Es ist wieder so weit: Wie alle sechs Jahre wird deutschlandweit die Sozialwahl durchgeführt. Die entsprechenden Briefumschläge sind längst in den Haushalten der Wahlberechtigten eingetrudelt. Was man bis zum 31. Mai allerdings wirklich wählt und warum, dürfte vielen nicht ganz so klar sein. Obwohl die Wahl bereits seit 70 Jahren durchgeführt wird und nach Europa- und Deutschlandwahl die drittgrößte hierzulande ist.
„Der Erklärungsbedarf ist groß“, sagt Doris Unger. Seit 2017 sitzt die Unternehmerin aus Bechhofen im Landkreis Ansbach im Sozialparlament der Techniker Krankenkasse. Auch diesmal hat sie sich wieder aufstellen lassen: „Ich bin der Meinung: Man muss sich einbringen, um den Willen des Volkes widerzuspiegeln.“
Weil bei den Sozialversicherungen – wie auch in den Kirchen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – das Prinzip der Selbstverwaltung gilt, sind die Sozialparlamente als Kontrollgremium unverzichtbar. Sie wirken mit bei Entscheidungen über Rente und Gesundheit, sie beschließen die Haushalte der Versicherungen und überprüfen die Angebote der Krankenkassen. Die Ehrenamtlichen, die pro Jahr an mehreren Sitzungen teilnehmen und dafür jeweils 79 Euro plus Reisekosten erhalten, machen sich für die Rechte der Versicherten stark, sie informieren und beraten. Wird eine Reha abgewiesen, unterstützen sie sie dabei, Widerspruch einzulegen. Die Parlamente sind also eine echte soziale Errungenschaft.
Die Ehrenamtlichen in den Sozialparlamenten helfen auch bei Reha-Anträgen
Dennoch: Als Doris Unger in ihrem Betrieb Flyer auslegte, die zur Teilnahme an der Sozialwahl aufriefen, kamen viele Rückfragen. „Den normalen Arbeitnehmern ist das Thema Sozialwahl nicht präsent.“ Dabei dürfen bei der Sozialwahl bereits 16-Jährige wählen. Auch die Staatsangehörigkeit spielt keine Rolle: Stimmberechtigt sind alle, die Beiträge in die Rentenversicherung oder eine Ersatzkasse einzahlen. Häufig flattert deswegen nicht nur ein Schreiben ins Haus, es kommen gleich zwei Briefe an – einer von der Krankenkasse, einer von der Rentenversicherung. Gewählt wird dann doppelt, pro Umschlag mit einer Stimme. Von manchen Krankenversicherungen kommt allerdings gar kein Brief. Dort gilt das Prinzip der Friedenswahl: Die Kandidaten und Kandidatinnen ziehen automatisch ein, ohne gewählt werden zu müssen. Doris Unger allerdings wurde wie all die anderen Vertreterinnen und Vertreter der Ersatzkassen und der Rentenversicherung via Liste ins Sozialparlament gewählt.
Die Anzahl der Listen, die zur Auswahl stehen, variiert: Bei der Deutschen Rentenversicherung sind es 13, bei der Techniker Krankenkasse vier, bei der Barmer sechs. Die sogenannten Listenträger – etwa Gewerkschaften oder Arbeitnehmervereinigungen – entscheiden selbst darüber, wer auf die Liste kommt. Wenn man sich aufstellen lassen will, muss man bei einem der Versicherungsträger versichert oder angestellt sein. „Es gelingt besonders Listen, die deutlich machen, dass sie nah an der Lebenswelt der Versicherten agieren, viele Wähler und Wählerinnen zu mobilisieren“, so eine Sprecherin der Sozialwahl 2023. So treten die gewerkschaftlichen Selbstverwalter*innen für eine solidarisch finanzierte Krankenversicherung und eine flächendeckende hochwertige Versorgung aller Versicherten ein – unabhängig von Einkommen, Alter oder sozialer Situation. Sie kämpfen für einen konsequenten Ausbau von Prävention und Gesundheitsförderung und umfassende Pflegeberatungen.
Doris Unger dagegen möchte im Sozialparlament die Stimme mittelständischer Unternehmen stärken. „Es ist wichtig, den Blick auf den Mittelstand zu richten, weil dessen Problematik häufig untergeht!“ Der Bayerische Jagdverband wiederum macht sich für die Rechte der Jäger*innen stark. Einsetzen will man sich vor allem für einen geringeren Grundbeitrag und bessere Präventionsleistungen für Inhaber*innen von Jagdrevieren. Verärgerung herrscht hier bekanntlich über die Pflichtmitgliedschaft in der Versicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG). „Solange wir dort Mitglied sein müssen“, so Josef Schneider vom Präsidium des Deutschen Jagdverbands, „wollen wir auch mitbestimmen.“ Kritik übt der Verband allerdings an dem komplizierten Teilnahmeverfahren bei den Sozialwahlen: Die Jäger*innen müssen nämlich einen Fragebogen ausfüllen und abschicken, um die Wahlunterlagen zu bekommen. Wahlberechtigt sind nur die Inhaber von Jagdrevieren, die keine Angestellten beschäftigen.
Ein Prinzip, das die Wahl auch für die bayerische Bauernschaft erschwert. „Umständlich ist das schon, nicht jeder füllt gern einen Fragebogen aus“, sagt Christine Singer vom Bayerischen Bauernverband. Sie lässt sich von Umständlichkeiten allerdings nicht abhalten. Schon seit vielen Jahren ist sie im Sozialparlament tätig. „Ich versuche, das Bestmögliche für alle Versicherten auf den Weg zu bringen.“ Vor allem geht es ihr darum, die bestehenden Angebote bekannter zu machen, etwa im Bereich seelische Gesundheit oder Gehsicherheit. Gerade hat sie an einem Sicherheitstag für Haus und Hof mitgewirkt. Auf ihre Arbeit im Sozialparlament ist sie stolz: „Ich habe dafür gesorgt, dass die guten Angebote des SVLFG bei den Versicherten landen“, sagt sie.
Zwei Neuerungen könnten die Sozialwahl künftig noch bekannter machen: Erstmals kann bei den Ersatzkassen in diesem Jahr auch online abgestimmt werden. Und: Es gilt eine Frauenquote. So will man mehr jüngere Menschen und Frauen für die Wahl gewinnen. Dringend nötig ist das auf jeden Fall: Beim letzten Mal lag die Wahlbeteiligung deutschlandweit bei nur 30,42 Prozent. (Monika Goetsch)
Kommentare (0)
Es sind noch keine Kommentare vorhanden!