Politik

20.07.2018

Es reicht

38 der insgesamt 180 Abgeordneten werden am 14. Oktober nicht mehr für den Landtag kandidieren – was machen sie in Zukunft? Wir haben mit vier von ihnen gesprochen

Ex-CSU-Chef Erwin Huber, der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag, Franz Schindler (SPD), der Vorsitzende des Umweltausschusses, Christian Magerl (Grüne) und der FW-Gesundheitspolitiker Karl Vetter – sie sind die jeweils dienstältesten Vertreter ihrer Fraktionen, die dem Landtag bald Servus sagen. Bei der Wahl im Herbst werden sie nicht mehr kandidieren. Wie fühlt sich der Abschied aus der Politik an, was kommt danach?

Morgens nach dem Aufwachen als erstes die Nachrichtenlage checken, gucken, wer angerufen hat, zurückrufen, Termine vereinbaren. Anschließend ganztägig Landtagssitzungen, abends noch eine Parteiveranstaltung. Und am Wochenende unterwegs im Stimmkreis. Stress! Stress? Erwin Huber, seit 40 Jahren im Landtag, lächelt: „Die wahre Selbstverwirklichung“, erklärt der 71-Jährige, „ist die Erfüllung in der Arbeit.“ Er sagt das völlig ironiefrei. Work-Life-Balance – das war für Huber zeitlebens eine Kategorie für Weicheier, für die Unambitionierten, die keine großen Ziele haben. Also: für Leute, die das Gegenteil sind von ihm.

Huber hatte immer Ziele. Er hat hart dafür gearbeitet. Und so ziemlich alles erreicht, was man in der bayerischen Politik erreichen kann. Seine Geschichte vom armen, vaterlosen Bauernbub, der am Abendgymnasium das Abitur nachholte, Volkswirtschaft studierte und in der CSU früh Spitzenämter errang, ist tausendfach beschrieben worden.

„Urlaub ist kein Spaß“

Erwin Huber war CSU-Generalsekretär unter Franz Josef Strauß, Finanzminister, Wirtschaftsminister, Staatskanzleichef und Parteivorsitzender. Sein Höhenflug endete im Jahr 2008. Er trat als Parteichef nach einem für die CSU enttäuschenden Wahlergebnis zurück, fungierte fortan als Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses im Landtag – karrieretechnisch ein Abstieg, doch Huber hängte sich voll rein in den Job. In den Ferien arbeitete er durch, schockte seine Familie mit dem Spruch: „Urlaub ist kein Spaß.“

Und jetzt? Wie soll das funktionieren? Ohne Politik. Ohne Termindruck. Ohne Journalistenanrufe. Huber wäre nicht Huber, wenn er nicht einen Plan hätte für seinen Polit-Ruhestand. Tatsächlich hat er jahrelang darauf hingearbeitet, nicht in ein Sinn-Loch zu fallen. „So eine gewaltige Umstellung des Lebens“, bekennt Huber, „kann man nicht einfach auf sich zukommen lassen.“ Er hat – nach „harter Gedankenarbeit“ – eine Agenda: Huber wird an der Jesuitenhochschule in München Philosophie studieren. Nicht nur so zum Spaß natürlich. Sondern mit Abschluss. Philosophie sei das passende Studium für den Übergang in einen neuen Lebensabschnitt, räsoniert Huber. Und zitiert Michel de Montaigne: „Philosophieren heißt sterben lernen.“

Drei Jahre wird das Studium dauern. Ja, es wird schwer. Mehr als fünf Seiten Kant zu lesen, stöhnt Huber, das sei ja schon eine große Leistung. Sein Sohn Philipp (34) hat ihm bereits prophezeit, „du schaffst das nicht“. Was den Vater vermutlich erst so richtig angespornt hat. E-Piano spielen will er auch lernen, das Instrument ist bereits angeschafft. Und viel mit dem Rad fahren – „ich will ja körperlich fit bleiben“.

Zu Hubers hervorstechendsten Fähigkeiten zählte stets: die Analyse politischer Entwicklungen. Sein früherer Kabinettskollege Kurt Faltlhauser, selbst ein Mann mit ausgeprägtem Ego, hatte Huber deshalb stets als „unseren Besten“ gerühmt. Im Rückblick auf sein Politikerdasein hat Huber nun auch eigene Fehler analysiert. Und zwei Entscheidungen ausgemacht, die er bedauert: Nach der Bundestagswahl 2005 hatte er das Angebot von Kanzlerin Merkel ausgeschlagen, Kanzleramtschef zu werden. Auch deshalb, weil er dachte, nicht über ausreichend bundespolitische Erfahrung zu verfügen. „Solch eine Schaltstelle in der Politik sollte man nicht ablehnen“, gibt er heute zu. Der Job im Kanzleramt wäre eine „große Chance gewesen, die man nur einmal im Leben hat“.

Was Erwin Huber bedauert: Dass er nicht Merkels Kanzleramtschef wurde

In der Tat hätte sich Huber viel erspart, wenn er den Sprung nach Berlin gewagt hätte. Falsch findet er heute auch die Entscheidung des Jahres 2007, als Parteivorsitzender ins Kabinett Beckstein einzutreten. Besser wäre es gewesen, Fraktionschef zu werden, räumt Huber ein. „Das wäre eine stärker konturierte Position gewesen.“

Vorbei, vorbei. Huber wirkt mit sich im Reinen. Auch wenn er zugibt, dass es harte Arbeit war, all das zu verarbeiten. „Das Politikerleben geht im Positiven wie im Negativen an Extreme“, bilanziert er. Eine Vollbremsung wird es für ihn ohnehin nicht geben. Zumindest das Morgenritual wird gleich bleiben: nach dem Aufwachen sogleich die Nachrichten checken, Zeitungen lesen, die Lage analysieren. Und, wer weiß, mit Journalisten telefonieren, die stets mit großem Interesse Hubers Einlassungen zum aktuellen Geschehen lauschen.

Auf immerhin 28 Landtagsjahre bringt es der Sozialdemokrat Franz Schindler (62). Obgleich es für Abgeordnete keine Altersgrenze gibt, meint er: Jetzt reicht’s. Nicht, dass Schindler frustriert wäre. „Aber jetzt sollen mal Jüngere ran“, erklärt der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Landtag. Und er fällt ja auch in kein Loch. Schindler hat während seiner Zeit im Landtag stets auch als Rechtsanwalt in seiner Regensburger Kanzlei gearbeitet. „Und das mache ich auch in Zukunft so.“

Endlich Thomas Mann lesen

Was dann aber weniger werden wird: die Anlässe, sich zu ärgern. „Ich reg mich schon leicht auf“, gibt Schindler zu. Über die CSU zum Beispiel und deren Usancen im Umgang mit der Opposition. Die zeichnen sich häufig dadurch aus, dass Forderungen des politischen Gegners erst schroff abgelehnt werden. Um sie nach einer Schamfrist kühn als eigene Anliegen auf die Agenda zu setzen.

Zuletzt geschehen beim Thema Bayerisches Oberstes Landesgericht. Die CSU hatte das Gericht – das es nur in Bayern gibt – nach der Landtagswahl 2003 in einem Anfall von Sparwahn abgeschafft. Unter dem neuen Regierungschef Markus Söder hat die CSU das Gericht jetzt wieder eingesetzt. Davon, dass die SPD die Entscheidung des Jahres 2003 immer schon für falsch gehalten hat, mochte die CSU nun freilich nichts mehr wissen. Man solle nun doch, argumentierten die Schwarzen frech, „einfach nach vorn schauen“.

Dennoch: „Das Politikerdasein hat sich gelohnt“, findet Schindler. „Das Spektrum hier ist schon größer als das, was man als Anwalt hat.“ Der auch von der CSU geachtete Jurist schätzte es durchaus, „in der Nähe von wichtigen Entscheidungen zu sein“. Als Vorsitzender des Rechtsausschusses hatte er einen guten Überblick über die Arbeit des Parlaments: Sämtliche Landesgesetze müssen dem Gremium zur Endberatung vorgelegt werden.

Zeit in New York verbringen

Als Politpensionär will Schindler neben seiner Tätigkeit als Anwalt auch mal so unerhörte Dinge tun wie: gar nichts. Also zum Beispiel „im Garten liegen“. Daneben: Lesen. Schindler hat eine Schwäche für Historisches, für Biographien interessanter Menschen – und für Thomas Mann.

Zehn Jahre hat der Orthopäde Karl Vetter im Landtag verbracht – genauso lang, wie seine Fraktion, die Freien Wähler, im Maximilianeum sitzen. Genau so lang war sein Fraktionskollege Peter Meyer dabei. Auch er, amtierender Landtagsvizepräsident, wird im Herbst aufhören. Vetter (65) nennt sein Alter als Grund dafür, nicht mehr zu kandidieren. Doch ebenso wenig wie SPD-Mann Schindler will er sich komplett zur Ruhe setzen. Vetter wird in seine Chamer Praxis zurückkehren, zumindest ein bisschen. Mal sehen. Außerdem will er öfter Zeit in New York verbringen, wo seine Tochter mit ihrer Familie lebt.

Als er vor zehn Jahren in den Landtag kam, war das „wie ein Studium Generale“, erinnert sich Vetter. Er war damals 55, „und alles war neu für mich“. Als Arzt saß er von Anfang an im Gesundheitsausschuss. „Auch in der Politik schadet es nicht, wenn man von der Sache etwas versteht“, juxt Vetter.

Tatsächlich zählte der FW-Mann im Gesundheitsausschuss zu den profilierteren Abgeordneten, argumentierte stets sachlich und war wüstem Parteiengezänk abhold. Man müsse im Leben immer daran denken, zitiert Vetter den Philosophen Hans-Georg Gadamer, „auch der andere könnte Recht haben“. Genau das ist es, was ihn inzwischen an der Politik nervt: dass es viel zu selten um Argumente geht, um gegenseitige Achtung.

Für Aufsehen sorgte vor einigen Jahren sein Appell, Politiker sollten in der Öffentlichkeit und auch im Bierzelt auf Alkohol verzichten – um so jungen Leuten ein Vorbild zu sein. Die CSU tobte. Dabei ist es eine Ironie des Schicksals, dass Vetter ohne Alkohol nie in den Landtag gekommen wäre: Die FW hatten ihn vor der Landtagswahl 2008 immer wieder bekniet, als Kandidat zur Verfügung zu stehen. Vetter wollte nicht. Erst während eines Urlaubs mit seiner Frau auf Formentera – und nach einigen Gläsern Wein – war er überzeugt und sagte zu. Bereut hat er es nicht: „Es war eine hochinteressante Zeit.“

Zurück zu den Wurzeln

Auf insgesamt 27 Abgeordnetenjahre bringt es der Grüne Christian Magerl (62). Er saß ab 1986 drei Legislaturperioden lang im Landtag, hörte 1998 freiwillig auf und kehrte 2003 zurück. Zuletzt fungierte der Biologe aus Freising als Vorsitzender des Umweltausschusses. Seine Landtags-Bilanz fällt durchaus positiv aus: „Wir Grüne haben einiges anstoßen können.“ Er nennt das Thema Luftreinhaltung oder den Artenschutz. Beides waren anfangs Reizthemen für die CSU, beides sind jetzt Topthemen der Landespolitik.Auch für Magerl gilt: zurück zu den Wurzeln. Nach seinem Ausscheiden aus dem Landtag kehrt er zum Bund Naturschutz zurück, der bereits in den 80er Jahren sein Arbeitgeber war. Magerl hat außerdem einen Lehrauftrag für Umweltschutz an der Hochschule Weihenstephan. „Es macht Spaß, mit den jungen Leuten zu diskutieren“, sagt der Grüne.

Im Landtag zählt Magerl zum äußerst überschaubaren Kreis derjenigen Abgeordneten, die kein Mobiltelefon besitzen. „Weil ich nicht rund um die Uhr erreichbar sein will.“ Wichtig sein, immer sofort einen Spruch für die Presse rausblasen – das stand für Magerl nie im Vordergrund. Dem promovierten Zoologen ging es immer um die Sache. Im Landtag trug er unaufgeregt, aber kompetent seine Argumente vor. Entsprechend nüchtern fällt seine Abschiedsbegründung aus: „Wir alle haben nur ein Mandat auf Zeit“, sagt er. „Und jetzt soll jemand Jüngeres ran.“

Magerl freut sich auf die Sacharbeit beim Bund Naturschutz und darauf, in Ruhe die Karpfen der Moosach vom heimischen Balkon aus beobachten zu können. Und ist erleichtert, keinem Landtag angehören zu müssen, in dem aller Voraussicht nach die AfD sitzt – was ihn mit den anderen Politpensionären in spe eint.

Auch CSU-Mann Huber ist froh, die „Parolen, Sprüche und den Fanatismus“ der AfD im Landtag nicht erleben zu müssen: „Dieses Martyrium“, seufzt Huber, „bleibt mir erspart.“
(Waltraud Taschner)

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