Politik

Hubert Aiwanger. Er behauptet: Ohne die Freien Wähler wäre die CSU nicht auf die Idee gekommen, ein Heimatministerium zu gründen. (Foto: dpa)

01.06.2018

„Es ist Zeit, dass wir auch mal mitregieren“

Anlässlich des 40. Jubiläums des Freie Wähler-Landesverbands zieht FW-Chef Hubert Aiwanger eine Bilanz der Erfolge und Misserfolge und erläutert seine Pläne fürs Wahljahr

Dieses Wochenende feiert der Landesverband der Freien Wähler 40-jähriges Jubiläum. Die Staatszeitung sprach mit Hubert Aiwanger, dem Bundes- und Landesvorsitzenden und Fraktionschef der FW im Landtag, über die Entwicklung der FW und seine Agenda für die Landtagswahl im Oktober.

BSZ: Herr Aiwanger, wofür stehen die Freien Wähler? Viele Leute wissen das noch immer nicht.
Hubert Aiwanger: Wir sind die Heimatpartei, die sich darum kümmert, dass die Dinge vor Ort funktionieren. Nach dem 2. Weltkrieg, als die ersten Ortsverbände entstanden sind, ging es den Freien Wählern darum, in den Kommunen vor Ort Verantwortung zu übernehmen, lokale Missstände aufzugreifen. Da schließt sich jetzt der Kreis, denn die große Politik lässt die Bürger zunehmend ratlos zurück, weil sie sich um deren ganz alltägliche Probleme nicht kümmert. Ob es um fehlende Kita-Plätze geht, um Schwimmbäder, die schließen oder um marode Straßen – die Menschen wollen, dass ihr Leben vor Ort funktioniert, und darum wollen wir Freie Wähler uns kümmern.

BSZ: Überschätzen Sie sich da nicht etwas? Immerhin ist es die CSU, die ein Heimatministerium etabliert hat. Gemessen an Wahlergebnissen schafft sie es bislang, das Gefühl zu vermitteln, dass sie Bayern ganz ordentlich verwaltet.
Aiwanger: Ohne die Freien Wähler gäbe es das Heimatministerium doch gar nicht! Dass in Bayern ein Heimatministerium geschaffen wurde, war eine Reaktion auf den Einzug der Freien Wähler in den Landtag 2008. Die CSU hat gemerkt, dass wir uns um die bayerische Heimat kümmern und damit Erfolg haben. Und wollte das Heimatthema zurückerobern.

BSZ: Dennoch: Ihre Truppe wirkt sehr heterogen. Beneiden Sie die etablierten Parteien manchmal um deren klareres Profil?
Aiwanger: Die großen Parteien sind in der Regel Weltanschauungsparteien, die eher links ausgerichtet sind, rechts, wirtschaftsliberal und so weiter. Unsere Historie ist anders. Die FW-Ortsververbände sind entstanden, weil wir uns pragmatisch um lokale Probleme gekümmert haben. Da gab es Linksliberale und Wertkonservative, die für die gleiche Sache gekämpft haben, einfach, weil es für die jeweilige Kommune das Beste war. Um ideologische Grundsatzfragen ging es da nicht. Inzwischen haben wir aber auch hier einen Konsens gefunden: Wir sind eine moderne wertkonservative Partei.

BSZ: Was bedeutet das konkret? Finden Sie Söders Kreuzerlass und das neue Polizeiaufgabengesetz gut?
Aiwanger: Ich bin dafür, dass man Kreuze aufhängt. Natürlich gehört in jede Behörde ein Kreuz. Mich wundert, dass das nach 60 Jahren CSU noch nicht passiert ist und erst jetzt angegangen wird, ein halbes Jahr vor der Landtagswahl. Aber ich wende mich dagegen, wie es umgesetzt wird: publikumswirksam zu Wahlkampfzwecken. Zum Polizeiaufgabengesetz: Die Hälfte davon ist gut, nämlich die, bei der es um Schutz vor Terror und staatsgefährdende Aktionen geht. Aber ich bin dagegen, zu stark in die bürgerliche Normalwelt einzugreifen. Man darf den Aspekt der drohenden Gefahr nicht auf alles anwenden, was unter die Rubrik öffentliches Interesse fällt. Das geht zu weit.

BSZ: Inwiefern?
Aiwanger: Öffentliches Interesse, was soll das genau sein, wo ist da die Grenze? Hier gerät Otto Normalbürger zu leicht ins Visier der Polizei. Außerdem erkenne ich keinen ganzheitlichen Ansatz: Die Polizei soll auch bei kleinen Delikten künftig deutlich schneller zugreifen, andererseits laufen bekannte Gefährder frei rum und dürfen sogar die Familie nachholen, wenn sie sich „glaubhaft vom Terror losgesagt haben“. Das passt nicht zusammen!

"Ich kann gut Menschen zusammenführen und Widersprüche ausbalancieren, einen gemeinsamen Nenner finden"


BSZ: Nicht nur Ihre Partei, auch Sie selbst werden als widersprüchlich empfunden: Führungsschwach, diktatorisch, so lauten Vorwürfe aus Ihrer eigenen Partei. Wie sehen Sie sich selbst?
Aiwanger: Ich denke, ich kann gut Menschen zusammenführen und Widersprüche ausbalancieren, einen gemeinsamen Nenner finden. Ich kann auch gut Themen erkennen und auf den Punkt bringen. Ich sehe mich als Moderator, der jedem die Chance lässt, sich einzubringen. Weltanschaulich bin ich ein Konservativer, bei der Flüchtlingspolitik zum Beispiel. Bei sozialen Themen, wenn es etwa um Kinderbetreuung oder Zeitarbeit geht, stehe ich an der Seite der kleinen Leute.

BSZ: Wahrscheinlich wird die CSU nach der Landtagswahl einen Koalitionspartner brauchen. Machen Sie sich Hoffnungen?
Aiwanger: Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir auch mal Regierungsverantwortung übernehmen und Themen direkt umsetzen können, ohne immer Volksbegehren machen zu müssen. Ja, es würde Bayern guttun, wenn wir mitregieren und einige unserer Vorstellungen durchsetzen könnten. Etwa die kostenlose Kinderbetreuung.

BSZ: Vermutlich wird die AfD in den Landtag kommen. Was kann man tun, um das zu verhindern?
Aiwanger: Man muss bei der Zuwanderungspolitik den Mut haben, Fehlentwicklungen anzusprechen. Wichtig ist, die Zuwanderung zu begrenzen und konsequenter abzuschieben. Da muss Bayern stärker auf den Bund einwirken, es müssen beispielsweise Rückführungsabkommen her mit Ländern, die sich bislang weigern, ihre Leute zurückzunehmen. Und bei Übergriffen von Asylbewerbern muss man härter durchgreifen.

BSZ: Haben Sie den Eindruck, dass ausgerechnet das CSU-regierte Bayern hier nachlässig ist?
Aiwanger: Die CSU redet viel, tut aber zu wenig. Seit 2015 fordern wir mehr Asylrichter in Bayern, um die Verfahren zu beschleunigen. Passiert ist bis heute nichts! Die bayerische Schleierfahndung ist personell massiv unterbesetzt, es fehlen 300 Leute – während Söder als Ministerpräsident von einer Grenzpolizei träumt.

"Wir sind  nicht Söders Wahlkampfkasper"

BSZ: Markus Söder will die Amtszeit bayerischer Ministerpräsidenten begrenzen. Das fanden Sie erst gut, dann nicht mehr. Warum? Wollten Sie nicht, dass auch bei Ihnen jemand auf die Idee kommt, dass Sie schon ganz schön lang an der Spitze der FW stehen?
Aiwanger: Wir haben gesehen, wie Söder das Thema Amtszeitbegrenzung als Wahlkampfgag missbraucht, um uns Demut vorzutäuschen. Und dabei wollten wir ihm nicht auch noch helfen. Wir sind schließlich nicht Söders Wahlkampfkasper. Abgesehen davon, dass die Idee auch nicht der große Renner ist. Wenn er nach zehn Jahren aufhören will, soll er das tun, er kann es auch hier und heute ankündigen. Dafür brauchen wir nicht die Verfassung zu ändern. Begrenzung auf zehn Jahre mag ja für Staatspräsidenten in einem Präsidialsystem sinnvoll sein, für Ministerpräsidenten braucht’s das nicht unbedingt. Wie weit soll man das denn führen mit der Amtszeitbegrenzung? Wo ist Schluss? Soll man das auch für Landräte machen, für Bürgermeister, für Gemeinderäte, für Vereinsvorstände? Unser Gemeinwesen fußt doch auch darauf, dass es Leute gibt, die sich jahrzehntelang für eine Sache bereitstellen. Mit sturen zehn Jahren Begrenzung würde man auch viel Potenzial zerstören und Erfahrung in die Wüste schicken. Und was mich persönlich betrifft: Ich bin seit 2006 Landesvorsitzender der Freien Wähler, ich war mit damals 35 Jahren noch sehr jung und bin jetzt in einem Alter, wo andere oft erst einsteigen bei solchen Ämtern.

BSZ: Gibt es überhaupt Nachwuchstalente bei Ihnen? Wer könnte Sie mal beerben?
Aiwanger: Natürlich haben wir überregional bekannte Leute, die mit mir gemeinsam kämpfen. Ohne andere zurückstellen zu wollen, haben wir etwa mit Alexander Hold einen Landtagskandidaten, der auch medial sehr präsent ist. Auch die Abgeordneten Florian Streibl und Michael Piazolo sind neben einigen anderen über ihren Stimmkreis hinaus bekannt. Wir haben auch schon diverse jüngere Leute gefördert, es ist aber oftmals schwer, dass sie neben Beruf, Familiengründung et cetera so lange intensiv an der Politik dranbleiben können, bis sie auch Wahlerfolge haben. Für Parteiposten, beispielsweise Ortsvorsitzende, findet man oftmals leichter einen Vorruheständler, weil es ihm leichter fällt, auch mal kürzer zu treten und für ein politisches Amt zu kandidieren. Die richtige Mischung macht’s!
(Interview Waltraud Taschner)

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