Politik

In letzter Zeit fallen vermehrt Soldatinnen und Soldaten wegen ihres rechtsextremen Gedankenguts auf. (Foto: dpa/Monika Skolimowska)

10.07.2020

"Die Vorgänge sollten uns Sorgen bereiten"

Politikwissenschaftler Carlo Masala über die rechten Umtriebe in der Bundeswehr, die diskutierte Rückkehr zur Wehrpflicht und den US-Truppenabzug aus Bayern

Die Bundeswehr kommt nicht aus den Schlagzeilen. Nach den jüngsten Rechtsextremismus-Skandalen soll jetzt hart durchgegriffen werden. Carlo Masala von der Bundeswehruniversität spricht im BSZ-Interview über die Strukturreform, Deutschlands Vorsitz im UN-Sicherheitsrat und den kürzlich verschwundenen Sprengstoff. 

BSZ: Herr Masala, die Spezialeinheit KSK der Bundeswehr vermisst 65 000 Schuss Munition und 62 Kilogramm Sprengstoff. Wie kann das passieren?
Carlo Masala: Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder sie wurden geklaut und liegen irgendwo in einer Gartenlaube oder es wurde nicht richtig gezählt. Munition könnte auch bei einem Auslandseinsatz zurückgelassen worden sein. Grundsätzlich sind 65 000 Schuss nicht so viel. Da verballert ein kleiner bayerischer Schützenverein mehr im Jahr. Größere Sorgen mache ich mir um die 62 Kilogramm Sprengstoff. Damit sprengt das KSK Löcher in Wände, da ist ein ziemlicher Wumms dahinter.

BSZ: Erst im Mai fanden Ermittler Sprengstoff und ein Maschinengewehr auf dem Privatgelände eines Kommandosoldaten. Besteht die Gefahr, dass die entwendete Ausrüstung gegen Deutsche oder Migranten eingesetzt wird?
Masala: Sagen wir so: Wer Sprengstoff klaut, tut das nicht, weil er ein bisschen davon zu Hause haben will. Munition könnte man noch für den privaten Gebrauch nutzen. Wenn der Sprengstoff entwendet sein sollte, ist das etwas, was uns Sorgen bereiten sollte.

BSZ: Immer wieder fallen Soldaten wegen ihres rechtsextremen Gedankenguts auf – insbesondere beim KSK. Wurde zu lange weggeschaut?
Masala: Das Problem wurde immer ernst genommen. In der Tat häufen sich aber in letzter Zeit die Fälle beim KSK. Der Bericht des Militärischen Abschirmdiensts MAD von 2019 listet rund 600 Verdachtsfälle im Bereich Rechtsextremismus auf – davon auffällig viele beim KSK. Durch die angekündigte Strukturreform wird jetzt aber durchgegriffen. Außerdem wird der MAD reformiert und die Kooperation mit dem Verfassungsschutz vertieft.

BSZ: Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will die KSK-Truppe wegen ihrer rechten Umtriebe jetzt zum Teil auflösen. Das finden nicht alle zielführend.
Masala: Es ist der richtige erste Schritt. Dass eine Truppe aufgelöst wurde, gab es zum letzten Mal Ende der 50er-Jahre. Als Politologe kann ich nicht jede Maßnahme auf ihre Sinnhaftigkeit hin bewerten. Was ich aber politisch richtig finde, ist, dass die Truppe auf Bewährung gestellt wurde. Wenn sich die Situation bis Oktober nicht gebessert hat, wird es weitere Schritte geben. Daher ist der Druck beim KSK groß, für Aufklärung und Kontrolle zu sorgen. Es geht um nichts weniger als die Zukunft des KSK.

BSZ: Kürzlich wurde bekannt, dass die Bundeswehr neben Rechtsextremen auch einen islamistischen Extremisten in ihren Reihen hatte. Was läuft da schief?
Masala: Darauf gibt es keine einfache Antwort. Die zentrale Frage ist: Radikalisieren sich die Personen vor oder während ihrer Zeit beim KSK? Bei Ersterem hätte die Kontrolle des MAD versagt. Deswegen soll eine noch härtere Sicherheitsprüfung eingesetzt werden. Wenn sie sich im KSK radikalisieren, liegen die Ursachen wohl im Kommando selber. Es wurde eine wissenschaftliche Studie angeregt, um künftig entsprechende Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.

"Wir brauchen keine Wehrpflicht und hätten auch nicht die Strukturen dafür"

BSZ: Die neue Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) forderte eine Rückkehr zur Wehrpflicht – und erntete einen Shitstorm. Zu Recht? 
Masala: Ich glaube, Frau Högl wollte sich als Wehrbeauftragte positionieren und vom Verteidigungsministerium abgrenzen. Aber da hat sie komplett danebengeschossen. Insbesondere das Argument, mit einer Wehrpflicht ließe sich der Rechtsextremismus in der Truppe bekämpfen, geht ins Leere. Wir haben 600 Verdachtsfälle bei 180 000 Soldatinnen und Soldaten – das sind 0,3 Prozent. Studien zeigen, dass der Anteil Rechtsextremer in der normalen Bevölkerung viel größer ist. Aktuell brauchen wir keine Wehrpflicht und hätten auch nicht die Strukturen dafür. 

BSZ: US-Präsident Donald Trump hat angekündigt, 9500 Soldaten aus Deutschland abzuziehen. Ein taktisches Manöver oder eine beleidigte Trotzreaktion?
Masala: Es gibt in den USA schon lange Überlegungen, die Struktur der Streitkräfte auf neue Füße zu stellen. Der Zeitpunkt der Ankündigungen scheint aber eine Retourkutsche für Merkels Absage zu seinem G7-Gipfel zu sein. Was Trump übersieht: Die Streitkräfte sind nicht dazu da, um Deutschland zu verteidigen, sondern amerikanische Interessen im Mittleren und Nahen Osten und Persischen Golf zu vertreten. Außerdem dienen sie als Abschreckung gegenüber Russland. Sollte er also vor allem Kampftruppen aus Deutschland abziehen, schießt sich Trump wie so oft ins eigene Knie. 

BSZ: Was bedeutet der Abzug für die Truppenstandorte in Bayern, wo ein Großteil der US-Soldaten stationiert ist?
Masala: Ich kenne die genauen Zahlen für Bayern nicht, aber natürlich wird das zu wirtschaftlichen Einbußen führen. Wenn 500 Soldaten aus einer Kaserne abziehen, verkauft der Bäcker 1000 Brötchen am Tag weniger. Ähnlich empfindlich trifft es Handwerker oder andere Berufe. Der Abzug wird sich aber wohl nicht rückgängig machen lassen. Auch die US-Demokraten fordern ein größeres Eigenengagement der europäischen Staaten in der NATO. Sie formulieren es nur freundlicher.

BSZ: Deutschland gibt aktuell weniger als zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungszwecke aus. Warum hält sich die Bundesrepublik nicht an das selbst gesteckte Zwei-Prozent-Ziel?
Masala: Es wurde nie ein Vertrag unterschrieben. 2008 haben die Nato-Staaten beschlossen, sich bis 2024 auf das Zwei-Prozent-Ziel zuzubewegen. Jetzt kritisieren viele, dass es nicht schnell genug geht. Aber letztes Jahr wurden 40 Prozent mehr in den Verteidigungshaushalt gesteckt, das sind riesige Zuwächse. Wären es nicht nur 1,38, sondern 2,0 Prozent, wüssten wir gar nicht, was wir mit dem Geld machen sollten.

BSZ: Sie sagten kürzlich, das Zwei-Prozent-Ziel sei ein Fetisch.
Masala: Ja, das Ganze ist ein großer Irrsinn. Durch den Wirtschaftseinbruch wegen Corona können wir nächstes Jahr 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung stecken, ohne einen Cent mehr ausgegeben zu haben. Auch wurde nicht festgelegt, wofür das Geld ausgegeben werden soll. Griechenland zahlt zum Beispiel davon die Pensionen seiner Soldaten. Kriterien wie die Einsatzfähigkeit wären daher von entscheidender Bedeutung.

BSZ: Im Juli hat Deutschland die EU-Ratspräsidentschaft und den Vorsitz im UN-Sicherheitsrat übernommen. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen?
Masala: In der EU gilt es zu verhindern, dass das ambitionierte Programm zur europäischen Verteidigungsfähigkeit geschlachtet wird, weil man das Geld zur Rettung der Volkswirtschaften im Zuge der Corona-Krise braucht. Im UN-Sicherheitsrat hat Deutschland bereits geliefert. China, Russland und die USA haben eine Resolution unterschrieben, in der Corona als sicherheitspolitische Herausforderung bezeichnet wird und deswegen aufgerufen wird, alle Kampfhandlungen einzustellen. Ob das umgesetzt wird, steht natürlich auf einem anderen Blatt. Aber dass es Deutschland gelungen ist, die lange blockierte Resolution umzusetzen, ist durchaus beachtlich. (Interview: David Lohmann)

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