Mit höherem Sold und weiteren Anreizen soll der Wehrdienst in Deutschland attraktiver gemacht werden. Die Bundesregierung ringt noch darum, ob das reicht oder ob ein Pflichtfaktor eingebaut werden muss. Wie halten es andere europäische Länder?
In einem Punkt ist man sich in der Bundesregierung einig: Die Bundeswehr braucht angesichts der aktuellen Weltlage dringend mehr Personal. Nur über das Wie wird derzeit noch gestritten. Muss beim neuen Wehrdienst eine Pflichtoption eingeführt werden, wenn sich nicht genügend Freiwillige finden? Wäre dabei die Auswahl per Losverfahren gerecht und legal? Soll es gleich ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr geben? Oder setzt man aufs Prinzip Hoffnung?
Andere Länder in Europa sind da schon deutlich weiter: In 14 europäischen Staaten gibt es inzwischen wieder eine Wehrpflicht – darunter alle Staaten, die an Russland grenzen. Eine Reaktion auf Russlands Griff nach der Ukraine und das drohende Szenario eines russischen Angriffs auf Nato-Territorium. In Finnland und Estland war die Wehrpflicht wegen der Nähe zu Russland nie abgeschafft worden. Auch in Russland und Belarus bestand die Wehrpflicht durchgehend. Die kleinen Staaten Österreich und die Schweiz, die keinem Militärbündnis angehören, halten ebenso seit Langem daran fest.
In den meisten dieser Länder gilt die Pflicht nur für Männer. Einzige Ausnahmen sind bislang Norwegen und Schweden. Dort müssen auch Frauen ran. In Dänemark wird das ab dem kommenden Jahr ebenfalls der Fall sein.
In Deutschland wurde die Wehrpflicht für Männer 2011 ausgesetzt. Und bisher bleibt es dabei auch. Bei der Gestaltung eines neuen Wehrdiensts berief sich Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) immer wieder auf das sogenannte schwedische Modell. Doch der Wehrdienst in Schweden unterscheidet sich von dem geplanten deutschen Modell in mehreren Punkten: In Schweden müssen Männer und Frauen ab 18 Jahren gleichermaßen einen Fragebogen ausfüllen. In Deutschland sollen nur junge Männer dazu verpflichtet werden.
Die allerdings müssen dann alle hierzulande – laut bisherigem Gesetzentwurf – auch zu einer Musterung, während in Schweden nur etwa ein Drittel dazu eingeladen wird: die am motiviertesten und fähigsten erscheinenden Kandidaten und Kandidatinnen. Wer sich in Schweden auch noch als körperlich tauglich erweist, wird eingezogen. Verweigerungen gibt es in Schweden kaum. In Norwegen läuft die Rekrutierung ähnlich ab.
In 14 EU-Ländern gilt eine Wehrpflicht
Eigentlich könnte man bei den deutschen Plänen eher vom polnischen Modell sprechen: Denn dort werden auch alle jungen Männer gemustert, um sie im Verteidigungsfall einziehen zu können. Aus demselben Grund gibt es auch in Rumänien eine Registrierungspflicht für junge Männer.
Der bisherige Gesetzentwurf zum neuen Wehrdienst in Deutschland sieht zusätzlich zur flächendeckenden Musterung eine Art Auswahlgespräch vor. Dazu sollen die am fähigsten wirkenden Personen eingeladen und auch noch mal auf ihre Eignung und Tauglichkeit hin bewertet werden. Festgestellt wird auch, wo die Person am sinnvollsten eingesetzt werden könnte. Nur: Auch der am besten geeignete Kandidat kann am Ende einfach ohne Konsequenzen absagen.
Um reagieren zu können, falls nicht genügend Freiwillige zur Bundeswehr kommen, hatten Unterhändler von Union und SPD kurzfristig doch noch einen Pflichtfaktor vereinbart: ein Losverfahren. Gelost werden sollte dabei schon, wer überhaupt zur Musterung eingeladen wird. Doch vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfs versagte die SPD-Fraktion dieser Vereinbarung ihre Zustimmung. Für Bundesverteidigungsminister Pistorius ist gar nicht mal die Auslosung als Pflichtelement das Problem, sondern, dass nicht alle jungen Männer zur Musterung kommen sollen.
Das ist in Dänemark, wo das Losverfahren praktiziert wird, anders. Da werden alle jungen Männer und ab 2026 auch Frauen zur Musterung eingeladen. Und wer als tauglich befunden wird, muss ein Los ziehen. Denn maximal ein Fünftel aller Wehrpflichtigen eines Jahrgangs wird benötigt. Der größte Teil des Bedarfs wird in Dänemark aber laut einer Bewertung des German Institute for Defence and Strategic Studies ohnehin über Freiwillige abgedeckt. Das Losverfahren kommt also praktisch kaum zum Einsatz.
Das er hofft sich auch Patrick Sensburg, CDU-Politiker und Präsident des Verbands der Reservisten der Deutschen Bundeswehr, für die Bundeswehr. Er erwartet, dass sich genügend Freiwillige für den neuen Wehrdienst finden, wenn er wie geplant im kommenden Jahr in Kraft tritt. Josef Rauch, der bayerische Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, ist dagegen eher skeptisch. „Mit dem gleichen Ansatz könnte man auch die Steuerpflicht freiwillig stellen.“ Da würden wohl auch nicht mehr viele mitmachen.
Aus Rauchs Sicht fehlt der Bundeswehr die Akzeptanz in der Bevölkerung. Das sei in Ländern wie Dänemark anders. Das liege auch an der Politik in Deutschland: „Die leistet zu wenig Aufklärungsarbeit.“
Laut Rauch kommt man an einer Wehrpflicht gar nicht vorbei. „Und wenn es zu einem Losverfahren keine Alternative gibt, dann meinetwegen.“ Denn es brauche ja auch nur jeweils einen Teil eines Jahrgangs. Doch zur Musterung sollten trotzdem alle. „Dann wissen wir: Wer ist verteidigungsfähig?“ Ob ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr eine Alternative wäre, wie es jetzt die Grünen fordern? Rauch sieht dabei rechtliche Probleme: Ein Pflichtjahr wäre ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte der Bevölkerung. Der lasse sich eigentlich nur mit der Landesverteidigung rechtfertigen. „Man müsste sagen: Wehrpflicht für alle – und wer nicht will, muss stattdessen ein Gesellschaftsjahr absolvieren. Aber dafür ist politisch keine Mehrheit in Sicht.“
Der Landesvorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands Rauch hofft auf eine schnelle Einigung der Bundesregierung – mit irgendeiner Form der Verpflichtung. Sonst drohe Deutschland auch den nächsten Warnschuss zu verschlafen, warnt Rauch. (Thorsten Stark)
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