Politik

Der Landtag hat zwar einen eigenen Kindergarten. Doch richten sich dessen Öffnungszeiten leider nicht nach den Sitzungszeiten.(Foto: Ralf Kruse)

05.04.2019

Die Sorgen und Nöte von Polit-Eltern

Landespolitiker reden gern von familienfreundlicher Politik – doch wie sieht es bei ihnen selbst aus, im bayerischen Landtag?

Drei Sitzungstage pro Woche, volle Terminkalender gern auch am Wochenende: Das Leben von bayerischen Landespolitikern ist nicht besonders familienfreundlich. Zwar erlaubt das Kinderhaus Minimaxi allen, die im Landtag tätig sind, Einjährige bis zum Schuleintritt von 7.30 Uhr bis 17 Uhr betreuen zu lassen. Aber der Arbeitsalltag eines Abgeordneten hält sich nicht an solche Zeiten. Getagt wird regelmäßig in den Abend und die Nacht hinein. Während die Landtagsmitarbeiter von flexiblen Arbeitszeitreglungen profitieren, haben die Abgeordneten Präsenzpflicht. Nur die sitzungsfreien Tage erlauben ihnen gewisse Freiheiten – um zahllose Termine herum, die ganz selbstverständlich den Kalender füllen.

Hinzu kommt: Mutterschutz und Elternzeit gibt es für die bayerischen Landtagsabgeordneten nicht. Fehlen die Politiker vor und nach der Geburt eines Kindes, entgeht ihnen zwar nicht ihr Fixgehalt, sehr wohl aber die Aufwandspauschale, die für Sitzungsteilnahme bezahlt wird.

Barbara Stamm war Pionierin in Sachen Kinderfreundlichkeit

Dass hier nachgebessert werden muss, war bereits der ehemaligen Landtagspräsidentin Barbara Stamm klar. Stamm hat sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingesetzt wie keine/r vor ihr. Als die CSU-Politikerin, selbst Mutter, in den Landtag einzog, gab es für Kinder, wie sie sich erinnert, „gar nichts, null“. Im vierten Stock des Landtagsgebäudes hängen inzwischen drei Zertifikate, die bezeugen: Stamm hat aus diesem Nichts eine ganze Menge gemacht. Als Arbeitgeber, der familienbewusste Personalpolitik nachhaltig umsetzt, wurde das Landtagsamt nämlich mehrfach mit dem „audit berufundfamilie“ der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung ausgezeichnet.

Der Kindergarten, das Homeoffice, das Mutter-Kind-Zimmer, Gleitzeit und die garantierte Rückkehr in den Beruf nach längerer Abwesenheit für Landtagsmitarbeiter und -mitarbeiterinnen: All das hat Stamm als Landtagspräsidentin angeschoben. Auch für unkomplizierte Unterstützung war sie zu haben. Wie sie erzählt, parkte bei ihr im Bürokühlschrank hin und wieder ein Fläschchen Babymilch für den Abgeordnetennachwuchs. So was ist viel wert, signalisiert es doch: Kinder sind wichtig. Nicht nur für die Eltern, sondern für die gesamte Gesellschaft. Zu recht ist Barbara Stamm im ersten Frühling nach ihrem Abschied aus der Politik stolz auf diese Errungenschaften. Aber sie findet: „Da ist noch Luft nach oben.“

Das sieht ihre Nachfolgerin Ilse Aigner ähnlich. Alle zwei Monate versammelt sie die frauenpolitischen Sprecherinnen der Fraktionen, um zu ermitteln, wie man die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch für die Landtagsabgeordneten steigern kann. Wäre es besser, statt der bisherigen drei Sitzungstage vier einzuräumen? Und die Zahl der Sitzungswochen entsprechend zu reduzieren, um längere Phasen in der Familie zu Hause zu ermöglichen? Solche und andere Überlegungen sind auf dem Tisch. Vorschläge gibt es einige, beschlossen ist nichts. Ein laufender Prozess.

Die Relevanz des Themas ist – gesellschaftspolitisch gesehen – offenkundig. Ganz kleine Kinder allerdings sind unter den Landespolitikern eher selten, jedenfalls bei den weiblichen Abgeordneten. Gerade Frauen entscheiden sich fast immer, erst nach den anspruchsvollsten ersten Familienjahren in die Politik zu gehen. Das erschwert es, Neuerungen durchzusetzen. Andererseits: Auch vor der Gründung des Kindergartens Minimaxi hieß es, es bestehe kein Bedarf an Betreuungsplätzen. Offenbar entstand die Nachfrage mit dem Angebot. Und: Auch immer mehr Männer wünschen sich, Familie und Beruf verbinden zu können.

Bei den Grünen macht sich der Fraktionsvorsitzende Ludwig Hartmann, Vater eines Dreijährigen, für Familienfreundlichkeit stark. Der Wickelplatz, derzeit im Keller des Nordanbaus untergebracht, gehöre nicht ins Abseits, findet Hartmann, sondern in den Altbau. Für Mitarbeiter mit Nachwuchs im Grundschulalter wäre ein Raum für Hausaufgaben und Zeitvertreib ein großer Gewinn – auch in den Ferien. Und um es Politikern zu erleichtern, in Elternzeit zu gehen, empfiehlt Hartmann die Pairinglösung, die im Baden-Württemberger Landtag fraktionsübergreifend ausgehandelt wurde. Fehlt dort eine Mutter oder ein Vater in Elternzeit im Plenarsaal, verzichtet auch ein Abgeordneter der Gegenseite auf sein Stimmrecht. So bleiben die Kräfteverhältnisse gleich. Eine solidarische Lösung, von der man bisher im bayerischen Landtag nur träumen kann. Geht ein Abgeordneter hier in Elternzeit, wird dies, wie Hartmann weiß, in sozialen Medien gern mal skandalisiert. „Da wird der treusorgende Papa dann schnell zum vermeintlich faulsten Abgeordneten.“

Auch Tanja Schorer-Dremel, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CSU und Vorsitzende der Kinderkommission des Landtags, hat Sympathien für das Pairingmodell des Baden-Württemberger Landtags. Besonders wichtig findet sie außerdem, den Mutterschutz einzuführen. „Das wäre der allererste Schritt.“

Nicht jedes Problem lässt sich allerdings per Beschluss lösen. „Als Abgeordnete ist man nie fertig“, sagt Schorer-Dremel. „Da ist Selbstdisziplin gefragt und ein gutes Arbeitsmangement. Und der Mut, mal einen Termin abzusagen mit dem Hinweis, der Samstag oder Sonntag gehört der Familie. Das müssen wir lernen.“

Auch ihre Kollegin Susann Enders von den Freien Wählern findet: Über den Landtag allein lasse sich das Problem der Vereinbarkeit nicht lösen. „Selbst wenn der Kindergarten sämtliche Plenarzeiten abdecken würde: Wir müssen an das Wohl der Kinder denken.“ Denn die sollen nicht nur sicher und gut verwahrt werden, sie brauchen auch ihre Eltern. Zur Firmung ihrer 14-jährigen Tochter am vergangenen Wochenende hat Enders darum alle anderen Termine abgesagt. Denn auch, wenn sie ihren Job mit dem eines Piloten, der nicht einfach so mitten im Atlantikflug umkehren kann, vergleicht, gilt für die ehemalige OP-Schwester: „Familie hat oberste Priorität.“
(Monika Goetsch)

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