Ein Schulabgänger, der sich für eine Ausbildung entscheiden muss, wägt ab: Welche Talente habe ich? Wofür kann ich mich begeistern? Spannend soll die Arbeit sein. Einigermaßen angesehen. Und vor allem: vernünftig bezahlt. Dafür nehmen junge Leute einiges in Kauf. Studierende ertragen die finanzielle Dauerabhängigkeit von ihren Familien, weil sie wissen: Der Einsatz, mit dem sie lernen, wird sich eines Tages auszahlen.
Das ist bei Lehrlingen nicht anders. Ganz unten in der Betriebshierarchie anzufangen und wenig zu verdienen, finden sie erst mal in Ordnung. Es geht ja stetig bergauf. Manche Auszubildende zahlen sogar fürs Lernen. Pilotenanwärter etwa berappen für ihre Ausbildung bis zu 60 000 Euro. In ihrem Fall kein Problem, sondern reine Mathematik. Weil klar ist: Der Aufwand wird später gut entlohnt. Fürs Fliegen mag das angehen.
In anderen Berufen jedoch ist es schlicht grotesk, dass junge Leute für die Kosten eines Fachschulbesuchs selbst aufkommen müssen. Wer etwa Physiotherapeut werden will, zahlt bei der privaten Heime-rer-Fachschule in München derzeit 320 Euro monatlich. Das ist nicht die Schuld der Schule. Private Institute müssen ihre Kosten eintreiben. Ein Azubi wird für solche Fragen allerdings wenig Verständnis haben. Und lieber da lernen, wo das Lernen nichts kostet. Es gilt also, Auszubildende von abschreckenden Kosten zu befreien.
Der Pflegebonus, den Bayern seit 2013 zahlt, macht es vor: Fließen ausreichend Mittel vom Freistaat, verzichten private Schulen auf Schulgeld. 96 Prozent der antragsberechtigten Schulen im Bereich Altenpflege, Kinderbetreuung und Heilerziehungspflege nehmen den bestehenden Bonus inzwischen in Anspruch. Seit einer Kabinettssitzung vergangenen September steht das Ziel fest, auch das Schulgeld für Gesundheitsfachberufe abzuschaffen. Und seit dieser Woche ist tatsächlich klar: Angehende Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Podologen und Logopäden sollen für ihre Ausbildung in Bayern künftig kein Geld mehr bezahlen müssen.
Einerseits aus ganz pragmatischen Gründen. Die Gesellschaft braucht Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und medizinisch-technische Assistenten. Es ist aber auch eine Frage der Gerechtigkeit. Den Studienplatz eines Medizinstudenten weiterhin quasi kostenfrei zu stellen, den eines Physiotherapeuten dagegen nicht, ist blanker Unsinn. Zumal der Mediziner irgendwann sehr viel mehr Geld in der Tasche haben wird als sein Kollege aus der Physiotherapie.
Studenten dürfen seit jeher kostenfrei an die Uni
Während auf Bundesebene noch über das Problemdiskutiert wird, reagiert das bayerische Kultusministerium schon bald via Gesundheitsbonus. Diesen erhalten – zusätzlich zu den bisherigen Betriebszuschüssen und dem Schulgeldersatz – künftig alle privaten Berufsfachschulen für nichtärztliche Assistenz- und Heilberufe, wenn sie darauf verzichten, Schulgeld zu verlangen. Die privaten Schulträger, so das Kultusministerium, können ihre Anträge voraussichtlich ab Juli rückwirkend stellen.
Eine Mehrheit der Schulen hat, so Dominik Spitzer, der gesundheits- und pflegepolitische Sprecher der FDP, bereits einem Finanzierungsvorschlag der Landesregierung zugestimmt. Etwa die Berufsfachschule für Physiotherapie in Freyung. Der nachgebesserte Bonus sei inzwischen hoch genug, um die Kosten zu decken, erklärt der dortige Personalreferent Ludwig Brunner.
Weniger zufrieden reagieren Schulen mit anderer Kostenstruktur. „Den größeren Schulen“, so Dominik Spitzer, „bleibt nichts anderes übrig, als in den sauren Apfel zu beißen.“
Das bestätigt Geschäftsführer Friedrich Heimerer auf Anfrage: „260 bis 310 Euro sind geboten, je nach Klassenstärke. Wir haben nun die Wahl zwischen geringeren Teilnehmerzahlen mit Schulgeld oder, hoffentlich, höheren Teilnehmerzahlen ohne Schulgeld.“ Die Schule werde auf den Gesundheitsbonus setzen. „Eine andere Wahl haben wir nicht.“ Auch der FDP-Politiker Spitzer findet den Bonus zu niedrig. Er befürchtet, „dass unter dieser Art der Schulgeldfinanzierung die Qualität leiden wird“. Und berichtet von Panik unter Lehrern, die um ihren Arbeitsplatz fürchten.
Dennoch: Der Abschied vom Schulgeld wird auch hier kommen. Und das ist nicht nur für die Auszubildenden, sondern auch für die Gesellschaft ein Gewinn. Bleibt, den Ausbildungsmarkt nach anderen Ungerechtigkeiten abzusuchen. Fündig wird man bei einer sehr deutschen Besonderheit im Ausbildungswesen: dem Meistertitel. Auszubildende bekommen Lehrjahre und Gesellenprüfung zwar generell von den Betrieben bezahlt. Wollen sie es aber zum Meister bringen, müssen sie das eigene Konto plündern. Bis zu 960 Euro Gebühr kann allein die Meisterprüfung bei der Handwerkskammer für München und Oberbayern kosten. Inklusive Vorbereitungskurs summiert sich der Betrag für den Meistertitel bei Friseuren auf 4000 Euro, bei einem Elektrikermeister auf 9000 Euro.
„Bachelor“ und „Master“ an der Uni dagegen sind, zum Glück, kostenlos zu haben. Warum keiner aufschreit? Weil die Landesregierung ein Meister-BAföG in Höhe von 40 Prozent gewährt. Und – der Bonus scheint hierzulande inzwischen groß in Mode – einen sogenannten Meisterbonus. Erfolgreiche Prüfungsteilnehmer erhalten bisher 1500 Euro als Bonus, ab Mitte des Jahres soll er 2000 Euro betragen. Den verbleibenden Rest bezahlen die Meisterschüler und Meisterschülerinnen aus eigener Tasche. Offenbar ficht sie das nicht an. Die Zahlen der Prüflinge sind, zumindest in Oberbayern, konstant. Das unerschütterliche Engagement ist zwar erfreulich. Bildungsgerechtigkeit allerdings sähe anders aus. (Monika Goetsch)
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