Die Staatsregierung will Schüler nun doch erst ab der 8. Klasse flächendeckend mit Tablets ausstatten und nicht schon ab der 5. Klasse - diese überraschende Kehrtwende stößt bei Verbänden und Experten auf Zustimmung. Der Bayerische Philologenverband (bpv) begrüßte den von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigten Kurswechsel ebenso wie der Augsburger Bildungsforscher Klaus Zierer. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler), von der die Initiative laut Söder ausging, sagte: „An Bayerns Schulen wird es künftig noch mehr Augenmaß bei der digitalen Bildung geben als bisher.“
Eigentlich hatten CSU und Freie Wähler gemeinsam vereinbart, im Kabinett beschlossen und öffentlich angekündigt, dass alle Schüler an weiterführenden Schulen mittelfristig ein Tablet bekommen sollen. „Bis spätestens 2028 sollen sukzessive alle Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden“, hieß es im Koalitionsvertrag. Und nach dem Kabinettsbeschluss im Februar 2024: „Bayern setzt damit Maßstäbe und geht – nach digitalen Klassenzimmern, Leihgeräten und Fortbildungen – den nächsten und entscheidenden Schritt auf dem Weg zur "Digitalen Schule der Zukunft".“ Und die schrittweise Umsetzung hat längst begonnen - mit einem Zuschuss von jeweils 350 Euro für persönliche Tablets in bestimmten Klassen, je nach Schule.
Söder wirbt für „klassische Bildungsideale“
Nach der Kabinettsklausur am Tegernsee kündigte Söder nun an, mobile Endgeräte solle es doch erst ab der achten Klasse geben – vorher sollten Lesen, Rechnen und die eigene Handschrift im Vordergrund stehen: „Das heißt, auch die klassischen Bildungsideale bleiben in Bayern“, argumentierte Söder. Und Stolz erklärte: „Digitale Bildung braucht immer einen pädagogischen Mehrwert und einen zielgerichteten und verantwortungsvollen Einsatz. Und das heißt für mich ganz klar: umso jünger, umso weniger. Denn gerade in den ersten Schuljahren ist der Erwerb von analogen Kompetenzen entscheidend.“
Zierer nannte die Entscheidung überfällig – aber auch nur einen Schritt in die richtige Richtung. Er habe schon lange gefordert, den „Digitalisierungswahn“ zu stoppen. Die Forschungslage warne nicht erst seit heute vor einem Zu viel und einem Zu früh an digitalen Medien in Schulen, sondern sei seit Jahren bekannt.
Zierer fordert nun aber noch mehr: Die Ausstattung aller Schüler mit digitalen Endgeräten müsse ausgesetzt werden - es brauche vorher eine Diskussion über Sinn und Zweck dieser Maßnahme. Viele Rückmeldungen von Schulen seien nicht positiv: „Viele Schüler berichten von Situationen in den Klassenzimmern, in denen Schüler während des Unterrichts Spiele spielen, sinnlos umher wischen und keine Kontrolle mehr über das Lernen haben.“
Bildungsexperte fordert Moratorium
Der Befürworter und bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl sagte zu Söders Ankündigung, mit Blick auf die Schulen und deren Planungen für das nächste Schuljahr hätte man sich diese Entscheidung bereits früher gewünscht. Andere europäische Länder hätten bereits negative Erfahrungen mit einer zu frühen schulischen Digitalisierung gesammelt. Daher sei der Kurswechsel gut. „Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsprozess müssen im Mittelpunkt stehen. Und der sinnvolle, kritische Umgang mit digitalen Endgeräten setzt voraus, dass davor analoge Grundfähigkeiten erworben und eingeübt werden“, betonte er. Das Geld, dass sich die Staatsregierung nun spart, sollte dennoch in die Schulen fließen, fordert der bpv – etwa in weitere Unterstützungskräfte.
Nicht alle halten die Entscheidung für richtig. "Eine breite Mehrheit der Schülerinnen und Schüler sagt, dass sie durch den Einsatz digitaler Bildungsmedien wie Lernplattformen motivierter sei (74 Prozent) beziehungsweise bessere Schulnoten schreiben könne (56 Prozent)", heißt es in einer Studie des Digitalverbands Bitkom. Nur 13 Prozent würden nicht mit digitalen Bildungsmedien lernen wollen. Zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler (68 Prozent) sind demnach der Ansicht, dass die technische Ausstattung an ihrer Schule verbessert werden muss. 6 von 10 stellen zudem fest, dass die zur Verfügung stehenden Bildungsmedien selbst veraltet sind (62 Prozent) beziehungsweise die entsprechende Auswahl zu gering ist (61 Prozent). 42 Prozent kritisieren, dass ihre Lehrkräfte nicht wissen, wie sie digitale Bildungsmedien sinnvoll im Unterricht einsetzen können.
„Die Umfrage zeigt, dass es bei der Digitalisierung von Bildung nicht nur um Infrastruktur und Geräte geht. Digitale Lehr- und Lerninhalte sowie digital qualifizierte Lehrkräfte sind den Schülerinnen und Schülern ebenfalls sehr wichtig", sagt Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst. (loh/dpa)
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