Politik

Arbeiten in bayerischen Gefängnissen ist Pflicht – so auch in der Jugendhaftanstalt Neuburg-Herrenwörth. (Foto: dpa/Armin Weigel)

30.06.2023

Ein-Euro-Jobber hinter Gittern

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts muss Bayern die Vergütung für Gefängnisarbeit erhöhen – das ist dringend nötig

Mit einem Urteil zu Löhnen bei der Gefängnisarbeit hat das Bundesverfassungsgericht den Blick auf Menschen ohne große Lobby gelenkt. Die Karlsruher Richter erklärten, dass Gefangene, die in Justizvollzugsanstalten arbeiten, dafür zu wenig Geld erhalten – verfassungswidrig zu wenig. Klar: Der Zweck der Arbeit im Gefängnis unterscheidet sich von dem außerhalb der Mauern. Die Resozialisierung steht im Vordergrund. Aber mit einem Stundenlohn zwischen 1,37 Euro und 2,29 Euro wird niemand lernen, dass sich ehrliche Arbeit lohnt. Da muss die Politik auch in Bayern ran.

9423 Menschen befanden sich zum Stichtag 31. Mai in den 36 bayerischen Justizvollzugsanstalten in Haft. Im Schnitt arbeiteten von ihnen 54,6 Prozent. Es gilt wie in den meisten Bundesländern eine Arbeitspflicht. Wer aber über 65 Jahre alt ist, muss nicht arbeiten. Dazu gibt es natürlich immer wieder Krankheitsfälle – und Verweigerer, die dann mit Disziplinarmaßnahmen belegt werden.

Einnahmen von mehr als 30 Millionen Euro

Das häufigste Modell sind sogenannte Unternehmerbetriebe, davon gibt es in Bayern rund 200. Im Auftrag privater Firmen erledigen die Inhaftierten in den Gefängnissen meist einfache Arbeiten wie montieren, verpacken, sortieren oder kontrollieren – quasi als verlängerte Werkbank der Firmen. Dann gibt es noch die Eigenbetriebe: Schneidereien, Schreinereien, Schlossereien, Druckereien oder Wäschereien, in denen auch für externe Auftraggeber Leistungen und Produkte angeboten werden.

32,4 Millionen Euro kamen so im vergangenen Jahr als Einnahmen herein. Gar nicht so wenig. Das Justizministerium verweist allerdings auf die 513,4 Millionen Euro, die für den Justizvollzug im selben Zeitraum aufgewendet werden mussten. Jeder und jede Inhaftierte koste am Tag für Bekleidung, Verpflegung und Unterbringung im Schnitt 174,09 Euro. Und trotz der großen Flexibilität der Beschäftigten stünden die Firmen nicht gerade Schlange. Laut Ministerium ist die Produktivität hinter Gittern erheblich niedriger als in der freien Wirtschaft.

Das liegt an den oft wechselnden Arbeitskräften, relativ häufig vorkommenden psychischen und physischen Erkrankungen und Sprachbarrieren: Der Ausländeranteil beträgt rund 45 Prozent. Dazu kommt, dass mehr als ein Drittel der Gefangenen über keine abgeschlossene Schulausbildung verfügt und etwas mehr als die Hälfte über keine abgeschlossene Berufsausbildung. Und mehr als 64 Prozent waren vor der Inhaftierung nicht berufstätig im klassischen Sinne.

Übrigens wird auch in den Gefängnissen ausgebildet: 2922 Gefangene nahmen im vergangenen Jahr an Ausbildungsmaßnahmen teil. In anerkannten Ausbildungsberufen waren es allerdings nur 252. Im Vordergrund steht die Gefängnisarbeit.

Die Verträge für die Aufträge handeln die Anstalten mit den Unternehmen aus, die meist einen Stückpreis bezahlen. Die Vergütung der Arbeitskräfte erfolgt davon unabhängig aus Steuergeldern. Die Höhe wird in der bayerischen Strafvollzugsvergütungsverordnung festgelegt. In diesem Jahr belief sich der Tagessatz auf zwischen 11 und 18,33 Euro, also heruntergerechnet zwischen 1,37 Euro und 2,29 Euro pro Stunde. 

Zu dem Grundlohn kommen noch Leistungszulagen von bis zu 30 Prozent sowie Zulagen für Arbeit zu ungünstigen Zeiten, Arbeit unter erschwerten Umgebungseinflüssen (jeweils 5 Prozent) und Arbeit über die festgesetzte Arbeitszeit hinaus (25 Prozent mehr). Doch selbst der Maximalbetrag ist immer noch äußerst gering.

Zumal der größte Teil des Lohnes bis zur Entlassung aus der Haft einbehalten wird. Mit dem verbliebenen Geld können sich die Inhaftierten nicht viel kaufen. Hygieneartikel, Lebensmittel oder Genussmittel sind in den Gefängniskiosks teurer als draußen in normalen Geschäften. Und die Beschäftigten sind zwar in die Arbeitslosenversicherung einbezogen, aber nicht in die Krankenversicherung, die Pflegeversicherung und auch nicht in die Rentenversicherung.

Es gibt also Gründe, weshalb das Bundesverfassungsgericht der Klage zweier Häftlinge – einer davon kam sogar aus der bayerischen JVA Straubing – gegen die niedrigen Löhne stattgegeben hat. Bis spätestens Ende Juni 2025 müssen nun die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen – von dort kommt der zweite Häftling – ihre jeweiligen Gesetze neu regeln. Wenn die Arbeit im Gefängnis der Resozialisierung diene, dann müsse sie auch mit einer angemessenen Anerkennung honoriert werden.

Das Karlsruher Gericht machte deutlich, dass es sich dabei nicht um den Mindestlohn handeln muss. Aber mit der jetzigen Vergütung fühlten sich die inhaftierten Beschäftigten weder wertgeschätzt, noch könnten sie damit Unterhalt zahlen, Schulden abtragen oder anfangen, den durch ihre Straftat verursachten Schaden zu begleichen, erklärte das Gericht.

Die Grünen fordern sogar den Mindestlohn

Das sieht auch Toni Schuberl, der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Landtag, so. „Wir brauchen endlich ein schlüssiges Gesamtkonzept, das den Fokus auf die Zeit nach der Entlassung setzt.“ Seine Fraktion fordert sogar den Mindestlohn bei der Gefängnisarbeit. Davon solle man dann Beiträge für die Versicherungssysteme, die Unterbringung und Verpflegung sowie Entschädigungen an die Opfer abziehen. Langfristig lässt sich aus seiner Sicht sogar Geld sparen, weil es mit einer besseren Resozialisierung weniger Wiederholungstäter*innen gäbe.

Zahlen muss das so oder so die Allgemeinheit. Das Justizministerium räumt ein, dass es wohl keine Alternative zu einer Finanzierung der angemahnten Lohnerhöhung durch den Staat gibt. Mehr von den Unternehmen könne man jedenfalls nicht verlangen. „Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Unternehmen die Zusammenarbeit mit dem Justizvollzug unter Verweis auf Kostengründe beendeten und ihre Produktion beispielsweise in das Ausland verlegten“, erklärt ein Sprecher. Im Ausland lässt es sich offenbar noch günstiger produzieren. (Thorsten Stark)
 

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