Politik

Grünen-Chef Ludwig Hartmann, Heizungsbauer Andreas Gürtler, Mitarbeiterin Anke Hofmeier und Azubi Karim Hosseini (von links). (Foto: LOH)

26.02.2016

Erst ausbilden, später abschieben

Die Landtags-Grünen besuchen Unternehmer, die Flüchtlinge einstellen – was sind die größten Hürden?

Allein den richtigen Ansprechpartner zu finden – nahezu unmöglich. Das musste auch das Hotel Bayerischer Hof erfahren. Es hatte sich bereits im Oktober 2014 entschieden, Flüchtlinge auszubilden. Einerseits weil man dort Arbeit für das beste Instrument der Integration hält. Andererseits aber auch, weil gerade im Hotel- und Gastronomiegewerbe oft Lehrstellen mangels geeigneter Bewerber unbesetzt bleiben. Erste Anfragen an das Sozialreferat verliefen jedoch im Sande. Am Ende waren es private Initiativen und das Projekt „Flüchtlinge in Beruf und Schule“ der Münchner Volkshochschule, die zwei ihrer Schützlinge an Personalchef Thomas Hintermayer vermittelten. „Gerne hätten wir auch mehr genommen“, sagt Hintermayer.

Es ist die „Woche der Ausbildung“ mit 220 Veranstaltungen in 64 Städten, die die Staatsregierung heuer erstmals ausgerufen hat. Die Landtags-Grünen nehmen das zum Anlass, Unternehmen zu besuchen, die junge Menschen ausbilden und damit zu deren Integration beitragen. „Im Gegensatz zur Staatsregierung, die sich selbst feiert, wollen wir die Betriebe in ihrem Bemühen um junge Flüchtlinge bestärken und Danke sagen für das Engagement“, erklärt die Abgeordnete Claudia Stamm. Aber sie ist auch in den Bayerischen Hof gekommen, um zu hören, wo der Schuh drückt.

Und der drückt an manchen Stellen gewaltig, wie Personalchef Hintermayer erklärt. Im Sommer 2015 haben Ayodele Adegesin (22) aus Nigeria und Dilavar Khan Zadran (21) aus Afghanistan ihre Ausbildung als Restaurantfachmann begonnen. Beide sind „hochmotiviert“, so Hintermayer. Sie haben einen Deutsch-Intensivkurs absolviert und den Mittelschulabschluss nachgeholt. Doch noch immer ist die Sprache ein Problem – gerade auch, was das Fachvokabular betrifft. Doch an den öffentlichen Berufsschulen gibt es keine Klassen mit Sprachen-Schwerpunkt, klagt Hintermayer. Es gibt lediglich reine Deutsch- und Berufsvorbereitungsklassen für jeweils ein Jahr. Danach erst folgt die duale Ausbildung. „Verschenkte Zeit, wenn jemand mit Mittelschulabschluss bei Null anfangen muss“, betont Hintermayer. „Aber in einer normalen Berufsschule könnten sie wohl nicht folgen.“ Hier wünscht sich der Personalchef ein Umdenken und angepasste Lehrpläne. Mit der privaten Adolf-Kolping-Berufsschule habe man „aktuell eine tolle Lösung“ gefunden, dort werden Adegesin und Zadran intensiv gefördert. „Doch wie soll es weitergehen, wenn mehr Flüchtlinge kommen?“

Zu starres System an den Berufsschulen

Von denselben Schwierigkeiten berichtet auch Andreas Gürtler, dessen ökologischen Heiz- und Haustechnikbetrieb in Oberschleißheim Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann besuchte. „In der Berufsschule herrscht ein veraltetes Lernsystem, das macht es nicht nur Flüchtlingen schwer“, kritisiert Gürtler. So dürften Tests beispielsweise nicht kopiert oder fotografiert werden, was die Nachbearbeitung schwierig mache. Außerdem fordert er die Vermittlung von versicherungsrechtlichen Fragen und neben dem Unterricht zusätzlich einen ausbildungsbezogenen Sprachkurs. Was sein Auszubildener Karim Hosseini (20) aus Afghanistan nicht verstehe, müsse bisher jeden Freitag nachbehandelt werden. „Der Investitionsaufwand ist aber insgesamt nicht höher als bei einem deutschen Azubi“, versichert Gürtler. Die Texte in den Berufsschulen seien auch für Deutsche nicht leicht zu verstehen.

Das zweite Problem: die mangelnde Rechtssicherheit. Seit Sommer 2015 gilt zwar, dass junge Flüchtlinge in Ausbildung und zwei Jahre danach nicht abgeschoben werden sollen. Allerdings ist das eine Kann-Bestimmung, die auch vom Erfolg des Azubis abhängt. „Da sollte man etwas den Druck herausnehmen“, fordert Hintermayer vom Bayerischen Hof. „Manche brauchen einfach mehr Zeit.“ Noch unsicherer sei die Situation für Mitarbeiter aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten. „Eine unserer Hilfskräfte aus dem Senegal soll aktuell abgeschoben werden“, sagt Hintermayer. Auch in diese Mitarbeiter habe man einiges investiert, zum Beispiel sponsert der Bayerische Hof als Starterkit einen Sprachkurs. Hintermayer: „Für mich ist das wie russisches Roulette.“

Der Asylbescheid von Hosseini aus Oberschleißheim wurde in erster Instanz ebenfalls abgelehnt. Er würde also in vier Jahren abgeschoben, wenn der Einspruch keinen Erfolg hat. „Ich verstehe nicht, warum er nicht hierbleiben darf, wenn er sich integriert“, kritisiert Heizungsbauer Gürtler. Für Fraktionschef Hartmann ist diese Regelung sogar eine „Unverschämtheit“: „Da geht ein Unternehmen ohne jede staatliche Unterstützung in Vorleistung, und dann wird der Auszubildende einfach abgeschoben.“ Außerdem verlangt er, die Lehre aufzuwerten, da ein Vertrag als Aushilfskraft aktuell für viele finanziell lukrativer sei.

Für Parteikollegin Stamm bestätigt sich, was sie schon immer vermutet hat: „Vom Staat kommt viel zu wenig Unterstützung.“ Es sei vor allem dem Engagement Ehrenamtlicher und der Betriebe zu verdanken, wenn die Ausbildung von Flüchtlingen klappe. „Für Verschärfungen braucht es nur zwei oder drei Wochen. Sie werden durchgepeitscht, bevor die Tinte trocken ist. Für Arbeitserleichterungen, wie sie seit Jahren auch von Wirtschaftsverbänden gefordert werden, braucht es dagegen unendlich viel Zeit. Das ist unverständlich.“

Gürtler wünscht sich von der Politik vor allem Anlaufstellen, an denen Flüchtlinge und Arbeitgeber Kontakt aufnehmen können. „Wir suchen händeringend Azubis, aber momentan gibt es nur Insellösungen und Mundpropaganda“, kritisiert er. Außerdem müsse die Kommunikation zwischen den Stellen verbessert werden. Ohne die Flüchtlingsschule SchlaU, die bei Hosseinis Vertrag geholfen habe, wäre die Einstellung nicht so reibungslos verlaufen. „Ich habe großen Respekt vor Karims Energie, trotz so vieler Vorurteile Handwerk und Sprache zu lernen“, betont Gürtler. Der afghanische Azubi selbst bleibt bescheiden: Es sei manchmal schon schwierig. „Aber wenn man Interesse hat, wird das schon.“ (Angelika Kahl, David Lohmann)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche

Soll eine Helmpflicht für Pedelecfahrer eingeführt werden?

Unser Pro und Contra jede Woche neu
Diskutieren Sie mit!

Die Frage der Woche – Archiv
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.