Politik

Türken-Martin, Kalif oder auch Teppichflieger. Seine CSU-Fraktion hat sich schon einige Namen für Martin Neumeyer ausgedacht. Ihn stört's nicht. (Foto: dpa)

13.01.2016

"Die Menschen sagen: Ihr redet ja nur und macht nichts"

Der bayerische Integrationsbeauftragte, Martin Neumeyer (CSU), über das geplante Integrationsgesetz, Strafen für lernunwillige Flüchtlinge und die Forderungen nach einer Obergrenze für den Zuzug

Seit Anfang 2009 ist Martin Neumeyer Integrationsbeauftragter der Bayrischen Staatsregierung. Im vergangenen Jahr wurde sein Amt direkt der Staatskanzlei zugeordnet. Bisher war er im Sozialministerium zu Hause. Eine klare Aufwertung. Seit einigen Wochen arbeitet dort auch ein junger Syrer als Praktikant mit. Und gibt dem 61-Jährigen durchaus auch mal Ratschläge.
BSZ: Herr Neumeyer, die CSU hatte bislang ein Integrationsgesetz kategorisch abgelehnt. Jetzt arbeitet sie selbst an einem solchen Gesetz, was wird also drin stehen?
Martin Neumeyer:
Ich persönlich habe mir ja schon länger ein Integrationsgesetz gewünscht. Wir sind in Bayern im Vergleich mit anderen Ländern in Sachen Integration sehr erfolgreich. In den Bereichen Schule und Arbeit liegen wir weit vorne, da hilft uns auch unsere wirtschaftliche Stärke. Das ist aber ein hochkomplexes Thema, von dem fast alle Ministerien betroffen sind. Deshalb muss man die verschiedenen Bereiche zusammenfügen und mit Leben füllen. Dazu gehören natürlich auch das entsprechende Personal und die finanziellen Mittel. 4,2 Milliarden Euro hat Finanzminister Söder allein für die Asylpolitik im aktuellen Haushalt bereitgestellt. Was wir allerdings nicht brauchen, ist noch mehr Bürokratie zum Beispiel mit der Schaffung von neuen Räten, wie es die SPD will. BSZ: Die Staatskanzlei hat schon konkrete Eckpunkte ausgearbeitet …
Neumeyer: …ja, daran war ich beteiligt. Es geht um die Bereiche Schule, Verwaltung, Wohnungsbau, Ausbildung und Beruf sowie das Vereinswesen. Die Staatsregierung will eine pragmatische Lösung, aber einfach ist das nicht. BSZ: Seehofer hatte angekündigt, hier mit der Opposition eng zusammenarbeiten zu wollen. Die moniert jetzt, dass sie zu den Gesprächen, die Sie mit dem Bayerischen Integrationsrat führen wollen, wieder ausgeladen wurde.
Neumeyer: Der Integrationsrat hat mehr als 90 Mitglieder, die wir bis zum 4. Januar um Rückmeldung gebeten haben, wer bei den Beratungen mitmachen will. 21 haben sich gemeldet. Mit der Opposition soll es dann eine eigene Gesprächsrunde geben.

"Natürlich braucht es neben dem Fördern auch immer ein Fordern. Sonst stünde die Integration nur auf einem Bein"

BSZ: Das Motto für das geplante Integrationsgesetz heißt Fordern und Fördern. Kann man Integration denn Erzwingen?
Neumeyer: Natürlich braucht es neben dem Fördern auch immer ein Fordern. Sonst stünde die Integration nur auf einem Bein. Ja, wir haben bei der Integration der Gastarbeiter in vielen Bereichen Probleme gehabt. Aber wenn jemand 30 Jahre in einem Land lebt und kein Wort Deutsch spricht und deutsche Traditionen und Werte ablehnt, dann hat er auch eine Mitschuld. Eine gewisse Eigenverantwortung haben Menschen schließlich auch. BSZ: Und wenn sich jemand verweigert, drohen Sanktionen?
Neumeyer: Ja, zum Beispiel können Leistungen gekürzt werden. Mein Ansatz allerdings wäre eine Kombination aus Sanktionen und Belohnungen – auch wenn ich dafür von allen Seiten belächelt werde. Denn ich glaube, dass es ein schönes Zeichen wäre für jemand, der sich besonders bemüht, wenn er beispielsweise Freikarten für ein Konzert, fürs Kino oder Schwimmbad bekommt. Allerdings stoße ich diesbezüglich noch auf Ablehnung. BSZ: Und was bringt es, wenn jemand seine Zeit in einem Deutschkurs nur absitzt, um die volle Unterstützung zu bekommen?
Neumeyer: Natürlich muss er auch mitmachen. Was sanktioniert oder belohnt werden muss, ist der Erfolg. Vielleicht muss man aber auch einfach die Debatte anders führen. Lange haben wir gesagt: Lern Deutsch für Deutschland. Wichtig wäre aber auch zu sagen: Lern Deutsch für dich. Denn selbst wenn Menschen wieder in ihr Heimatland zurückkehren, wird eine zweite Sprache immer ein Mehrwert für sie sein.

"Wir brauchen ganz dringend die Unterstützung der Bevölkerung – zum Beispiel in Vereinen oder Feuerwehren"

BSZ: Fordern Sie also Deutschkurse von Anfang an?
Neumeyer: In Bayern lernen die Menschen vom ersten Tag an Deutsch. Leider fehlen angesichts der hohen Flüchtlingszahlen noch Plätze. Diese müssen wir dringend ausbauen. BSZ: Das Problem sind also nicht die Flüchtlinge, die nicht Deutschlernen wollen, sondern ist der Mangel an Angeboten?
Neumeyer: Es gibt ein Kapazitätsproblem. Und die Mehrheit ist willig, aber es gibt auch Unwillige. Und am Ende müssen die gemeinsamen Werte stehen, die nicht verhandelbar sind: Demokratie, Gleichberechtigung, Rechtsordnung, Religionsfreiheit und wirtschaftliche Prosperität. Ich habe einen jungen Syrier als Praktikanten eingestellt. Vor einer Landtagsdebatte zum Thema Werte, habe ich ihn gefragt, wie man in Syrien das Thema Gleichberechtigung sieht. Oh, hat er geantwortet, das sei dort unbekannt. Die Frau habe dort eine andere Stellung als der Mann. Und mit dieser Einstellung kommen viele nach Deutschland.  BSZ: Im Deutsch- und Integrationskurs sollen die Menschen unsere Werte vermittelt bekommen. Was kann man noch tun?
Neumeyer: Wir brauchen ganz dringend die Unterstützung der Bevölkerung – zum Beispiel in Vereinen oder Feuerwehren, die bei der Integration helfen. Leider hat sich nach Köln die Stimmung in der Bevölkerung verschlechtert. Wir müssen den Menschen sagen: Ohne euch geht es nicht. Und ihnen klarmachen, dass es hier um kein Flüchtlingsprogramm geht, sondern um ein bayerisches Zukunftsprogramm für alle. Und wir müssen schauen, dass der Zuzug in diesem Jahr geringer wird.

"Wir schaffen das - wenn wir uns auf Obergrenzen einigen können"

BSZ: Unterstützen Sie Forderungen nach einer Obergrenze?
Neumeyer: Ja, und wir brauchen bald eine Entscheidung. Denn die Menschen werden ungeduldig und sagen: Ihr redet ja nur und macht nichts. Die Zahl 200 000 von Ministerpräsident Seehofer ist dabei ein Richtwert. Das geht natürlich nur mit der EU: Schengen, Dublin und Kontingenten. Aber auch andere Länder wie USA, Kanada, China und Australien sind gefordert. Die USA nehmen gerade einmal 10 000 Syrer auf. So viele kommen in Passau schon mal an einem Tag an. Aber vielleicht haben wir jetzt – auch durch Köln bedingt – die Chance, endlich eine Debatte über Integration ohne Angst und ohne Illusion zu führen, wie es schon Johannes Rau formulierte. BSZ: Und: Schaffen wir es dann?
Neumeyer: Ja, wenn wir uns in den nächsten zwei, drei Monaten auf Obergrenzen einigen können. Erst einmal in Deutschland, aber dann natürlich in Europa. Es kann doch nicht Sinn und Zweck einer europäischen Union sein, dass einige Länder ihre Binnengrenzen einfach schließen. Wir müssen den Menschen echte Lösungen anbieten, denn dann tun wir uns auch in der Debatte um die Integration leichter. (Interview: Angelika Kahl) In der nächsten Ausgabe der Bayerischen Staatszeitung vom 15. Januar 2016 finden Sie einen Hintergrundbericht zum Thema Maßnahmen zur Flüchtlingsintegration in Bayern.

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