Am besten suche ich mir gleich einen Platz auf dem Friedhof!“ Manchmal ist es die geballte Hoffnungslosigkeit, auf die Richard Borst, Leiter der Schuldnerberatungsstelle der Caritas in München, trifft. Wie die des verwitweten Rentners, Mitte 70 und hochverschuldet. Die Mietkosten von 1100 Euro fressen nahezu die komplette Rente des Münchners auf. 1400 Euro bekommt er im Monat. Eine Wohnung, die er sich damit leisten kann, hat er bislang nicht gefunden.
Borst stellt fest: Von Jahr zu Jahr steigen die Anfragen. Trotz Wirtschaftsboom und sinkender Arbeitslosigkeit. Und das nicht nur im teuren München. In ganz Bayern nehmen die Überschuldungsfälle zu. Im Freistaat haben sich 22 000 Bürger in diesem Jahr überschuldet. So viele wie in keinem anderen Bundesland, wie aus dem Schuldenatlas 2017 der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervorgeht. Auch wenn Bayern nach wie vor mit 7,47 Prozent die geringste Überschuldungsquote hat – bundesweit ist jeder Zehnte überschuldet –, die Überschuldung schreitet im Freistaat am schnellsten voran. Über 800 000 Privatpersonen sind bereits nicht mehr in der Lage, ihre Schulden abzustottern.
„Und es kann jeden treffen“, betont Borst. Noch häufiger als eine unwirtschaftliche Haushaltsführung oder eine gescheiterte Selbstständigkeit führen Trennung, Scheidung oder Tod des Partners in die Schuldenfalle. Auch Krankheit, Sucht oder Unfall gehören zu den Hauptursachen. An erster Stelle steht zwar immer noch der Jobverlust, angesichts der guten Beschäftigungslage nimmt die Bedeutung aber ab. Dass die Verschuldungsquote dennoch steigt, hat laut Regina Hinterleuthner, Sprecherin der Schuldnerberatungsstellen der Caritas in Bayern, einen einfachen Grund. „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse nehmen zu“, sagt sie. Oft reicht dann schon eine hohe Zahnarztrechnung, dass Geringverdiener mit laufenden Zahlungsverpflichtungen, zum Beispiel aus alten Kreditverträgen, in die Schuldenspirale einsteigen.
In Hof und Nürnberg ist die Situation am gravierendsten
Ein Problem: „Die meisten Klienten kommen erst, wenn es richtig brennt“, erklärt Borst. Und oftmals haben sie bereits den Druck von zehn Gläubigern oder mehr im Nacken. Dann blieben nur noch zwei Optionen: Entweder gelingt eine außergerichtliche Einigung. Gläubiger geben sich mit der Rückzahlung eines Teilbetrages auf Raten zufrieden. Das sei aber der seltenere Fall. „Oder am Ende steht die Privatinsolvenz, in vier von fünf Fällen ist das so“, sagt Borst. Das bestätigt Michael Weinhold, Leiter der Schuldner- und Insolvenzberatung in Nürnberg, der Stadt mit der zweithöchsten Verschuldungsquote (11,93 Prozent) in Bayern nach Hof (14,18). „Dass jemand aus eigener Kraft die Zahlungsfähigkeit wiederherstellen kann, etwa durch Einsparungen, ist der Ausnahmefall“, betont auch er.
Die Schuldnerberatung entwickelt sich also in den meisten Fällen zu einer Insolvenzberatung. Und das stellt die Beratungsstellen vor ein Riesenproblem. Denn in Bayern finanzieren die Kommunen die Schuldnerberatung. Für die Insolvenzberatung dagegen ist anders als in fast allen anderen Bundesländern der Freistaat zuständig. „Unsere Berater müssen sich deshalb ständig an der Fragestellung zerreiben: Was rechne ich noch als Schuldner- und was an Insolvenzberatung ab?“, klagt Hinterleuthner von der Caritas. Fatal bei der ohnehin angespannten Personalsituation. Auf eine Beratung müssen Hilfesuchende mitunter bis zu drei Monate warten.
Dass Handlungsbedarf besteht, hat auch die Politik längst erkannt. Bereits 2011 hat der Landtag gefordert, die Finanzierung der Schuldner- und Insolvenzberatung in eine Hand zu legen. Künftig sollen die Kommunen für beides zuständig sein – im Sozialministerium wurde bereits ein Gesetzentwurf erarbeitet. Das Problem: Die Staatsregierung verhandelt noch mit den kommunalen Spitzenverbänden darüber, wie hoch der erforderliche Finanzbedarf für die Zusammenlegung ist. Denn für die Delegation der Förderung der Insolvenzberatung an die kreisfreien Städte und Landkreise gilt das Konnexitätsprinzip. Der Freistaat muss die Kosten tragen. Acht Millionen Euro fordern Kommunen, Wohlfahrtsverbände und Landtags-Opposition, bislang werden die 109 Insolvenzberatungsstellen in Bayern mit 4,2 Millionen Euro gefördert.
Reform der Schuldner- und Insolvenzberatung zieht sich seit Jahren hin
Die CSU-Fraktion hat im vergangenen Jahr eine Erhöhung der Mittel auf 6,2 Millionen Euro beschlossen – für 2018 und versehen mit einem Sperrvermerk. „Der konkrete Bedarf wird sich erst in den Verhandlungen zwischen Staatsregierung und kommunalen Spitzenverbänden zeigen“, erklärt Joachim Unterländer (CSU), Vorsitzender des Sozialausschusses. Dabei haben die Kommunen längst klargestellt: Ohne die acht Millionen Euro werden sie die Insolvenzberatung nicht übernehmen. Die wird nämlich durch Fallpauschalen vergütet, die seit 18 Jahren unverändert sind. Gleichzeitig aber sind die Personalkosten um mindestens 30 Prozent gestiegen. „Die Träger zahlen drauf“, sagt Hinterleuthner. „Mit jedem Fall, den wir übernehmen, steigt das Defizit.“
Die Überschuldungs-Fälle aber werden auch künftig mehr, davon sind die Macher des Schuldenatlas überzeugt. Was auffällt: Überdurchschnittlich stark sind in jüngster Zeit Senioren betroffen. Das bestätigt der Münchner Berater Borst: „Seit zwei, drei Jahren überweisen uns Alten- und Servicezentren vermehrt Klienten.“
Und der Rentner mit den Mietschulden? Er hat wieder Hoffnung. Auch ihm bleibt die Privatinsolvenz zwar nicht erspart. Aber Borst wird ihm da durchhelfen. Und nicht nur das. Auch bei der Suche nach einer günstigen Wohnung erhält er Unterstützung. „Da er gesund und munter ist, wäre auch ein Nebenverdienst eine Option“, sagt Borst. „Damit er auch schuldenfrei bleibt.“ (Angelika Kahl)
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