Politik

Horst Seehofers Facebook-Seite ist zwar recht aktuell, auf Bürgerkommentare aber geht er kaum ein. (Foto BSZ)

02.12.2011

Entweder ganz oder gar nicht

Immer mehr Politiker nutzen Facebook – allerdings nicht immer zu ihrem Vorteil

Wenn Horst Seehofer (CSU) dieser Tage auf seine eigene Facebook-Seite schaut, dürfte ihm recht warm ums Herz werden. „Daumen rauf für unseren Ministerpräsidenten“ prangt dort auf seiner Pinnwand. Das Lob kommt von einem der über 3700 Fans, die auf Seehofers Seite den Gefällt mir-Button angeklickt haben.
Immer mehr Politiker nutzen soziale Netzwerke. Und natürlich geht es dabei weniger darum, sich der eigenen Beliebtheit zu vergewissern. Man will mit den Bürgern, vor allem der jungen Generation, in Kontakt treten. Über 70 Prozent der Erwachsenen nutzen Internet, bei den Jugendlichen sind es sogar 98 Prozent, so eine aktuelle Online-Studie von ARD und ZDF. „Die kommenden Wahlen werden im Internet gewonnen“, glaubt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt gar. Stolz hatte er im Sommer seine „Einsatzzentrale“ vorgestellt: die neue Abteilung Politik 2.0, in der über ein Dutzend Mitarbeiter alle Online-Aktivitäten der Partei bündeln.

"An Facebook kommt keiner mehr vorbei"


Dass man am Internet nicht mehr vorbeikommt, haben natürlich auch die Politiker der anderen Parteien längst begriffen. Ein Abgeordneter ohne Homepage und eigene E-Mail-Adresse ist heute undenkbar. Und viele Mandatsträger sind sich sicher: Auch an Facebook und Co. führt kein Weg mehr vorbei. „Über Facebook erreiche ich mehr Menschen als über meine Homepage“, sagt etwa Florian Pronold, Landesvorsitzender der Bayern-SPD. Und Dorothee Bär, stellvertretende CSU-Generalsekretärin, betont: „Die Menschen erwarten zu Recht, dass mit ihnen direkt über moderne und zeitgemäße Kanäle kommuniziert wird.“
„Es ist das soziale Netzwerk mit den meisten Nutzern weltweit, insofern kommt man daran überhaupt nicht vorbei“, bestätigt Thomas Hacker, Vorsitzender der FDP-Landtagsfraktion. Auch der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger ist überzeugt: „Die Nutzer werden hier nahezu in Echtzeit in unsere Arbeit einbezogen.“ Von Partei-Kollegin Claudia Jung kommt Unterstützung: „Es wäre ein fataler Trugschluss zu glauben, dass es sich um eine Modeerscheinung handelt, die man ignorieren kann.“
Tatsächlich aber nutzt kaum ein Politiker die Internetplattform mit ihren 20 Millionen Mitgliedern in Deutschland so intensiv wie sie: Mehrmals täglich informiert Claudia Roth, Bundesvorsitzende der Grünen, dort über ihre Arbeit, tut ihre Meinung kund oder stellt ein Video vom letzten Talkshow-Auftritt online. Schließlich würden immer mehr politische Diskussionen  in sozialen Netzwerken geführt, sagt sie. Und jetzt kommt die schlechte Nachricht für Horst Seehofer: Bei Roth haben bislang fast 11 000 Facebook-Anhänger den Gefällt mir-Button gedrückt.

"Karikatur von Kommunikation"


Doch es gibt keineswegs nur Befürworter der schönen, neuen Facebook-Welt. Gerade hat Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) aus Protest dem sozialen Netzwerk seine Freundschaft gekündigt. Wie schon Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) vor einem Jahr begründete er die Stilllegung seines Profils mit der Sorge um den Datenschutz.
Andere machen dagegen erst gar nicht mit: der SPD-Landtagsabgeordnete Thomas Beyer zum Beispiel. „Natürlich haben Politiker ein großes Interesse daran, mit dem Bürger in direkten Kontakt zu treten“, sagt er. Facebook allerdings sei für ihn keine Option. „Um dort aktuell und authentisch zu sein“, fehle ihm die Zeit. Viele Kollegen würden einen Ghostwriter beschäftigen, berichtet er. „Für mich ist das die Karikatur von Kommunikation.“ Er dagegen beantworte jede Bürgeranfrage selbst.
Und auch der Grünen-Abgeordnete Martin Runge trifft Menschen lieber persönlich. „Sie sprechen mich in der S-Bahn an oder kommen vorbei“, sagt er. Über 100 E-Mails erreichen Runge außerdem täglich, für soziales Netzwerken bliebe da keine Luft.
Das Erstaunliche ist: Studien zur politischen Kommunikation in Deutschland geben ausgerechnet den Facebook-Muffeln recht. „Viele Politiker haben gar nicht die Zeit und die Ressourcen, um ihre Facebook-Seite richtig zu pflegen“, sagt Linette Heimrich, Medienwissenschaftlerin an der TU Ilmenau. Profile würden oft wochenlang nicht aktualisiert, und auf Kommentare von Bürgern werde meist nicht reagiert, so ein Ergebnis ihrer Studie „Politische Public Relations in sozialen Online-Netzwerken“. Die Mehrzahl der Abgeordneten würden die neuen Medien lediglich dazu nutzen, um Pressemitteilungen  loszuwerden. „Ein Austausch mit der Bevölkerung findet also kaum statt.“,sagt Heimrich. „Das zeigt, dass viele Politiker den Grundgedanken dahinter gar nicht verstanden haben.“ Die Expertin fordert: „Ganz oder gar nicht“, sonst mache ein Facebook-Profil keinen Sinn. Prominentes Beispiel: Auf seiner Facebook-Seite ist Markus Söder (CSU) noch Umweltminister.
Heimrichs Rat: „Twitter kann eine Alternative sein.“ Der Mikroblog ist auf 140 Zeichen beschränkt, eine Nachricht lässt sich schnell absetzen. Als positives Beispiel nennt sie die Landtagsabgeordnete Dagmar Wöhrl (CSU), die aus dem Ausland twittere, aber auch mal aus dem Stadion. „Sie ist persönlich, aber nicht privat“, so Heimrich. „Twitter ist meine digitale Brücke zu den Bürgern“, bestätigt Wöhrl. Und spricht Wissenschaftlerin Heimrich aus dem Herzen: „Lieber eine Sache richtig machen als viele halbherzig.“
(Angelika Kahl)

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