Politik

Ob das jetzt den Durchbruch bringt? Ab Montag muss die Kundschaft in Einzelhandel und ÖPNV FFP2-Masken tragen. (Foto: dpa/Kay Nietfeld)

15.01.2021

Effizienz versus Effekthascherei

Corona-Maßnahmen: Eine Evaluation

Eine unabhängige Kommission, welche die Corona-Maßnahmen evaluiert: Immer wieder wurde das für Bayern gefordert. Vergeblich. Bis es so weit ist – hier die Empfehlungen der BSZ-Redaktion.

Informationspolitik:
Vor einiger Zeit empfahl RKI-Chef Wieler den Corona-genervten Deutschen, die vorgeschriebenen Maßnahmen nicht zu hinterfragen – „machen Sie es einfach!“ Ganz Enthemmte wie Bayerns Gemeindetagspräsident Brandl plädierten für eine Aushebelung des Datenschutzes bei Handydaten, um Coronasünder zu enttarnen. So geht das nicht! Es muss Schluss damit sein, die Deutschen wie Dreijährige zu behandeln. Nötig ist eine sachliche und ehrliche Informationspolitik ohne Panikvokabular. Was auch schön wäre: Verlässlichkeit. So dozierte Söder monatelang, es werde keine Impfflicht geben – jetzt stellt er eine solche fürs Pflegepersonal in Aussicht. Dabei ist noch nicht mal klar, ob Geimpfte andere tatsächlich nicht anstecken können.

Impfungen:
Abgesehen davon, dass Impfstoff fehlt und die Online-Anmeldung bisher eine Katastrophe ist – statt über Impfpflichten zu fabulieren, sollte man besser aufklären. Personen des öffentlichen Lebens sollten sich, damit es Vorbilder gibt, impfen lassen, jetzt schon. Wie namhafte Juristen bezeugen, sind die vorgesehenen Priorisierungen rechtlich ohnehin nicht haltbar. Deplatziert ist die Debatte um „Vorrechte“ für Geimpfte. Sollte sich herausstellen, dass Geimpfte andere Menschen nicht anstecken, sollte selbstverständlich sein, dass die Grundrechtseinschränkungen Geimpfter aufgehoben werden.

Ladenschließungen:
Doch! Wir wollen es bitte erklärt bekommen, weshalb Lebensmittelmärkte und Drogerien öffnen dürfen, Blumenläden und Parfümerien aber nicht. Warum Edeka Riesenumsätze mit Tulpen machen darf und die Drogerie massenhaft Lippenstifte und Parfüms verkauft. Das ergibt keinen Sinn, zumal jetzt, da FFP2-Masken in Läden Pflicht sind.

Freizeit:
Verständlich, dass Hotels geschlossen sind, in denen sich Menschen nah kommen. Aber weshalb gönnt man den Leuten nicht kleine Auszeiten in einer Ferienwohnung – in der sie genauso unter sich sind wie zu Hause. Wer nicht immer nur verbietet, sondern auch gezielt lockert, erhöht die Akzeptanz der Maßnahmen. Das gilt auch für die 15-Kilometer-Regel, die selbst Virologen für Unsinn halten.

Maskenpflicht:
Aus infektiologischer Sicht ist die FFP2-Maskenpflicht in Einzelhandel und ÖPNV absolut richtig. Sinnvoll ist sie aber nur dann, wenn die rund 3 Euro teuren FFP2-Masken, in der Regel Einmalprodukte, allen zur Verfügung stehen. Gut also, dass Bayern ärmeren Menschen Gratismasken zur Verfügung stellt.

Online-Unterricht:
Schön, dass die Lernplattform Mebis endlich läuft. Doch die Schulen haben noch immer große Defizite bei der Digitalisierung, es fehlt an Hardware und auch an Kompetenzen. Hier muss nicht nur das Kultusministerium seine Hausaufgaben machen. Das Digitalministerium muss aufgewertet werden und ebenfalls liefern. Wo sind dessen Beiträge für die Digitalisierung des Unterrichts?

Kontaktbeschränkungen:
Gewiss sind Kontaktbeschränkungen weiterhin nötig. Doch übermäßige Verbote und fragwürdige Eingriffe in die Freiheitsrechte untergraben die Akzeptanz. Völlig überzogen ist zum Beispiel, dass in Bayern die Ein-Personen-Regel bei Treffen selbst für Dreijährige gilt. Alleinerziehende, die ihre kleinen Kinder ja schlecht zu Hause lassen können, werden damit in eine Isolation gezwungen.

Nächtliche Ausgangsperren:
Ursprünglich war die Ausgangssperre nach 21 Uhr nur für Corona-Hotspots eingeführt worden. Schon damals war wenig ersichtlich, worin das Ansteckungsrisiko bestehen soll, wenn Menschen in kalten Winternächten durch Straßen spazieren oder in Parks joggen. Aktuell gilt die absurde Regel für ganz Bayern – obwohl der landesweite Inzidenzwert wieder unter 200 liegt. Vielleicht sollen aber auch gar nicht die Menschen von der Straße ferngehalten, sondern von abendlichen Besuchen bei Freunden abgehalten werden. Ein solches Besuchsverbot ist bei den ohnehin rigiden Kontaktbeschränkungen aber unverhältnismäßig. Auch Homeoffice-Leute brauchen soziale Kontakte.

Finanzhilfen:

Die notwendige Software für die Auszahlung der Novemberhilfe läuft in Bayern erst seit dieser Woche. Die Software des Bundes für die beantragten Dezemberhilfen fehlt leider immer noch. Nicht nur diese Verzögerungen sind für viele Betriebe existenzgefährdend. Dass der Bund nun auch noch nachträgliche Änderungen bei den erstattungsfähigen Fixkosten vorgenommen hat – und zwar zu Lasten der Betriebe – ist ebenfalls ärgerlich.
(Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

Kommentare (6)

  1. Alexander am 19.01.2021
    "Abgesehen davon, dass Impfstoff fehlt...".
    Dass in Deutschland nicht mehr geimpft werden kann, ist doch nicht die Schuld des Bürgers sondern ein Versagen der europäischen Union und deren Vertreter der Staaten!
    Dies kostet täglich 10.000 Menschen das Leben.
    Wie fast täglich in den Medien zu lesen und zu hören ist, sei kein Impfstoff mehr vorhanden.
    Was unternimmt die Regierung dagegen um diesen hausbackenen Zustand zu beseitigen?
    "Es kommen nur noch schärfere Schutzmaßnamen."
    Schön langsam fehlt mir hierzu jegliches Verständnis.
  2. Politiksocke am 18.01.2021
    Zeit für einen Strategie-Wechsel
    Unsere Innenstädte veröden, Einzelhändler mit Hygienekonzept müssen schließen, im Drogeriemarkt nebenan drängeln sich die Leut und Amazon erfreut sich über einen gigantischen Umsatz. Mein Lieblingswirt startet nach Corona mit einem Berg an Schulden, wenn er denn wieder startet! Die Pacht wurde ihm gestundet. Die Last für Familien ist unglaublich. Kinder aus einem bildungsfernen Umfeld werden abgehängt. Und ein Impfzwang für Pflegepersonal ist für die Bereitschaft, diesen Beruf auszuüben nicht förderlich. Die Bürger können den sich ändernden Corona-Einschränkungen kaum noch folgen. Trotz Verschärfung der selben, sinken die Zahlen nicht wie gewünscht. Deshalb Strategie ändern: Abstandhalten, Maske tragen, Hände waschen, ja! Gesundheits-Initiativen zur Stärkung der eigenen Immunabwehr. Vermehrter Schutz der vulnerablen Gruppen, siehe Tübingen. Feststellung des ct-Wertes bei den Corona-Tests. Besserstellung der medizinischen und pflegenden Kräfte. Und knappe, verständliche Corona-Regeln. Zu mir: ich bin weder rechts, eher grün, und auch kein Corona-Leugner, wir haben das Virus in der Familie durchlebt.
  3. inflexible am 18.01.2021
    Diesem Artikel kann ich mich nicht uneingeschränkt anschließen. Bemühe mich speziell bei diesem emotional zunehmend dekontaminierten Thema um emotionale Abstinenz, was schwer fällt, aber die Anstrengung lohnt. Wir müssen irgendwie ohne Flurschaden für unseren demokratischen Rechtsstaat durch diesen Winter des Missvergnügens kommen. Deshalb folgende Anmerkungen zu Beitrag und Kommentaren:

    ad 1: Der unterschwellige Duktus "aufgeklärte Bürger wollen von depperten aktionistischen Politikern Erklärungen" ist nicht meine Frequenz, aber auch meine persönliche Wahrnehmung. Wenn ich damit der Redaktion zu nahe trete, ist das folglich wirklich nicht bös gemeint. Wer Aufklärung wünscht, möge bitte im Internet die Begründungen zu Verordnungen und Verfügungen lesen. Diese sind zwar sperriger Lesestoff, aber zudem im Falle gerichtlichen Vorgehens in der Regel gerichtsrelevant und nicht irgendwelche verkürzten Twittereien oder gut gemeinten Medienkommentare.

    ad 2: Bei Kontaktbeschränkungen stimmt die Aussage "Völlig überzogen ist zum Beispiel, dass in Bayern die Ein-Personen-Regel bei Treffen selbst für Dreijährige gilt." so nicht. In § 4 Abs. 1 Satz 1 der bayerischen Verordnung steht "Der gemeinsame Aufenthalt im öffentlichen Raum, in privat genutzten Räumen und auf privat genutzten Grundstücken ist vorbehaltlich des § 3 nur Angehörigen desselben Hausstands und einer weiteren Person sowie zugehörigen Kindern bis einschließlich drei Jahren erlaubt." Einschließlich drei. Folglich sind die Vierjährigen gemeint. Kleiner Unterschied.

    ad 3: Freie Wähler: Auch das ist eine Frage der Wahrnehmung. Die FW haben immer mal wieder eine pragmatischere Meinung. Hier lohnt ein Blick in Twitter beim Herrn Aiwanger. Sie werden aber nicht wahrgenommen. Zu leise, zu sachorientiert. Und sind nun mal der kleine und sachlich-leise Partner einer jahrzehntelang großen und lauteren CSU.

    ad 4: "Impfstoff fehlt und die Online-Anmeldung bisher eine Katastrophe": Widerspruch. Vor 12 Monaten wussten viele noch nicht, dass Corona was anderes sein kann als eine Biermarke. Jetzt haben wir schon zugelassene Impfstoffe, aber 7,8 Mrd Menschen und 27 EU-Staaten. EU ist nicht Israel und nicht mehr Großbritannien. Völlig nachvollziehbar, dass das Impfen nicht so schnell geht und nicht aller Welten Impfstoff nach Deutschland strömen kann. Meine Online-Anmeldung war übrigens in 5 Minuten erledigt. Aber ich hab auch keine Priorität und kann folglich Monate warten. Nachvollziehbar, passt.

    ad 5: Online-Unterricht: Kenne das morgendliche Stoßgebet "Unser täglich Mebis gib uns bitte heute". Ist besser geworden. Und: Ist hier nicht nur das Schulministerium, sondern auch die Sachaufwandsträger Gemeinden, Schulverbände, Landkreise gefordert?

    ad 5: "Unabhängige Kommission für Bayern, welche die Corona-Maßnahmen evaluiert: Immer wieder wurde das für Bayern gefordert": Ist das wirklich erforderlich? Empfehle hierzu Blick in § 4 Abs. 1a Bundesinfektionsschutzgesetz. Demnach muss Herr Spahn dem Deutschen Bundestag nach Beteiligung des Bundesrates bis spätestens zum 31.03.2021 einen Bericht zu den Erkenntnissen zur Corona-Epidemie vorlegen. Dieser Bericht beinhaltet Vorschläge zur gesetzlichen, infrastrukturellen und personellen Stärkung des Robert Koch-Instituts sowie gegebenenfalls zusätzlicher Behörden zur Erreichung des Zwecks dieses Gesetzes. Bundesratsbeteiligung: Da ist der Freistaat Bayern dabei. Den bayerischen Beitrag kann die Staatsregierung im Landtag vorstellen und diesen einbinden. Passt. Brauchen wir keine Extra-Kommission.

    Genug gesagt. Wünsche uns allen: Bleiben´s g´sund und möge 2021 für uns alle anders aufhören, als es angefangen hat!
  4. L. Degenhart am 16.01.2021
    Es dürfte unstrittig sein, dass derzeit unsere politische Machtelite in Bayern wichtige Berufsgruppen massiv unter Druck setzt, sich „freiwillig“ impfen zu lassen.
    Ist der massive Druck berechtigt? Ist die Impf-Zurückhaltung der betroffenen Berufsgruppen sowie relativ großer Teile der Gesamtbevölkerung berechtigt?
    In diesem Zusammenhang muss berücksichtigt werden, dass wichtige Punkte aus den Verträgen mit den Impfstoff-Firmen wegen einer Vertraulichkeitsklausel bisher nicht veröffentlicht wurden. Insbesondere betrifft dies Fragen zur Haftung bei Nebenwirkungen.
    Welche Gründe stehen dagegen, die Vertraulichkeitsklausel streichen zu lassen und so die Bevölkerung ehrlicher und umfassender zu informieren?
  5. Zustimmung am 16.01.2021
    Das ist wirklich ein guter Artikel. Ich wundere mich auch über die freien Wähler. Ich hatte ihnen immer Bodenhaftung und gesunden Menschenverstand zugeschrieben. Beides scheint derzeit weitgehend verloren gegangen zu sein. Mit Bodenhaftung, gesundem Menschenverstand und mehr Gelassenheit hätte sich längst ein sinnvoller Umgang mit dem Ganzen finden lassen. Es passiert bisher weiten Teilen das Gegenteil. Mit gewaltigen Schäden.
  6. Sehr gut am 15.01.2021
    Ein sehr guter Artikel, es wird unsere abgehobenen und fern jeglicher Realität lebenden Politiker nicht weiter interessieren, leider.

    Man kann nur hoffen, dass die Menschen aufwachen und diesen Blendern, Wendehälsen und Demokratiedieben an der nächsten Wahl einen Denkzettel verpassen. Wer denkt, dass es unserem MP um die Menschen in seinem Freistaat geht, der glaubt auch noch an den Osterhasen. Es geht um Umfragewerte und Wahlergebnisse in erster Linie.

    Eltern mit schulpflichtigen Kindern wird das Leben erschwert wo es nur geht. Dann werden die Kinderkrankheitstage auf 20 erhöht, um Aufmerksamkeit in den Medien zu bekommen. Haben die mal hinterfragt wieviele Personen mit Kindern in der medizinischen Versorgung, Kranken- u. Altenpflege arbeiten? Was glaubt Herr Söder, was die von Ihrem AG erzählt bekommen, wenn die jetzt alle 4 Wochen zuhause bleiben wollen? Davon abgesehen, dass dies eine Einkommenseinbuße von ca. 1/3 bedeutet. Wie die Leute zu Ihrem Geld kommen sollen ist anscheinend auch noch nicht geregelt.

    Die größte Enttäuschung dieser bayerischen Regierungskoalition sind die FW, anscheinend haben die komplett das Denken aufgehört. Hallo Herr Aiwanger, gibt es Sie überhaupt noch.

    Naja, Corona geht halt nicht nur auf die Lunge sondern bei einigen voll auf die Rübe.
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