangst Politik machen wollen. Die Bedrohung an sich halte ich aber für real.

BSZ: Ist die Bundeswehr strukturell auf einen Angriff eingestellt?
Böhm: Wir sind schon ganz gut aufgestellt. Aber es fehlt an Masse, also etwa an der Anzahl von Ersatzsystemen, und in einigen Teilbereichen wie der Luftverteidigung haben wir Fähigkeitslücken. Und das liegt nicht nur an der Bundeswehr, sondern an politischen Versäumnissen der letzten 30 Jahre. Ein großes Problem ist auch die zivil-militärische Infrastruktur: Brücken etwa, über die kein Panzer rollen kann. Das behindert nicht nur die Bundeswehr, sondern auch die Wirtschaft.

BSZ: Ist es die richtige Antwort auf das Erstarken der AfD, wenn jetzt statt in die Sozialpolitik Milliarden ins Militär investiert werden?
Böhm: Für mich ist das kein Widerspruch. Das Sondervermögen ist schuldenbasiert – gerade um nicht Soziales gegen Militärisches auszuspielen. Wir stehen vor großen Herausforderungen in beiden Bereichen. Aber klar: Das Geld darf kein Blankoscheck sein. Investitionen müssen sinnvoll und gezielt sein.

BSZ: Kommt das Geld überhaupt an den richtigen Stellen an?
Böhm: Da gibt es noch viel Luft nach oben. Man darf aber nicht vergessen: Jahrzehntelang war das Beschaffungswesen auf Sparen ausgerichtet. Jetzt soll plötzlich alles schnell gehen. Die Strukturen sind dafür nicht gemacht. Die Politik muss da Hürden aus dem Weg räumen. Und: Es braucht mehr europäische Zusammenarbeit, größere Stückzahlen, günstigere Preise. Da gab es in der Vergangenheit mehr Absichtserklärungen als handfeste Projekte und am Ende oft die nationalen Alleingänge.

BSZ: Wie reagiert BundeswehrGrün auf Vorwürfe, es gebe in der Truppe zunehmende rechte oder queerfeindliche Tendenzen?
Böhm: Jeder einzelne Fall ist einer zu viel. Die Bundeswehr ist eine konservative, hierarchische Organisation. Das zieht bestimmte Menschen an. Aber sie ist auch ein Querschnitt der Gesellschaft. Man wird nie alle problematischen Fälle verhindern können. Entscheidend ist, wie man damit umgeht. Heute kommen mehr solche Fälle ans Licht – das war früher nicht selbstverständlich. Die Bundeswehr nimmt das Thema ernster. Aber abgesehen von diesen negativen Beispielen steht die Truppe klar auf dem Boden des Grundgesetzes.

BSZ: Wie bewerten Sie die gestiegenen Verteidigungsausgaben seit dem Amtsantritt von US-Präsident Trump?
Böhm: Die Debatte um die Zwei-Prozent-Marke finde ich wenig zielführend. Natürlich braucht es Orientierung. Aber entscheidend ist, welche Fähigkeiten wir haben – nicht, wie viel Prozent vom schwankenden BIP wir investieren. Und: Die Preise für Rüstungsgüter steigen durch die Festlegung enorm. Dass Europa mehr tun muss, ist keine neue Forderung. Die gab es schon unter Obama.

BSZ: Wie gut ist Deutschland im Hinblick auf Schutz der Bevölkerung aufgestellt?
Böhm: Ich wünsche mir, dass wir uns da mehr an Skandinavien orientieren. Dort wird offen über Bedrohungen gesprochen und es werden Schlussfolgerungen gezogen. In Deutschland gibt es immer noch eine Scheu davor. Natürlich kann man beispielsweise keine Schutzräume für 80 Millionen Menschen bauen. Selbst im Kalten Krieg war das nur für circa vier Prozent der Menschen möglich. Mit dem Thema gewinnt man verständlicherweise keinen Blumentopf, aber die Debatte muss geführt werden. Wie immer wird auch hier Vorsorge Geld kosten und wir müssen uns als Gesellschaft entscheiden, was wir bereit sind zu investieren. (Interview: David Lohmann)

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