Politik

Markus Ferber (57) sitzt seit 1994 im EU-Parlament. (Foto: BSZ)

03.03.2022

"EU-Beitrittsverhandlungen dauern viele Jahre"

Markus Ferber, CSU-Europaabgeordneter und Vorsitzender der Hanns-Seidel-Stiftung, über den Ukraine-Konflikt, einen möglichen EU-Beitritt, und Defizite der CSU-Außenpolitik

BSZ: Herr Ferber, wer ist noch gleich der Außenpolitik-Experte der CSU?
Markus Ferber: Die CSU hat viele profilierte Politiker, die sich auch mit außenpolitischen Fragestellungen beschäftigen: den Parteivorsitzenden, den Generalsekretär, den Landesgruppenvorsitzenden, den EVP-Fraktionsvorsitzenden im EU-Parlament sowie viele Abgeordnete im Landtag, Bundestag und EU-Parlament.

BSZ: So richtig zuständig ist also niemand.
Ferber: Diese Schlussfolgerung teile ich nicht. Außenpolitik bedeutet ja nicht, dass man die Schlagzeilen bestimmt. Außenpolitik setzt Kenntnisse in Geografie und Geschichte sowie ein Netzwerk im Ausland voraus – und da verfügt die CSU über eine Vielzahl von Persönlichkeiten, die das mit sich bringen.

BSZ: Vor Kurzem hat sich der CSU-Mann Peter Gauweiler zum Ukraine-Konflikt zu Wort gemeldet und gesagt, die USA sollten sich heraushalten und die Sanktionsstrategie solle überdacht werden, weil sie offensichtlich nicht funktioniert.
Ferber: Peter Gauweiler hat in der Partei überhaupt keine Funktionen und ist mir noch nie als gewiefter Außenpolitiker aufgefallen. Seine Thesen sind abenteuerlich. Er klingt fast so wie Gerhard Schröder. Was soll man denn sonst tun außer Russland zu sagen, der Ukraine-Einmarsch wird massive wirtschaftliche Konsequenzen haben. Die Alternative wäre eine militärische Offensive in der Ukraine, und das halte ich nicht für zielführend.

BSZ: Aber ist es tatsächlich realistisch zu glauben, ein offensichtlich blindwütiger Putin lässt sich von Wirtschaftssanktionen ausbremsen?
Ferber: Es geht darum, eine Entsolidarisierung des Umfelds von Putin zu organisieren. Das geschieht, indem man diesem Umfeld die ökonomischen Vorteile entzieht. Darauf sind die Sanktionen gerichtet. Meine Kontakte in Russland sagen mir, dass Putin ganz alleine die Entscheidungen getroffen hat und um sich herum nur noch Claqueure akzeptiert. Deshalb muss es unsere Aufgabe sein, diesen Claqueuren den finanziellen Boden zu entziehen, sodass sie Putin eben keinen Beifall mehr spenden.

„Es existiert kein Sonderverfahren zur Aufnahme von EU-Mitgliedstaaten“

BSZ: Zu den konkreten Sanktionen: Der Swift-Ausschluss betrifft keineswegs alle russischen Banken, sodass weiter Geld fließen kann.
Ferber: Wir müssen zwei Problemfelder beachten: Einmal, dass beide Seiten ihre Zahlungsverpflichtungen weiter aufrechterhalten können, dort wo es notwendig und geboten ist. Zum anderen soll sichergestellt werden, dass Russland seine Devisen- und Goldreserven im Westen nicht umtauschen und zu Geld machen kann, um damit auf den Märkten Rüstungsgüter zu kaufen.

BSZ: Muss Russland überhaupt noch Rüstungsgüter einkaufen? Putin hat offenbar vorgesorgt.
Ferber: Er muss ja nicht losgehen und Panzer kaufen. Es geht um Mikroelektronik, um Chips und dergleichen – Dinge, über die Russland nicht selbst verfügt. Ebenso wenig übrigens wie China. Ein ordentliches elektronisches Lenkungssystem bekommt Russland ohne unsere Technologien nicht hin.

BSZ: Bedeutet der Swift-Ausschluss Russlands, dass Deutschland kein Geld mehr an Russland zahlen kann, für Gaslieferungen insbesondere? Was passiert dann?
Ferber: Die Zahlung der Gaslieferungen ist weiterhin möglich, das ist geregelt. Aber Russland kann uns dennoch den Gashahn zudrehen. Deutschland sollte sich unabhängig von Swift unabhängig von russischen Gaslieferungen machen.

BSZ: Woher kommt Ersatz?
Ferber: Wir haben Zugang zu britischem, norwegischem und niederländischem Gas, auch zum türkischen Gasnetz und nach Aserbaidschan, und wir haben Pipelines nach Nordafrika. Wir können also auf andere Lieferanten umstellen. Wichtig ist jetzt, dass es uns gelingt, über den Sommer die Gasspeicher zu füllen, damit wir im Winter nicht erpressbar sind.

"In der Vergangenheit haben wir gute Erfahrungen mit Russland gemacht, Nord Stream 2 war da kein Fehler"

BSZ: Wenn genügend anderes Gas da ist, warum wurde Nordstream überhaupt gebaut?
Ferber: Deutschland hat in der Vergangenheit gute Erfahrungen mit Russland als Gaslieferant gemacht. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine hat niemand gerechnet. Jetzt müssen wir reagieren.

BSZ: Der Kanzler hat den Bau von zwei Flüssiggasterminals angekündigt. Was bringt das?
Ferber: Hier geht es um verflüssigtes Gas, etwa aus den USA oder aus Südamerika, das nicht in den bestehenden Pipelinestrukturen geliefert wird. Bisher waren wir zurückhaltend bei Flüssiggas, weil es häufig über Fracking gewonnen wird – wir wollten diese umstrittene Methode nicht unterstützen.

BSZ: Das heißt, ökologische Kriterien werden hintangestellt.
Ferber: Wir müssen jetzt darüber nachdenken, wie wir unsere Energieversorgung insgesamt auf neue Beine stellen. Da werden ideologische Fragen neu zu bewerten sein.

BSZ: Auch mit Blick auf die Kernkraft? Erlebt die jetzt ein Revival?
Ferber: Ein Revival der Kernenergie in Deutschland kann es nur geben, wenn die Ampel-Koalition in Berlin eine neue Rechtslage herstellt. Ich habe Zweifel, dass der grüne Bundesenergieminister dazu willens ist. Man kann allerdings Kernkraftwerke nicht ohne Weiteres hoch- und runterfahren. Wir haben über die vergangenen Jahrzehnte auch viel Know-how in dem Bereich verloren und die Energieunternehmen haben über Jahre auf die bekannten Stichtage hingearbeitet. Das lässt sich nicht von heute auf morgen revidieren. In anderen europäischen Ländern sieht die Situation anders aus. Da ist Kernenergie ein akzeptierter Teil des Energiemixes und wird durch die jetzige Situation sicher noch an Auftrieb gewinnen.

BSZ: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat angekündigt, die Ukraine in die EU aufnehmen zu wollen. An welche Kriterien ist ein solcher Beitritt geknüpft und wie schnell kann das gehen?
Ferber: Die Wahrheit ist: Wer Mitglied der EU werden will, muss eine Vielzahl von Bedingungen erfüllen. Diese Bedingungen werden in jahrelangen Verhandlungen festgezurrt. Insofern ist ein schneller Beitritt sehr unwahrscheinlich. Allein die Ratifikation eines Beitrittsvertrags dauert normalerweise zwei Jahre – davon sind wir aber weit entfernt. Das Ziel einer Vollmitgliedschaft ist in diesem Jahrzehnt nur sehr schwer zu erreichen.

BSZ: Erfüllt die Ukraine denn die Aufnahmevoraussetzungen zumindest einigermaßen?
Ferber: Die EU setzt drei Dinge voraus: Es muss sich bei dem Beitrittsland um einen demokratischen Rechtsstaat handeln; das ist für die Ukraine gegeben. Der betreffende Staat muss das Gemeinschaftsrecht übernehmen. Hier werden wir mit der Ukraine intensiv zu reden haben. Und der Staat muss den Druck des europäischen Binnenmarkts aushalten, was für die Ukraine sicher die größte Herausforderung darstellt. Ich halte es gleichwohl für richtig, die Ukraine näher an die EU heranzuführen mit der Perspektive, auch vollwertiges Mitglied zu werden

BSZ: Die Ukraine stellt sich für die Aufnahme ein Sonderverfahren vor. Gibt es das und wie sieht es aus?
Ferber: Das halte ich weder für realistisch noch für sinnvoll noch ist so ein Schritt vorgesehen. Wir haben aus gutem Grund Prozeduren, die eben eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen. Die Rechtsanpassungen, die für einen EU-Beitritt notwendig sind, lassen sich auch schlichtweg nicht von heute auf morgen durchführen. So groß die Solidarität mit der Ukraine sein mag, wäre es auch keine gute Idee, sich womöglich eine heiße Konfliktzone in die EU zu holen.
(Interview: Waltraud Taschner)

 

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