Seit dem Wochenende tobt ein Streit um Impfdaten in Bayern. Weil das Landesamt für Gesundheit positiv getestete Personen mit unbekanntem Impfstatus einfach als ungeimpft verbucht. So ergibt sich ein verfälschtes Bild. Die FDP fühlt sich getäuscht, auch die SPD ist alarmiert.
BSZ: Herr Hagen, warum sind Sie erst jetzt aufgewacht? Es ist nicht das erste Mal, dass die Staatsregierung mit fragwürdigen Corona-Zahlen hantiert. Ministerpräsident Markus Söder spricht seit Wochen von 90 Prozent Ungeimpften auf Intensivstationen. Obwohl das RKI hier sehr viel niedrigere Quoten nennt.
Martin Hagen: Bis zum Herbst lagen auf den Intensivstationen tatsächlich 90 Prozent Ungeimpfte, inzwischen hat sich das Bild verändert. Trotzdem bleibt es richtig, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt. Aber mit falschen Zahlen zu hantieren geht einfach gar nicht. Das beschädigt Vertrauen. Zu den Inzidenzen: Wir sind davon ausgegangen, dass man Zahlen einer bayerischen Behörde glauben kann. Dass hier offensichtlich völlig falsche Zahlen veröffentlicht wurden, hat uns schockiert.
BSZ: Aber auf der Webseite vom Landesamt steht doch, dass Personen mit unbekanntem Status als ungeimpft verbucht werden.
Hagen: Das stand bisher im Kleingedruckten, versteckt unter einem weiterführenden Link. Und dass die Unbekannten 70 Prozent ausmachen, hat erst die Recherche einer Tageszeitung ergeben. Abgesehen davon: Die Unbekannten pauschal als ungeimpft zu werten, ist einfach unseriös.
BSZ: Was fordern Sie jetzt konkret?
Hagen: Erstens wollen wir, dass die Daten künftig besser erfasst und ausgewertet werden. Zweitens müssen bestimmte Themen vor dem Hintergrund der falschen Datengrundlage noch mal überdacht und gegebenenfalls neu bewertet werden. Das betrifft zum Beispiel die von Markus Söder befeuerte Debatte über eine allgemeine Impfpflicht. Es macht für die Abwägung einen Unterschied, ob sich die Inzidenz von Geimpften und Ungeimpften um den Faktor 15 unterscheidet, wie die Staatsregierung bisher behauptet hat, oder um den Faktor 2,5 bis 3, wie es das RKI sagt. Entscheidender als die Inzidenz sollte aber ohnehin die Lage in den Krankenhäusern sein.
„Vor diesem Hintergrund muss die Impfpflichtforderung überdacht werden“
BSZ: Und warum haben Sie nicht früher kritisiert, dass zudem unrichtige Intensivzahlen genannt werden, also: 90 Prozent Ungeimpfte auf Intensivstationen?
Hagen: Das war ja, wie gesagt, vor einigen Monaten noch zutreffend. Inzwischen liegen dort neben Ungeimpften auch viele Ältere, die zu Jahresbeginn geimpft wurden und bei denen der Impfschutz inzwischen nachgelassen hat. Was zeigt, dass man die Booster-Kampagne deutlich früher hätte beginnen müssen.
BSZ: Es war doch unter anderem aus Israel bekannt, dass die Wirkung der Impfstoffe nach fünf bis sechs Monaten nachlässt. Auch hier kann ich mich nicht an Forderungen der FDP erinnern, für den Spätsommer Booster anzubieten. Stattdessen stand plötzlich die Impfpflicht im Raum.
Hagen: Ich halte die Debatte über eine allgemeine Impfpflicht jetzt für ein Ablenkungsmanöver. Das bringt uns in der vierten Welle nicht weiter. Die CSU möchte davon ablenken, was versäumt wurde, zum Beispiel Pflegepersonal zu rekrutieren oder ältere Menschen rechtzeitig zu boostern. Das ist nicht erfolgt und deshalb haben wir jetzt diese massiven Probleme auf den Intensivstationen.
BSZ: Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner sieht das anders und plädiert für die Impfpflicht.
Hagen: Christian Lindner hat sich offen gezeigt für die Debatte um eine allgemeine Impfpflicht. Das ist eine Debatte, die in allen Parteien geführt werden muss. Aber nicht als Schnellschuss und nicht mit überstürzten Vorfestlegungen, sondern als gründliche und fundierte Abwägung mit Blick auf die nächsten Jahre. Denn natürlich muss man überlegen, wie wir aus dieser Dauerschleife rauskommen: Es kann nicht sein, dass wir jeden Herbst wieder vor den gleichen Problemen stehen und den Alltag der Menschen einschränken müssen. Ich persönlich – und ich weiß, dass das viele meiner Parteifreunde so sehen – halte eine allgemeine, altersunabhängige Impfpflicht für unverhältnismäßig. Einrichtungsbezogen, also für das Personal in Kliniken und Pflegeheimen, ist das was anderes – da geht es um den Schutz vulnerabler Gruppen. Und als Ultima Ratio sollte man auch eine Impfpflicht für bestimmte Altersgruppen nicht ausschließen, falls das notwendig ist, um eine Überlastung der Krankenhäuser zu verhindern. Aber vielleicht steigt die Impfquote ja noch mal, wenn nächstes Jahr die Totimpfstoffe auf den Markt kommen.
BSZ: Kann es sein, dass die plötzliche Entrüstung der FDP über inkorrekte Zahlen auch daher rührt, dass sich viele Ihrer Anhänger*innen getäuscht sehen? Weil die FDP vor der Wahl eine Impfpflicht ausgeschlossen hat.
Hagen: Sie werden zur Impfpflicht keine Aussage in unserem Wahlprogramm finden. Die FDP wird diese Debatte nun sehr differenziert führen. Wir sind die Partei, die sich am schwersten damit tut, in die Rechte des Einzelnen einzugreifen. Deshalb ist es auch gut, dass darüber im Bundestag ohne Fraktionszwang abgestimmt werden soll. Denn es geht nicht um parteipolitische Fragen, sondern um eine Gewissensentscheidung.
BSZ: Was halten Sie von der Forderung, ein zentrales Impfregister aufzubauen, um zu sehen, wer welche Impfungen erhalten hat?
Hagen: Mit Blick auf Corona glaube ich, dass eine bessere Datenerhebung grundsätzlich gut wäre. Auch die aktuelle Affäre um Zahlen des Landesamts für Gesundheit zeigt ja, dass wir viel zu lückenhaft Daten erfassen. Es war ja leider auch so, dass im bayerischen Impfportal alle Daten im Sommer wieder gelöscht wurden. Das sind Daten, die jetzt fehlen, wenn es darum geht, Menschen gezielt anzusprechen, wenn ihre Auffrischungsimpfung ansteht. Ein zentrales Register für alle möglichen Impfungen halte ich aber für falsch, mir geht es ganz konkret um die Bewältigung der akuten Corona-Krise.
BSZ: Zum Impfvorbild Bremen. Dort sind bekanntlich mittels guter Organisation fast alle Erwachsenen geimpft. Auch hier habe ich nicht vernommen, dass die FDP für Bayern oder ganz Deutschland ähnliche Maßnahmen gefordert hätte.
Hagen: Ich habe immer lautstark auf Norddeutschland verwiesen, vor allem auf Schleswig-Holstein, das die höchste Impfquote der Flächenländer hat. Die Impfkampagnen dieser Länder waren deutlich erfolgreicher als die bayerische.
BSZ: Wie sehen Sie eigentlich die Situation der offiziell Genesenen, über die kaum geredet wird? Das sind hierzulande über fünf Millionen Menschen. Diese haben nur für ein halbes Jahr den Genesenen-Status, was von vielen Fachleuten beklagt wird. Und diejenigen, die nie einen positiven PCR-Test hatten, aber trotzdem Antikörper besitzen, fallen völlig durch den Rost.
Hagen: Im Landtag hat die FDP beantragt, dass Antikörpertests anerkannt werden. Wenn jemand nachweisen kann, dass er immun ist, dann soll diese Person nicht zum Impfen gedrängt werden. (Interview: Waltraud Taschner)
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