Politik

Bis 2030 sollen in Bayern 1500 Kilometer neue Radwege und ein landesweit durchgängiges Radverbindungsnetz entstehen. (Foto: dpa/Sven Hoppe)

16.06.2023

Ein durchgehendes Radwegenetz – im Jahr 2160

Noch vor der Landtagswahl soll Bayern ein Radgesetz bekommen – als drittes Bundesland. Besonders viel tut sich damit jedoch erst mal nicht

Die Ausgangslage sieht so aus: Nur die Hälfte aller Landstraßen in Bayern wird von einem Radweg flankiert. Viele städtische Radwege sind nur durch aufgemalte Linien vom Schwerlastverkehr abgetrennt. An unübersichtlichen Kreuzungen kommt es regelmäßig zu Unfällen, die zu oft auch tödlich enden. Und soll irgendwo eine Verbesserung geschaffen werden, müssen zahlreiche rechtliche und behördliche Hürden überwunden werden. Kein Wunder also, dass bis heute der Anteil des Radverkehrs im Freistaat nur 11 Prozent ausmacht.

Das könnte sich bald ändern. Die Regierungskoalition von CSU und Freien Wählern erkannte im Jahr der Landtagswahl die Dringlichkeit und kündigte ein Radgesetz an. Dieses soll noch vor der Wahl im Oktober verabschiedet werden. Es wäre erst das dritte Radgesetz in Deutschland. 

Der Gesetzentwurf sieht den Bau von 1500 Kilometern neuen Radwegen vor. Wo möglich, soll auch die Verschmälerung von Straßen in Betracht gezogen werden, um Platz für Radwege zu schaffen. Die Vision: ein bayernweit durchgängiges, sicheres Wegenetz, Radschnellwege und die Unterstützung der Kommunen mit einer zentralen Anlaufstelle. 480 Millionen Euro sollen dafür investiert werden. Außerdem soll man künftig sein Fahrrad für einen Euro pro Fahrt im Zug mitnehmen können.

100 000 Unterschriften für besseren Radverkehr

Die Motivation, so ein Vorhaben noch kurz vor der Wahl auf die Beine zu stellen, kam allerdings von außen. Das streitet man bei CSU und Freien Wählern auch nicht ab. Der Radentscheid Bayern hatte seit dem Start im vergangenen Jahr viele Menschen für seine Ziele begeistern können. 100 000 Menschen unterschrieben für ein Radgesetz, das unter anderem die Steigerung des Anteils des Radverkehrs auf 25 Prozent bis 2030 vorsieht. Hinter dem Radentscheid-Bündnis stehen der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) und der bayerische Verkehrsclub Deutschland, die elf bayerischen Radentscheide auf kommunaler Ebene sowie als Bündnispartner der Bund Naturschutz und die Landesverbände von Grünen, SPD, ÖDP, Linken und Volt.

Zentral war dabei die Forderung nach sicheren und komfortablen Radwegen. Dafür sollte bei Neubauten und Sanierungen von Straßen auch immer ein abgetrennter Radweg mitgeplant werden. Das Ziel: keine Verkehrstoten mehr und ein sicheres Gefühl beim Fahren. Eine weitere Forderung war die Vernetzung mit dem ÖPNV durch mehr Fahrradstationen und bessere Mitnahmemöglichkeiten. Zudem sollten Radschnellwege, wie es sie in Nordrhein-Westfalen schon gibt, gebaut werden – als eine Art Autobahn für den Radverkehr. Die Forderungen gehen deutlich über das hinaus, was im Gesetzentwurf von CSU und Freien Wählern steht.
Die nächste Stufe wäre ein Volksbegehren gewesen. Anfang Juni entschied allerdings der Bayerische Verfassungsgerichtshof, dass der Entscheid unzulässig ist. Der Gesetzentwurf überschritt laut Gericht die Kompetenzen des Landesrechts – etwa bei der grundsätzlichen Öffnung von Einbahnstraßen für Radfahrende in Gegenrichtung.

Bernadette Felsch, die Vorsitzende des ADFC Bayern und Sprecherin des Radentscheids, sieht sich aber nicht gescheitert, ganz im Gegenteil. Schließlich habe die Staatsregierung jahrelang ein Radgesetz abgelehnt, das jetzt aber – durch den positiven Druck der 100 000 Unterschriften – vermutlich kommen werde, sagt sie.

Einen erneuten Anlauf für ein Volksbegehren schließt Felsch nicht aus. Allerdings muss dafür aus ihrer Sicht erst einmal das Straßenverkehrsrecht des Bundes reformiert werden – worauf der ADFC drängt. Auf bayerischer Ebene wünscht sie sich, von der Regierungskoalition in den weiteren Gesetzgebungsprozess eingebunden zu werden. Bisher gibt es in Deutschland auf Länderebene zwei Radgesetze: in Berlin und in Nordrhein-Westfalen. In beiden Ländern gab es zuvor Radentscheide, mit deren Beteiligten sich die Politik dann auch an einen Tisch setzte, um gemeinsam an einem Gesetz zu arbeiten.

Den Gesetzentwurf nennt sie „einen kleinen Schritt in die richtige Richtung, aber weit entfernt vom großen Wurf, den wir angesichts des Rückstands bei der Radinfrastruktur, der hohen Fahrradunfallzahlen und der Klimaziele eigentlich bräuchten“. Sie bemängelt, dass die 1500 Kilometer bis 2030 nur umgerechnet 91 Meter pro Gemeinde im Jahr bedeuten. Damit hätte Bayern vielleicht im Jahr 2160 ein durchgehendes Radwegenetz. 
Zudem fehle das Kernstück eines normalen Gesetzes: die klare Regelung von Zuständigkeiten. Wer plant und baut die Radwege? Auch eine Aussage, welchen Anteil der Radverkehr künftig haben soll, fehlt. Positiv nennt Felsch die stärkere Unterstützung der Gemeinden und das günstige Zugticket für die Fahrradmitnahme.

Immerhin, das Gesetz ist ein Anfang

Bei den beiden Fraktionen der Regierungskoalition ist man vom Gesetz überzeugt. „Unser Gesetzentwurf wird den Radverkehr weiter voranbringen“, sagt Martin Wagle, der radpolitische Sprecher der CSU-Fraktion, der das Radgesetz federführend für seine Fraktion erarbeitet hat. Es stehe natürlich jeder Fraktion frei, im weiteren parlamentarischen Verfahren Änderungsanträge zu stellen.

Dass man den Radentscheid nicht bei der Erstellung des eigenen Gesetzentwurfs einbezogen hat, erklärt Wagle mit dem zu der Zeit laufenden Verfahren am Verfassungsgerichtshof. Den Ausgang habe man abwarten wollen. Grundsätzlich sei man stets im Austausch mit allen Akteur*innen des Radverkehrs in Bayern. 

Freilich sei man bis zur Verabschiedung des Gesetzes auch für Änderungsvorschläge offen, sagt Manfred Eibl, verkehrspolitischer Sprecher der Freie-Wähler-Fraktion. Er betont, dass das Gesetz vieles, das ohnehin schon Praxis sei, zusammenfasse. Neu sei die stärkere Unterstützung der Kommunen. Dafür habe sich seine Fraktion starkgemacht. Gesetze seien nun mal Kompromisse. Und dieser Entwurf sei „ein tragfähiger Kompromiss, der die Chance erhalten sollte, sich in der Praxis zu bewähren“. Und wo er sich nicht bewährt, müsse man ihn eben anpassen. (Thorsten Stark)
 

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