Politik

Der 77-jährige FDP-Mann Wolfgang Heubisch hat mehr Tiktok-Follower als Markus Söder. Wie macht er das? (Foto: dpa/Sven Hoppe)

12.04.2024

Die Politik liebt Tiktok

Trotz Datenschutzbedenken

Seit dieser Woche hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) einen eigenen Tiktok-Kanal. Die chinesische Social-Media-Plattform ist vor allem durch ihre Tanz-Videos erfolgreich geworden. Die allerdings will Scholz seinen bisher 125.000 Followern ersparen, versichert er. Dafür kann man ihm zum Beispiel dabei zugucken, wie er nach einer Podiumsdiskussion Wein geschenkt bekommt.
Mit seinem Account liegt der Kanzler im Trend: Immer mehr deutsche Politiker*innen melden sich bei Tiktok an – zuletzt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) mit knapp 42.000 Followern. Immerhin mit sachlichen Inhalten: „Wie kann ich mein E-Rezept einlösen“.

Scholz’ Tiktok-Anmeldung erfolgte kurz vor seiner Reise nach China. Zufall? Das Problem: Die Plattform ist wegen des vermuteten Einflusses der kommunistischen Führung und entsprechender Fake News umstritten. Sowohl US-Bundesbehörden als auch das EU-Parlament haben wegen Datenschutzbedenken die App von Diensthandys verbannt, Washington treibt sogar ein komplettes Verbot voran. Die Bundesregierung verweist indes darauf, dass sich sowohl der französische Präsident Emmanuel Macron (4,2 Millionen Follower) als auch der amerikanische Präsident Joe Biden (er hat nur 300.000 Follower) Tiktok-Kanäle eingerichtet hätten.

Woher der plötzliche Run auf Tiktok trotz der Vorbehalte kommt? Es liegt wohl an der Reichweite. Die Userzahlen in Deutschland sind in wenigen Jahren rasant gestiegen und liegen inzwischen bei über 21 Millionen Menschen – pro Monat. Bei den 14- bis 25-Jährigen war Tiktok laut Umfragen sogar die meistgenutzte App.

Söder hatte schon früh den richtigen Riecher

Hinzu kommt: Die Tiktok-Videos des offiziellen Kanals der AfD-Bundestagsfraktion erreichten 2022 und 2023 im Schnitt knapp eine halbe Million Klicks pro Video. Da will die politische Konkurrenz natürlich mithalten. Bisher kamen die anderen Bundestagsfraktionen lediglich auf 53.000 (FDP), 38.000 (CSU), 22.000 (SPD) und 27.000 (Linke). Die CDU ist erst seit Dezember 2023 dabei.

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte wie schon in der Vergangenheit in puncto Popularität und Populismus früh den richtigen Riecher. Er ist seit rund vier Jahren bei Tiktok und hat 70.000 Follower. Besonders erfolgreich: seine Reihe #söderisst. Fischsemmel, Bratwurst, Eier mit Sucuk. Die türkische Knoblauchwurst kam nicht bei allen Followern gut an. An Ostern startete er eine Auktion für ein überdimensionales Schokoladenosterei mit seinem Konterfei drauf. Und sorgte damit für gewaltiges Aufsehen.

Das ist ja alles ganz lustig. Aber: Wären politische Inhalte auf Social Media für die Demokratie nicht förderlicher? Es gehe vor allem darum, „eine Verbindung zur jüngsten Social-Media-Generation aufzubauen“, erklärt die CSU-Fraktion im bayerischen Landtag auf Anfrage der Staatszeitung. „Lifestyle-Themen sind für die Follower deutlich interessanter als Politiktheorie“, meint der Freie-Wähler-Abgeordnete Julian Preidl.

Früher gab’s Homestories, heute Tiktok-Videos

Er empfiehlt einen Mix aus „Spaß, selbstironischer Comedy und seriösem Content“. Kritischer ist die Landtagsopposition: „Wenn der Account fast nur noch aus Ego-Show und Essensbildern besteht, wird es schwierig“, lästert SPD-Fraktionschef Florian von Brunn mit Blick auf die Söder-Posts.

Weniger kritisch ist der Grünen-Landtagsabgeordnete Benjamin Adjei. „Besonders jüngere Menschen wollen mehr sehen als Hochglanz-Pressefotos und auch mal einen Blick hinter die Kulissen ins real life werfen“, erklärt er. Das bestätigt der Münchner Kommunikationsprofessor Benjamin Krämer. „Vorläufer sind Homestories in den klassischen Medien.“ Das habe es schon bei Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) in den 50er-Jahren gegeben. Ob damit aber Menschen für Politik begeistert werden können, bezweifelt Krämer. „Ein Wundermittel gegen Politikverdrossenheit ist das sicher nicht.“

Zuspitzen und polarisieren

Die AfD ist in sozialen Netzwerken vor allem durch Zuspitzung, Polarisierung und Sensationalismus erfolgreich. „Echte Männer sind rechts, echte Männer haben Ideale, echte Männer sind Patrioten, dann klappt es auch mit der Freundin“, postete zum Beispiel der umstrittene AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah zur Europawahl. Der Post wurde 1,4 Millionen mal geklickt. Tiktok Deutschland hat Krahs Reichweite übrigens zwischenzeitlich eingeschränkt: Drei Monate lang darf er nur 10.000 Leute erreichen, wegen „wiederholter Verstöße gegen die Community-Richtlinien“.

Was folgt aus alledem? Der Kommunikationswissenschaftler Olaf Hoffjann von der Uni Bamberg wirbt dafür, für Positionen der demokratischen Mitte klarer, verständlicher und emotionaler zu werben. „Da sind viele demokratische Parteien und Politiker in den sozialen Medien noch sehr mutlos und ambitionslos – das gilt gerade für TikTok,“ sagt Hofjann.

Und der Ex-Landtagsabgeordnete Wolfgang Heubisch von der FDP (77), der mit 113.000 Tiktok-Followern zum Social-Media-Star wurde, rät: „Eine Partei muss eine Gesamtstrategie entwickeln zusammen mit jungen, coolen Leuten.“ Leider werde das viel zu wenig versucht.
(David Lohmann)

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