Der von der Berliner Ampel-Koalition auf den Weg gebrachte Entwurf eines Gesetzes zum Infektionsschutz ist auch in Bayern umstritten. Tatsächlich bietet es den Bundesländern aber viele Freiheiten, etwa bei Maskenpflichten. Dominik Spitzer (55), selbst Arzt, plädiert dafür, diesen Spielraum zu nutzen.
BSZ: Herr Spitzer, was bereitet Ihnen als Gesundheitspolitiker mit Blick auf den Herbst mehr Sorgen: das Coronavirus oder die geplanten Corona-Maßnahmen?
Dominik Spitzer: Vor dem Coronavirus hab ich keine Angst, vor allem vor dem Hintergrund, dass die Varianten jetzt relativ stabil sind und keine weitere Mutation aufgetreten ist. Wir haben es mit der jetzigen Omikron-Variante zwar mit einem höchst infektiösen, aber, was die Schwere der Erkrankungen angeht, eher harmlosen Virus zu tun. Angst habe ich höchstens vor den eventuell überschießenden Maßnahmen, die der eine oder die andere einsetzen könnte.
BSZ: Wenn Sie im Alleingang entscheiden könnten, welche Maßnahmen gelten, welche wären das?
Spitzer: Ich würde die Maskenpflicht im Gesundheitsbereich beibehalten. Im ÖPNV würde ich auf Masken verzichten, ebenso im Flug- und Fernverkehr. Abgesehen davon würde ich so vorgehen wie die meisten europäischen Länder. Nur Deutschland und Dänemark haben sich bisher überhaupt mit dem Herbst beschäftigt. Alle anderen warten die Situation ab, schauen sich die Entwicklung an, um dann gegebenenfalls zu reagieren. Ich glaube nicht, dass es nötig ist, jetzt schon alles in Stein zu meißeln, wenn es im Herbst dann doch ganz anders kommt. Entscheidend wird sein, ob es zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt.
BSZ: Wobei es eine Überlastung in Deutschland angeblich zu keinem Zeitpunkt der Pandemie gegeben hat. Richtig?
Spitzer: Um das verlässlich sagen zu können, hätten wir valide Daten dazu gebraucht, ob jemand wegen oder mit Corona in einer Klinik ist. Diese Daten gibt es noch immer nicht. Nach wie vor werden alle Fälle in einen Topf geworfen. Wir brauchen aber unbedingt bereinigte Zahlen. Offenbar gibt es daran kein gesteigertes Interesse. So kann die Politik immer neue Maßnahmen begründen. Für die Krankenhäuser sollte ein Anreiz geschaffen werden, valide Daten zu liefern. Derzeit bekommen sie nämlich für jeden Corona-Patienten einen Zuschlag – das müsste man halt dergestalt ändern, dass die Prämie für alle Coronapositiven gezahlt würde, egal, ob sie wegen oder mit Corona in der Klinik sind.
BSZ: Überlastet sind die Kliniken aber doch auch deshalb, weil Personal fehlt.
Spitzer: Richtig, das ist das Hauptproblem. Grund ist, dass wir noch immer eine Isolationspflicht für infizierte Beschäftigte haben. Auch da sind andere europäische Länder einen Schritt weiter. Zum Beispiel gilt in der Schweiz: Wenn jemand erkrankt, aber asymptomatisch ist, muss er oder sie mit FFP2-Maske weiterarbeiten. Und zwar auch im Gesundheitsbereich. Grundsätzlich: Wir haben schon lange das Problem, dass Personal fehlt, mit Corona hat sich das verschärft, weil viele Beschäftigte abgewandert sind. Die müsste man zurückholen, mit attraktiven Angeboten. Stattdessen lese ich, dass unter anderem die Schweiz unser Gesundheitspersonal abwirbt mit besserer Bezahlung sowie dem Verzicht auf die leidige Pflegeimpfpflicht.
"Wer will, kann eine FFP2-Maske tragen – die bietet sowohl Eigen- als auch Fremdschutz"
BSZ: Diese Woche hat sich das Bundeskabinett mit dem Lauterbach-Buschmann-Vorschlag für Pandemiemaßnahmen ab Herbst befasst und ein bisschen nachjustiert: Bundesländern, die Maskenpflichten für Innenräume anordnen, soll nun freigestellt sein, ob sie Ausnahmen für frisch Geimpfte, Genesene oder Getestete beschließen. Wie finden Sie das?
Spitzer: Ich finde weder das eine noch das andere gut. Fakt ist doch: Wer geimpft ist, kann trotzdem erkranken und andere anstecken. Hinzu kommt, dass eine schwere Erkrankung bei der aktuellen Variante unwahrscheinlich ist. Natürlich sollen sich gefährdete und vor allem ältere Personen impfen lassen, am besten gegen Corona und Influenza. Das aber irgendwie mit Maskenpflichten und der Befreiung davon zu verknüpfen ist Aktionismus. Es ist an der Zeit, dass wir entspannter werden und anerkennen, dass wir nun von der Pandemie in die Endemie wechseln.
BSZ: Warum hat man die Maskenpflichten und die Option zur Befreiung nicht ganz gekippt?
Spitzer: Vermutlich, weil es ein Eingeständnis der Schwäche und ein Gesichtsverlust für die Handelnden, insbesondere Lauterbach, gewesen wäre.
BSZ: Der Virologe Hendrik Streeck sagte kürzlich in der ZEIT, es gehe bei der Pandemiepolitik inzwischen vorrangig um Rechthaberei, dabei hätten alle Beteiligten Fehler begangen.
Spitzer: Genauso ist es. Man muss sich die Entwicklung bloß mal anschauen: Zunächst war eine Impfung vorgesehen, dann plötzlich zwei, dann war die Rede von Grundimmunisierung, dann musste man boostern. Jetzt sollen angepasste Impfstoffe auf den Markt kommen, bloß leider kommen die zu spät. Wir laufen immer der Entwicklung hinterher. Deshalb plädiere ich mit Blick auf die aktuelle Situation auf Eigenverantwortung. Sprich: Impfung, und wer es will, kann eine FFP2-Maske tragen – die bietet sowohl Eigen- als auch Fremdschutz.
BSZ: Was halten Sie vom Vorschlag des niedersächsischen Ministerpräsidenten Weil, vor Großveranstaltungen grundsätzlich alle zu testen?
Spitzer: Nichts. Das müssten dann ja PCR-Tests sein, um eine valide Aussage zu erhalten. Schnelltests sind viel zu unsicher. Man kann aber nicht massenweise Leute PCR-testen, das ist aufwendig und teuer und bis man das Ergebnis hat, ist es veraltet.
BSZ: Erwarten Sie, dass der Bundestag die vom Bundeskabinett beschlossenen Vorgaben beim Infektionsschutz so beschließt? Der FDP-Fraktionschef im Bundestag hofft auf Änderungen.
Spitzer: Ich kann mir vorstellen, dass es im Fall der Maskenpflicht in Flugzeugen und Fernzügen noch zu Änderungen kommt. Denn wir brauchen grundsätzlich europäische Lösungen. Meines Wissens ist Deutschland eines der ganz wenigen Länder, die noch eine Maske im Flugzeug und im Zug vorschreiben, das ist unpraktikabel und sollte wegfallen.
(Interview: Waltraud Taschner)
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