Politik

Der neue Landrat von Sonneberg, Robert Sesselmann (AfD), betritt zu seinem Amtsantritt am 3. Juli um 7.44 Uhr das Landratsamt Sonneberg. (Foto: dpa/Daniel Löb)

07.07.2023

Geht von einem AfD-Landrat tatsächlich Gefahr aus?

Thüringens Innenministerium will Robert Sesselmann per „Demokratiecheck“ verhindern – aber auch in Bayern könnten gewählte Rechtsradikale nicht einfach so durchstarten

Am Montag trat der neu gewählte AfD-Landrat von Sonneberg, Robert Sesselmann, sein Amt an. Ob er es lange behält, wird sich zeigen: Das Thüringer Innenministerium – es wird von der SPD geführt – will prüfen, ob es berechtigte Zweifel an der Verfassungstreue des Wahlgewinners gibt. „Demokratiecheck“ nennt sich das Ganze umgangssprachlich. Sollte dies der Fall sein, so das Innenministerium, würde man Sesselmann die weitere Ausübung des Amtes nicht gestatten und der hauptamtliche Kreisbeigeordnete übernimmt die Geschäfte.

Und wie würde man mit einem entsprechenden Fall in Bayern umgehen? Das Innenministerium erteilt Auskunft: Nach Artikel 39 Absatz 2 Nummer 5 des Gemeinde- und Landkreiswahlgesetzes (GLKrWG) sei nicht wählbar, wer am Wahltag nachweisbar nicht die Gewähr dafür bietet, jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung einzutreten. „Bestehen bei Bewerber*innen im Einzelfall Zweifel hieran, können sich die zuständige Wahlbehörde oder der zuständige Wahlausschuss jederzeit an das Landesamt für Verfassungsschutz wenden und Auskunft zu dort vorliegenden Erkenntnissen zur Person erbeten“, heißt es aus dem Haus von Ressortchef Joachim Herrmann (CSU).

Neuwahlen ausschreiben ist nicht sofort zulässig

Die Nachweispflicht treffen die zuständigen Behörden. Jedoch gelte: „Um den Nachweis zu führen, müssen ausreichend belastbare Tatsachen vorliegen, die eine solche Bewertung objektiv und ohne Zweifel begründen. Die Beweise müssen auch einer gerichtlichen Nachprüfung standhalten. Im Zweifel muss der Wahlausschuss beziehungsweise bei einer späteren Entscheidung der Dienstherr zugunsten der sich bewerbenden beziehungsweise gewählten Person entscheiden“, so die Ministeriumssprecherin.

In Sachsen-Anhalt stellt sich die Frage inzwischen auch: In der Stadt Raguhn-Jeßnitz im sachsen-anhaltinischen Landkreis Anhalt-Bitterfeld setzte sich am Sonntag, 2. Juli, der AfD-Kandidat Hannes Loth mit rund 51 Prozent der Stimmen durch gegenüber seinem parteifreien Konkurrenten Nils Naumann; der kam auf etwa 49 Prozent.

Selbst im Fall einer Entfernung aus dem Amt: Neuwahlen dürfen aber nicht sofort ausgeschrieben werden. Ein eventuell geschasster AfD-Politiker hat die Möglichkeit, gegen die Entscheidung des Innenministeriums den Rechtsweg zu beschreiten – notfalls bis hoch zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Das kann viele Wochen, wenn nicht gar Monate dauern.

Denn die fehlende Loyalität zum Grundgesetz nachzuweisen ist schwierig, wenn es keine expliziten diesbezüglichen Äußerungen gibt. Kommunale Wahlbeamte müssen keine politischen Eunuchen sein. Und selbstverständlich darf man Änderungen an einzelnen Artikeln des Grundgesetzes fordern: Wer beispielsweise für eine Direktwahl des Bundespräsidenten durchs Volk statt durch die Bundesversammlung gemäß Artikel 54 plädiert, ist deshalb noch lange kein Demokratiefeind. Und ja, auch die Abschaffung von Artikel 16a zum Asylrecht zu fordern, ist für sich genommen noch kein extremistisches Agitieren.

Ob der Versuch einer juristischen Verhinderung unliebsamer Wahlgewinner*innen auch politisch klug ist, steht auf einem anderen Blatt. „Zu befürchten ist, dass dies die Politikverdrossenheit der Leute in Ostdeutschland sogar noch befeuert“, warnt der Landshuter Verwaltungsrechtler Ernst Fricke.

Bei einer Neuwahl einen anderen Kandidierenden aufzustellen, lässt sich der AfD ja nicht untersagen. Und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch dieser die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf sich vereint – und sei es nur aus Trotz über die Reaktionen aus der Landeshauptstadt Erfurt. Ob das Innenministerium dieses Spiel dann weiterspielen will, bis die Bevölkerung endlich so abstimmt, wie man es in der Landesregierung erwartet?

Wenig erfolgreiche Gesinnungsüberprüfung

Gute Erfahrungen gemacht hat die Bundesrepublik mit solcher Gesinnungsüberprüfung ohnehin nicht. Der 1972 von der sozialliberalen Koalition verabschiedete Radikalenerlass wurde von eben dieser nur sieben Jahre später wieder einkassiert – der gesellschaftliche Protest war zu groß geworden und die Regierungspartner hatten sich über die praktische Umsetzung heillos zerstritten. Rechtsbeistände im Dienste der AfD werden die 50 Jahre alten Urteile sicher aufmerksam studieren.

Wer mit bayerischen Landrät*innen spricht, hört eher den Ratschlag, den neuen AfD-Kollegen erst mal machen zu lassen. Gegen mögliche Dienstvergehen kann dann ja auch die Landesanwaltschaft vorgehen und den Landrat suspendieren.

Viele Leute kennen den Aufgabenbereich nicht

Aber ein solcher Schritt wäre gegenüber der Öffentlichkeit wesentlich einfacher zu kommunizieren: eben weil klar gegen Recht und Gesetz verstoßen wurde. Sesselmann seinen Job aber gleich wieder wegzunehmen, würde ihn und die AfD nur in ihrer angeblichen Opferrolle bestärken, sind die befragten Landkreischefs aus dem Freistaat überzeugt.

Die Frage ist sowieso, ob der AfDler tatsächlich begriffen hat, welche Aufgaben auf ihn zukommen. Wer seine Wahlplakate mit dem Slogan „Gestalten statt Verwalten“ gelesen hat, dem mochten da berechtigte Zweifel kommen. Denn nichts trifft den Aufgabenbereich eines Landrats so sehr wie eben verwalten. Er ist vor allem – aber nicht nur – für die Umsetzung gesetzlicher Vorgaben der Bundes- und Landespolitik auf kommunaler Ebene zuständig. 

Ein Landrat ändert nicht das Asylrecht, er sorgt nicht für mehr Lehrer*innen, Polizeikräfte und Krankenhauspersonal sowie deren bessere Bezahlung, er erhöht nicht die Löhne und Renten und er kann auch nicht die Freigabe von Drogen untersagen oder eine Maskenpflicht beziehungsweise einen Lockdown aufheben. Ebenso wenig bekämpft er die Inflation oder schafft neue Jobs; für die Ausweisung von Gewerbeflächen sind die Städte und Gemeinden zuständig.

Auch darf ein Landrat das neue Heizungsgesetz nicht aufhalten. Wenn die formalen Auflagen erfüllt sind, kann ein Landrat auch keinen Christopher Street Day und keine Demo der Antifa oder von Fridays for Future untersagen. Gut, er muss dort kein Grußwort sprechen. Das ist aber auch die einzige legale Unmutsreaktion.

Aber gegen all diese aufgeführten Punkte wetterte Robert Sesselmann in seinem Wahlkampf. Erstaunlich, wie wenige Wahlberechtigte doch die Funktionsweise des Staates, in dem sie leben, zu kennen scheinen. Ohnehin dürfte der AfDler am ersten Arbeitstag eine gewisse Überraschung erlebt haben, was seine tatsächlichen Aufgaben sind.

Nämlich zum Beispiel der Katastrophenschutz. Wenn etwa das nächste Hochwasser oder die nächste Dürre Sonneberg heimsucht und der neue Landrat bekommt es nicht hin, die Menschen sowie deren Hab und Gut zu schützen; oder im Winter wird der Schnee nicht ordentlich geräumt; oder der Müll wird nicht rechtzeitig abgeholt oder die Schulbusse fahren nicht pünktlich: Dann ist die AfD sehr rasch und brutal entzaubert und steht als nicht minder inkompetent da als die von ihr gern geschmähten sogenannten Altparteien. Merkwürdig, dass man das im Thüringer Innenministerium nicht erkennt. (André Paul)
 

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