Politik

Was passiert eigentlich in Brüssel? Die EU-Kommission will mit mehr Kommunikationsangeboten darüber besser informieren. (Foto: dpa/Kappeler)

19.05.2023

Die EU hat Redebedarf

Mit einer Informationsoffensive sucht die EU-Kommission ein Jahr vor der Europawahl einen besseren Draht zur Lokalpolitik. Bayern unterstützt sie dabei. Doch noch ist der Erfolg nicht sichtbar. Auch die Bevölkerung soll regelmäßig eingebunden werden

Brüssel ist weit weg. Und nicht alle Leute informieren sich gern darüber, was in Brüssel so vor sich geht. Was besonders fatal ist bei Themen, die eigentlich alle angehen. Umgekehrt erfahren auch die EU-Abgeordneten nicht immer, was die Menschen in den Mitgliedstaaten bewegt. Auf EU-Ebene will man an dieser Informationslücke arbeiten. 

Dafür gibt es nun zwei europaweite Programme, die sich ergänzen. „Europa fängt in der Gemeinde an“ nennt sich das Pilot-Projekt der Europäischen Kommission. „Europäisches Netz der regionalen und lokalen EU-Beauftragten“ lautet der sperrigere Name des Pendants des Europäischen Ausschusses der Regionen (AdR). In diesem 1994 gegründeten Ausschuss sitzen 329 politisch gewählte Vertreter*innen aus Kommunen und Regionalparlamenten der EU-Mitgliedsländer. Der AdR muss bei allen für ihn relevanten Gesetzgebungsverfahren von der EU-Kommission angehört werden. 
Ziel der beiden neuen Projekte ist es, europaweit Mitglieder lokaler Stadt-, Gemeinde- oder Kreisräte zu gewinnen, die dann als Vermittler*innen zwischen Kommune und der EU dienen. Jede Kommune benennt dafür eine Person, die dann Zugang zu speziellen Informationen und einer digitalen Plattform der EU erhält.

Der Ursprung liegt in Österreich

Die lokalen Auswirkungen neuer EU-Verordnungen könnten so genauso frühzeitig kommuniziert werden wie neue Förderprogramme oder der aktuelle Stand von Gesetzgebungsverfahren und Veränderungen in Struktur und Zusammensetzung der EU. In einem späteren Schritt ist auch denkbar, dass die lokalen Bedürfnisse und Wünsche nach Brüssel transportiert und berücksichtigt werden. Vorgesehen sind auch regelmäßige Treffen der Beauftragten sowie Veranstaltungen.

Das Projekt geht auf eine österreichische Initiative zurück. Das österreichische Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten und die Vertretung der Europäischen Kommission in Österreich riefen „Europa fängt in der Gemeinde an“ 2010 ins Leben. 1579 Europa-Gemeinderät*innen in 950 der insgesamt 2093 Kommunen im Nachbarland sind dort inzwischen dabei. Es gibt ein Magazin, in dem über europäische Themen berichtet wird. Eine Internetseite, auf der Mitglieder mit Videobotschaften zum Beitritt aufrufen. Und es gibt regelmäßige Informationsfahrten nach Brüssel. Mittlerweile hat die Provinz Bozen-Südtirol das Projekt auch bei sich eingeführt.

Die im vergangenen Juni gestarteten Initiativen auf EU-Ebene funktionieren ähnlich. Nur heißen die Bindeglieder hier EU Councillors (EU-Beauftragte) – und die Akzeptanz beziehungsweise überhaupt die Bekanntheit sind nicht annähernd so groß wie in Österreich. Ein paar Hundert haben sich über die Internet-Plattform der EU-Kommission angemeldet, mehr bisher nicht. Italien stellt dabei laut EU-Kommission die meisten Mitglieder – eine dreistellige Zahl –, gefolgt von Spanien und Portugal. Deutschland liegt auf Platz vier mit 28 Beauftragten. 7 stammen aus Bayern. Zum Vergleich: Allein im Freistaat gibt es 2056 Kommunen. Es gäbe also deutlich mehr Potenzial. 

„Das hat man bei der EU-Kommission unterschätzt“, sagt Tobias Gotthardt (Freie Wähler), Vorsitzender des Europaausschusses im Landtag, der auch stellvertretendes Mitglied im Europäischen Ausschuss der Regionen ist. Das für das Projekt zuständige Personal der EU-Kommission verfüge nicht über dieselbe Zahl an Kontakten in die Gemeinden, so wie sie die Regionalpolitiker*innen haben. So ist es ungleich schwerer, Kommunikationswege aufzubauen. 

Auf Gotthardts Initiative hin wurde daher auf regionaler Ebene eine weitere Plattform geschaffen – allerdings nicht als Konkurrenz, sondern als Ergänzung, wie Gotthardt betont. Der Politiker nennt es „das Einfallstor in das europäische Netzwerk“.

„EuropaGemeindeRäte Bayern“, so der Name dieses Einfallstors, ist ein überparteiliches Projekt der Europäischen Akademie Bayern, finanziell unterstützt vom bayerischen Kultusministerium. Über die direkten Kontakte in die Gemeinden sollen deutlich mehr Interessierte in Bayern gefunden werden. Dazu soll es auf Bayern zugeschnittene digitale und Vor-Ort-Angebote geben. Immerhin sind 250 000 Euro im aktuellen Haushalt dafür eingeplant. Eine erste Bewerbungsfrist läuft Ende der Woche ab. Gotthardt ist zuversichtlich, dass so mehr Schwung in die Initiative kommt.

Die Bevölkerung wird um ihre Meinung gebeten

Zusätzlich zur Vernetzung mit Verantwortlichen aus der Lokalpolitik will sich die EU auch mit der europäischen Bevölkerung austauschen. Startschuss dazu war die Konferenz zur Zukunft in Europa von April 2021 bis Mai 2022. Im Vorfeld waren Tausende Menschen per Zufallsgenerator angerufen und zur Konferenz eingeladen worden. 800 Leute, 11 davon aus Bayern, folgten schließlich der Einladung. Sie formulierten am Ende 49 Vorschläge, deren Essenz die EU-Kommission dann auch in ihr Arbeitsprogramm für 2023 übernahm. Unter anderem ging es um Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit und digitalen Wandel. Themen also, die ziemlich sicher auch ohne Bürgerbeteiligung berücksichtigt worden wären.

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) gab schließlich bekannt, dass die Bürgerbeteiligung nun fest in der EU-Politik verankert wird. Ziel ist der regelmäßige Austausch mit EU-Bürger*innen. Zwischen Dezember und Ende April fanden nun auch schon drei solche Treffen statt. Die Themen waren Müllverschwendung, Zugang zur Bildung für alle und virtuelle Welten. Alle dabei entstandenen Empfehlungen sollen laut Kommission Eingang in die jeweiligen EU-Gesetzgebungsverfahren finden.

In Vorbereitung ist außerdem eine interaktive zentrale Online-Plattform, über die sich die Bevölkerung EU-weit mit ihren politischen Anliegen einbringen kann. Bleibt nur zu hoffen, dass diese Plattform dann besser beworben wird als die Werbeaktion für potenzielle EU-Beauftragte. (Thorsten Stark)
 

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