An bayerischen Flughäfen stapeln sich die Koffer, Pakete können nicht ausgeliefert werden und selbst das Münchner Oktoberfest steht nach zwei Jahren Zwangspause wieder auf der Kippe: Bayern sucht händeringend nach Personal. Viele Angestellte haben sich während Corona Jobs in krisensicheren Branchen gesucht und fehlen jetzt.
Gleichzeitig gibt es viele geflüchtete Menschen, die gerne arbeiten würden. Anders als oft dargestellt, mangelt es ihnen nicht an Motivation, sondern an einer dauerhaften Arbeitserlaubnis. „Uns sind leider viele Fälle bekannt, in denen Geflüchtete, die bereits als Arbeitskraft gut im Betrieb integriert waren, abgeschoben wurden“, klagt die IHK für München und Oberbayern im Gespräch mit der Staatszeitung. Dies habe in den Unternehmen großes Unverständnis ausgelöst.
Die Ampel-Koalition hat daher das neue „Chancen-Aufenthaltsrecht“ auf den Weg gebracht. Die Reform des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht es Zugewanderten, die seit mindestens fünf Jahren nur geduldet in Deutschland gelebt haben, eine dauerhafte Bleibeperspektive zu erhalten. Darunter fallen bundesweit 140.000 Menschen. Dazu müssen sie innerhalb eines Jahres ihren Lebensunterhalt aus eigener Tasche bezahlen können und regelmäßig Sprachkurse besuchen.
Da es sich um eine Kann-Regel handelt, können Bundesländer Geflüchtete von der Neuregelung ausnehmen
„Damit beenden wir die Bürokratie und die Unsicherheit für Menschen, die schon Teil unserer Gesellschaft geworden sind“, betont Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Wer Straftaten begehe oder hartnäckig Angaben über seine Identität verweigere, bleibe aber vom Chancen-Aufenthaltsrecht ausgeschlossen. Genau darin liegt allerdings die Krux.
Zum einen kritisieren Nichtregierungsorganisationen, dass viele Geflüchtete wegen Residenzpflichtverstößen, jugendlicher Bagatelldelikte oder illegaler Einreise verurteilt wurden. Da alle Nachbarländer Deutschlands als sicherer Drittstaat gelten, müssten sie für einen legalen Aufenthalt also per Flugzeug oder über den Seeweg an Nord- oder Ostsee eingereist sein.
Zum anderen sieht die Regelung zwar Erleichterungen beim Identitätsnachweis vor, beispielsweise wenn Pässe fehlen. Die Beschaffung ist in Ländern wie im Taliban-regierten Afghanistan oft schlicht unmöglich. Da es sich jedoch nur um eine Kann-Regel handelt, können Bundesländer Geflüchtete von der Neuregelung ausnehmen, wenn sie ihre Identität nicht lückenlos nachweisen können.
Flüchtlingsrat: Viele, die vom Gesetz profitieren würden, werden noch schnell abgeschoben
Der Freistaat wird wohl von dieser Gesetzeslücke Gebrauch machen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bezeichnet die Reform als „völlig ungeeignet für eine Lösung von Problemen auf dem Arbeitsmarkt“. Schon jetzt seien rund 39.000 der insgesamt rund 262.000 Sozialhilfe-Empfänger*innen Geflüchtete – ein Anteil von knapp 15 Prozent. Er befürchtet, dass es durch das Chancen-Aufenthaltsrecht noch mehr werden.
Allerdings soll das modernisierte Einwanderungsrecht ja gerade die belohnen, die integriert sind und sich aktiv bewerben. Zugewanderte zeigten als qualifizierte Fachkräfte oder in Helfertätigkeiten ein großes Engagement, heißt es von der bayerischen Wirtschaft. „Viel zu oft wurden Geflüchtete aber bisher mit einer immer wieder verlängerten Duldung zur Hoffnungslosigkeit verdammt“, klagt Gülseren Demirel von den Grünen im Bayerischen Landtag.
Die Kann-Regel werde in Bayern als Aufruf verstanden, möglichst vielen ausreisepflichtigen Geflüchteten schlicht die Duldung zu verweigern, glaubt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Erst diese Woche sei ein geschätzter Mitarbeiter einer Münchner Firma samt seiner gut integrierten Familie nach Nigeria ausgeflogen worden – obwohl sie unter das Chancen-Aufenthaltsrecht gefallen wären. „Anscheinend sollen in Bayern schnell noch viele derjenigen, die von dem Gesetz profitieren würden, abgeschoben werden“, klagt er.
Die ablehnende Haltung der Staatsregierung alarmiert auch die Unternehmen im Freistaat. „In Bayern wurde schon bisher die Umsetzung der aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen im Vergleich zu anderen Bundesländern eher restriktiv gehandhabt“, heißt es von der oberbayerischen IHK. Die über 400.000 Mitgliedsunternehmen würden sich mehr Pragmatismus wünschen. „Für die Wirtschaft ist jede potenzielle Fachkraft ein Gewinn.“
(David Lohmann)
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