Politik

30.11.2012

"Du darfst heute nicht mitspielen"

Die Aufmerksamkeit ist gewachsen, aber an Grundschulen wird das Problem nicht immer erkannt

Kinder können grausam sein. „Wir spielen heute allein. Du darfst nicht mitspielen“, solche Sätze gehören zum Schüleralltag. Doch ist das schon Mobbing? Bis zu welchem Punkt sind Ausgrenzungen und Schikanen normal – und ab wann besteht Grund zur Besorgnis? „Ein Schüler wird gemobbt oder tyrannisiert, wenn er wiederholt und über eine längere Zeit negativen Handlungen durch einen oder mehrere andere Schüler ausgesetzt ist.“ So definiert es die Wissenschaft.
Brigitte K. (Namen von der Redaktion geändert) kann ein Lied davon singen. Wann es bei ihrem Sohn losgegangen ist, kann die Mutter aus Mittelfranken nicht sagen. Denn wer zur Zielscheibe wird, behält das erst mal für sich. Und die Eltern hatten ihre eigenen Erklärungsmodelle: „Dass immer wieder Sachen verschwanden, haben wir lange Zeit auf Jans (Name geändert) Schusseligkeit geschoben“, erzählt K. Irgendwann aber geriet der feste Abendrhythmus durcheinander, der Junge wollte nicht ins Bett, nicht in die Schule. „Da dämmerte uns, dass da was anderes dahintersteckt.“

Die Klassengemeinschaft muss gelebt werden

Der sensible Siebenjährige war das Opfer regelmäßiger Schikanen seiner Mitschüler. Als er im Herbst mit nassen Kleidern heimkam, wurde es Brigitte K. zu viel, sie ging in die Schule. Unterstützung fand sie nicht. „Der Lehrer sagte, das seien die üblichen Spielchen unter Gleichaltrigen, das werde sich von selber regeln“, berichtet K. Doch es wurde immer schlimmer. Und je mehr die Eltern das Gespräch mit der Schule suchten, desto schwieriger wurde es. Die Mutter solle ihre familiären Verhältnisse prüfen und überlegen, warum die anderen es auf ihren Sohn abgesehen haben, riet ihr der Schulleiter.
Die Schuld beim Opfer zu suchen, ist nicht unüblich. „Diese Erfahrung machen wir auch immer mal wieder, dass es manchen Schulen schwerer fällt als anderen, sich des Themas anzunehmen“, sagt Frank Schallenberg. Der Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes in Bonn bietet beim Münchner Jugendinformationszentrum eine Mobbing-Sprechstunde an. Es gebe die Tendenz, „immer auf das Opfer zu sehen und zu fragen, was bringt das Opfer mit, das es zum Opfer macht?“ Das Fehlverhalten des Täters trete in den Hintergrund. Insgesamt aber sei die Aufmerksamkeit gegenüber dem Thema erheblich gewachsen.
Auch auf Seiten des Kultusministeriums ist man sich des Problems bewusst: „Das Thema liegt uns sehr am Herzen“, heißt es aus der Pressestelle. Auf der Homepage des Ministeriums wird ausführlich über Mobbing informiert, Möglichkeiten der Prävention und Bewältigung aufgezeigt. Hier findet sich auch der Link zu einer neuen Broschüre des Staatsinstituts für Schulqualität und Bildungsforschung (ISB) mit dem Titel „Mit Mut gegen Mobbing“.
Vorige Woche hat Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) im Rahmen des Wettbewerbs „Mobben Stoppen“, einer Initiative des Landesschülerrats, 13 Schulen für ihr Engagement zum Thema Mobbing ausgezeichnet. „Schule soll ein Lebensraum sein, in dem Kinder und Jugendliche ohne Furcht vor anderen ihre Persönlichkeit entfalten und ein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln können“, sagte Spaenle. Der Wettbewerb richtete sich an weiterführende Schulen. Das bedeute nicht, dass Mobbing an Grundschulen nicht als Problem gesehen werde, so das Kultusministerium.
„Wehret den Anfängen“ – diese Devise würde auch Frank Schallenberg bestätigen. Schließlich würden in der Grundschule Weichen gestellt, was das Sozialverhalten angehe. „Die Frage: Was macht eine gute Klassengemeinschaft aus? Wenn Kinder da früh viel erfahren und gefestigt werden, ist das Prävention für das ganze Leben.“ Mobbing könne verhindert werden, indem das Miteinander in der Klassengemeinschaft tagtäglich Raum bekomme. „Aber haben die Schulen diese zeitlichen Ressourcen? Oder ist der Unterricht so angefüllt mit Stoff, dass das hinten runterfällt?“, gibt Schallenberg zu bedenken.

Im Notfall sollten sich Eltern an das Schulamt wenden

Nach offiziellen Schätzungen sind 15 Prozent der Schüler an weiterführenden Schulen von Mobbing betroffen, 4 Prozent werden regelmäßig massiv schikaniert. Neueren Studien zufolge nimmt auch an Grundschulen die Häufigkeit zu. Da Mobbing zu schwerwiegenden psychischen und psychosomatischen Problemen führen kann, ist Prävention das A und O. Denn die Gruppe spielt beim Mobbingprozess eine wesentliche Rolle: Sie begünstigt oder verhindert das Geschehen. Die ISB-Broschüre listet Programme speziell für Grundschüler auf wie „Mit mir nicht“ (Kultusministerium und Betriebskrankenkassen), und „Aufgschaut“ (Polizei München).
Sollte es zu Mobbing kommen, finden sich hier auch Hinweise, wie Lehrer, Eltern und Schulleitung vorgehen können. In der Lehreraus- und -weiterbildung ist das Thema laut Kultusministerium inzwischen selbstverständlich, allerdings seien „Zwangsfortbildungen“ nicht sinnvoll.
Dass der Fall von Brigitte K. und ihrem Sohn kein Einzelphänomen ist, zeigt die Reaktion auf eine E-Mail-Umfrage bei bayerischen Elternbeiräten. So berichtet Heiko Martens-Scholz aus München gar von Erfahrungen an einer Pilotschule zum rhythmisierten Ganztagsunterricht: „Gewalt und Mobbing waren in der Klasse unseres Sohnes normal.“ Auch hier habe die Schulleitung das Problem klein geredet. Dass es auch anders laufen kann, zeige ihm die weiterführende Schule seines Sohnes: Am Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium begegne man der Thematik mit großer Offenheit. „An jeder Schule gibt es Mobbing. Schon immer“, sagt Ursula Walther, Sprecherin des Bayerischen Elternverbandes. Auch ihre heute 33-jährige Tochter war als Grundschülerin betroffen.
Inzwischen sollte man da weiter sein. Finden Eltern von Grundschulkindern bei ihrer Schulleitung kein Gehör, können sie sich auch an das zuständige Schulamt wenden. Dort gibt es auch schulpsychologischen Rat. Im Fall von Jan K. konnte aber auch die Schulpsychologin nicht helfen. Vier Jahre musste er durchhalten. Seit seine Peiniger an andere Schulen wechselten, geht es ihm besser. Doch immer wieder holt ihn das Erlebte ein und er erzählt, was ihm alles widerfahren ist. „Da bleibt mir im Nachhinein manchmal fast das Herz stehen“, sagt seine Mutter. (Anke Sauter)

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