Politik

Windstrom wird hauptsächlich im Norden produziert, doch wie kommt er nach Süddeutschland? Ein Problem, das man lösen muss. (Foto: dpa/Patrick Pleul)

27.01.2023

Die Tücken der Energiewende

Wenn im Norden viel Wind weht, braucht der Süden Atomstrom

Nachhaltigkeit, Klimawandel, hohe Stromkosten: Es gibt viele gute Gründe, warum Deutschland auf den Ausbau der erneuerbaren Energien setzt. Allerdings hat die Politik bei der Umstellung einen wesentlichen Punkt vergessen. Denn aktuell wird im Süden immer wieder der Strom knapp, wenn im Norden zu viel Windenergie entsteht.

Zu beobachten war das zuletzt wieder Mitte Januar. Süddeutsche Netzbetreiber mussten den Strom von Windrädern aus dem Norden abriegeln, weil zu viel Windenergie entstand. Und im Süden Strom aus nicht erneuerbarer Energie dazukaufen. Was absurd klingt, ist ein zentrales Problem der Energiewende. Denn es gibt zwar inzwischen ausreichend erneuerbaren Strom – nur leider entsteht er an der falschen Stelle.

Wenn in den nördlichen Bundesländern viel Windenergie entsteht, sinken die Preise an der Strombörse in ganz Deutschland gegen Null oder sogar ins Negative. Dann kaufen Unternehmen wie zum Beispiel der Münchner Automobilhersteller BMW viel Strom ein. Weil dieser aber nicht schnell genug von Nord nach Süd transportiert werden kann und manche Kraftwerke wegen der niedrigen Energiekosten die Produktion einstellen, müssen fossile Kraftwerke die Energie liefern – zum selben Preis. Redispatchmaßnahmen, nennen das Fachleute.

Die Preisdifferenz zahlen die Endverbraucher*innen über die Netzentgelte, die inzwischen ein Viertel der Stromrechnung ausmachen. 1,2 Milliarden Euro kosteten 2021 die Eingriffe ins Stromnetz. Die Preise sind wegen der Energiekrise und trotz Regulierung der Bundesnetzagentur zuletzt deutlich gestiegen. Pro Jahr fließen schätzungsweise 18 bis 22 Milliarden Euro in die Kassen der Netzbetreiber. Die genauen Kosten sind aufgrund der intransparenten Regulierungspraxis nicht bekannt.

Zu wenig Strom im Süden, wenn im Norden der Wind weht? „Das Szenario ist leider Realität“, bestätigt Martin Bichler von der TU München. Er forscht schon lange zu Strommärkten und Preisbildung. In Deutschland fehle es an einer regional unterschiedlichen Preisgestaltung. „Mit lokal differenzierten Preisen kann man besser auf die Volatilität von Wind und Sonne reagieren und das Stromsystem damit auch leichter und besser stabilisieren.“ In den USA sei dies bereits der Fall.

Eine Lösung wären also regionale Strompreiszonen, beispielsweise für Nord- und Süddeutschland. Die EU-Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden hat sogar vorgeschlagen, Deutschland in fünf verschiedene Strompreiszonen aufzuteilen. BMW würde dann als Beispiel nicht mehr von einem günstigen Börsenpreis profitieren, wenn im Norden viel Wind weht. Entscheidend wäre viel mehr die Stromproduktion im Süden. Von dieser Regelung würden insbesondere Betreiber*innen von Anlagen für erneuerbare Energien profitieren.

Strompreiszonen könnten helfen – sind aber unbeliebt

Grundsätzlich befürworten daher die meisten Fachleute diesen Ansatz, beispielsweise der Bund Naturschutz in Bayern. „Durch die einheitliche Strompreiszone ist der Anreiz für den Stromverbrauch dann hoch, wenn Überangebot an Strom besteht.“ Das kritisieren auch viele Politiker*innen – aber nur hinter vorgehaltener Hand. Denn verschiedene Strompreiszonen würden die Energiekosten in Bayern erhöhen. Und damit zu einem Standortnachteil für die heimische Industrie führen. Ein politisch äußerst unpopulärer Vorschlag.

Der Bundesverband Erneuerbare Energie kritisiert zusätzlich, dass sich der Ausbau von erneuerbaren Energien in niedrigeren Preiszonen nicht mehr lohne. „Für Anlagenbetreiber wird es dann zu einem Glücksspiel, ob sie in ihrer Region langfristig mit ihren geplanten Marktwerten bestehen können oder nicht“, sagt ein Sprecher. Dies hemme den weiteren Ausbau von zum Beispiel Windkraftanlagen. Der Verteilnetzbetreiber Bayernwerk befürchtet, dass durch unterschiedliche Preiszonen konventionelle Kraftwerke länger im Einsatz bleiben, „ohne dass CO2-Einsparungen erreicht werden“.

Was also tun? Die Grünen im Landtag fordern, in Bayern dringend mehr Leitungen zu bauen, um den Strom schneller von Nord nach Süd zu bringen. Dadurch würden sich die Diskussionen um verschiedene Preiszonen erübrigen. „Die Staatregierung hat zwar viel über den Ausbau geredet, ihn aber seit Jahren völlig verpennt“, sagt deren Energieexperte Martin Stümpfig. In dieselbe Kerbe schlägt das Bundesklimaschutzministerium von Robert Habeck (Grüne).

Wenn die Netze nicht ausgebaut werden, trifft das besonders die erneuerbaren Energien. Ist das Stromnetz überlastet, müssen die Anlagen abgeregelt werden. Im Jahr 2020 gingen auf diese Weise rund 6 Milliarden Kilowattstunden Strom einfach verloren – etwa ein Prozent der gesamten Stromerzeugung.
(David Lohmann)

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