Politik

Diese fünf Babys sind erst wenige Stunden alt – ist die Geburt geschafft, warten auf die frischgebackenen Eltern die nächsten Herausforderungen. (Foto: dpa)

31.03.2017

Es wird eng in Bayerns Kreißsälen

Babyboom im Freistaat: Die Suche nach Hebamme, Geburtsklinik, Kinderarzt und Krippenplatz wird immer schwieriger

In den vergangenen Jahren kamen in Bayern so viele Babys auf die Welt wie lange nicht. 2016 war gar das geburtenstärkste Jahr der vergangenen 15 Jahre. Das Paradoxe: Gleichzeitig gibt es immer weniger Hebammen und Geburtsklinken in Bayern. Und auch Kinderarztpraxen und Krippenplätze sind längst Mangelware. Verbände fordern von Politik und Staatsregierung ein Umdenken. Vor einem halben Jahr ist Yvonne Brunner das erste Mal Mutter geworden. Die kleine Antonia, ein absolutes Wunschkind, sollte eigentlich in zwei, drei Jahren noch ein Geschwisterchen bekommen. „Aber ehrlich“, sagt Brunner, „ich weiß nicht, ob wir uns das noch einmal antun.“

Brunner geht es weder um Übelkeit noch Schwangerschaftsstreifen. Was die 35-jährige Münchnerin meint, ist die fast aussichtslose Suche nach Hebamme, Kinderarzt und Kita-Platz. „Nie hätte ich gedacht, dass es so schwierig ist, für mein Kind in einer reichen Stadt wie München eine gute Betreuung zu finden“, sagt sie.

Los ging es mit der Suche nach einer Hebamme. „Ich war gerade in der 14. Woche, da hat meine Frauenärztin mir geraten, mich schon jetzt um eine Hebamme zu kümmern“, sagt Brunner. „Ich habe noch gelacht und gesagt: Aber ich bin doch gerade erst schwanger geworden.“ Doch das Lachen ist der Chemikerin schnell vergangen: Von 15 Hebammen bekam sie eine Absage. Sie seien für den errechneten Geburtstermin bereits ausgebucht. Erst Hebamme Nummer 16 sagte zu. Brunner: „Zum Glück war sie mir wirklich sympathisch. Ich weiß nicht, was ich sonst gemacht hätte.“

Schon lange ist der Hebammen-Mangel ein Thema im Freistaat – und er hat sich in den vergangenen Jahren weiter verschärft. Grund ist ein an sich erfreulicher Trend: Seit 2012 steigt in Bayern die Geburtenrate wieder an. Das Jahr 2015 war mit 118 300 Kindern sogar das geburtenstärkste der vergangenen 15 Jahre.

Auch für das vergangene Jahr meldeten einige Städte erneut ein Plus. In München etwa kamen 2016 allein 18 107 Kinder auf die Welt, das sind 964 Geburten mehr als 2015. Nürnberg zählte 5539 Geburten (plus 397), Würzburg kam auf 4201 Neugeborene (plus 160). Mehr Kinder, das bedeutet aber auch noch mehr Belastung für ein Versorgungs- und Betreuungssystem, das in Teilen bereits überlastet ist.

Bei etwa 80 Prozent der Geburten in Bayern stehen den Frauen freiberufliche Hebammen zur Seite. Doch gerade sie ziehen sich vermehrt aus der Geburtshilfe zurück. Bei einem Verdienst von monatlich zwischen 2000 und 3000 Euro können sie sich die für die Geburtshilfe notwendige Berufshaftpflicht von 6843 Euro im Jahr schlichtweg nicht leisten. „Wenn die freiberuflichen Hebammen die Geburtshilfe einstellen, dann ist gerade in Bayern die Geburtshilfe tot. Für Bayern ist das ein echt brandheißes Eisen“, sagt Katharina Jeschke vom Deutschen Hebammenverband.

Der Hebammenmangel ist auch deshalb so brisant, weil er direkte Auswirkungen darauf haben kann, ob eine Schwangere überhaupt noch ein Krankenhaus in ihrer Nähe findet, in der sie ihr Baby auf die Welt bringen kann. Im Freitstaat wurden laut Bayerischem Hebammenverband in den vergangenen zehn Jahren mehr als 30 Geburtsstationen geschlossen, teils aus finanziellen Gründen, aber auch aufgrund Personalmangels wie zuletzt die Geburtsstation in Schrobenhausen. Ende März wird der Kreißsaal in Bad Tölz dicht gemacht. Die offizielle Begründung hier: Es fehlten Belegärzte.

Für die Geburt von München nach Rosenheim

Es ist eine paradoxe Situation. Es kommen mehr Kinder auf die Welt, gleichzeitig gibt es im Freistaat immer weniger Geburtskliniken. Vor allem auf dem Land. Das bedeutet für die baldigen Müttern oft lange Anfahrtswege. Und: „Die Kliniken mit hohen Geburtenzahlen sind nicht in der Lage, weitere Schließungen zu kompensieren“, warnt der Bayerische Hebammenverband. Deren Belastungsgrenzen seien schon überschritten.

Yvonne Brunner war froh, dass sie ihre Tochter in ihrer Münchner Wunschklinik zur Welt bringen konnte. „Ich kenne eine Mutter“, sagt sie, „die wurde für die Geburt nach Rosenheim geschickt, weil es in ihrer Klinik keinen Platz gab.“ 2014 wurden 800 werdende Mütter von Krankenhäusern in München abgewiesen und in eine andere Klinik geschickt, darunter waren auch Schwangere, bei denen eine Frühgeburt drohte. Denn auch in der Frühchenbetreuung fehlt es an geschultem Personal. „Wir brauchen Wohnungen für unsere Hebammen und Kinderkrankenschwestern“, fordern die Kliniken. Und zwar Wohnungen, die sich die Mitarbeiter im teuren München leisten könnten. Ansonsten drohe eine dauerhafte Unterversorgung.

Das Städtische Klinikum München will seine Kapazitäten von derzeit 6000 Geburten im Jahr auf 7500 ausbauen. Das Problem mit dem fehlenden Fachpersonal ist damit jedoch nicht gelöst. Der Landtag hat gerade erst einen Antrag der Grünen abgelehnt, ein Förderprogramm für Hebammen aufzulegen. CSU und SPD wollten erst eine Studie zum Hebammenbedarf in Bayern abwarten. Der Schlussbericht wird für Ende März 2018 erwartet.

Als Yvonne Brunner ihre Hebamme gefunden hatte, dachte sie, das Schwierigste sei erst einmal geschafft. Doch kaum aus der Klinik entlassen, musste sie feststellen: ein Irrtum. Denn bis heute hat sie keinen Kinderarzt in der Nähe gefunden. „Bei den Ärzten, die ich gut erreichen könnte, waren die Praxen voll, wir wurden mehrfach abgewiesen“, sagt sie. Froh war sie deshalb, als sie in einer Praxis angenommen wurde, auch wenn diese eine halbe Autostunde entfernt liegt und die Wartezeit durchschnittlich zwei Stunden beträgt.

„In der Kinder- und Jugendmedizin haben wir zunehmend Versorgungsprobleme“, konstatiert Martin Lang, Vorsitzender des bayerischen Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Städte im Freistaat sind von übervollen Praxen und fehlenden Kinderärzten genauso betroffen wie ländliche Regionen. Auf dem Papier scheint zwar alles in bester Ordnung. Laut Versorgungsplan gibt es in Bayern mehr als genug Kinder- und Jugendärzte. Doch unter den zugelassenen Ärzten befinden sich auch Spezialisten, etwa Kinder-Orthopäden. Diese kümmern sich zwar um Plattfüße, nicht jedoch um normale Kinderkrankheiten und Regeluntersuchungen.

Dazu kommt: Steigt der Versorgungsgrad in einem Stadt- oder Landkreis über 110 Prozent, ist dieser für neue Kassensitze gesperrt. Neue Kinderärzte können sich dort nur niederlassen, wenn ein Kollege in den Ruhestand geht. Dieser Regelung liegt ein Bedarfsplan zugrunde, der in den 1990er-Jahren beschlossen wurde. Verbände wie der BVKJ fordern hier seit Längerem eine Neuberechnung. Denn der Babyboom der vergangenen Jahre ist im Plan ebenso wenig berücksichtigt wie die Tatsache, dass sich die Ärzte auch vermehrt um neue Aufgaben wie etwa die Behandlung von Verhaltensstörungen kümmern müssen. Auch Bayerns Gesundheitsministerium sieht durchaus Handlungsbedarf, will aber erst ein Gutachten abwarten. Mit ersten Ergebnissen, so ein Ministeriumssprecher, sei Anfang 2018 zu rechnen.

Währenddessen sucht Yvonne Brunner weiter, nicht nur nach einem besser erreichbaren Kinderarzt, sondern auch nach einem Krippenplatz ab September. Die Chemikerin würde gerne in ihren Job zurückkehren. Acht Einrichtungen hat sie sich seit Anfang des Jahres angesehen, für fünf hat sie sich beworben. „Ich hoffe, das reicht, um einen Platz zu ergattern“, sagt sie. Sicher ist sie sich nicht.

München könnte sofort 500 neue Erzieher einstellen

Anfang April endet in München die Anmeldefrist, ab dann läuft die Vergabe. In den vergangenen Jahren hat Bayern massiv in den Ausbau von Krippen- und Kindergartenplätzen investiert, denn seit 2013 besteht ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz. Rein zahlenmäßig war der Ausbau erfolgreich: Zum Stichtag im März 2016 wurden in den rund 9200 Einrichtungen im Freistaat 533 000 Kinder betreut. Zur Verfügung standen dabei mehr als 596 000 Plätze.

Doch auch in diesem Bereich fehlt Fachpersonal. In München mussten im vergangenen Jahr 17 Einrichtungen ihre Öffnungszeiten reduzieren – wegen Personalmangels. Laut Bürgermeisterin Christine Strobl (SPD) könnte die Stadt sofort 500 Erzieher einstellen. Wenn man sie denn finden würde. 8800 Erzieher müssten zusätzlich in Bayern eingestellt werden, forderte die Bertelsmann-Stiftung in ihrem Bildungsmonitor 2016. Denn Bayern, so die Studie, sei noch weit von einem kindgerechten Betreuungsschlüssel entfernt.

Mit Angeboten einer verkürzten Lehrzeit will der Freistaat den Beruf des Erziehers jetzt attraktiver machen. Entsprechende Modellversuche sind bereits angelaufen. Wie wirksam sie sind, bleibt aber abzuwarten.

Zudem bleibt die Tatsache, dass gerade in den Ballungszentren die Plätze in den städtischen Einrichtungen knapp bemessen sind. Trotz des Ausbaus. Eltern müssen für ihren städtischen Platz oft umständliche Anfahrten in Kauf nehmen. Die Alternative einer näheren, jedoch privaten Einrichtung, die in München auch mal mehr als 1000 Euro im Monat kosten kann, ist für viele nicht drin. Auch für Yvonne Brunner nicht.

Was sie macht, wenn es mit einer ihrer Wunsch-Kitas nicht klappt? „Keine Ahnung“, sagt sie. „Zuhause bleiben, der Stadt auf die Nerven gehen, demonstrieren. Ich habe noch keinen Plan B.“
(Beatrice Oßberger)

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