Politik

Kunst und Kultur leiden in der Corona-Krise besonders unter den Maßnahmen. (Foto: dpa/Lino Mirgeler)

28.01.2022

Exodus auf Raten

Warum die „Lockerungen" in der Kunst und Kultur eine Mogelpackung sind

Endlich. Nach langem Zögern hat sich die bayerische Staatsregierung dazu durchgerungen, die strengen Corona-Regeln für die Kunst und Kultur im Freistaat etwas zu lockern. Ab 27. Januar ist doppelt so viel Publikum erlaubt wie vorher. Die Auslastungsobergrenze steigt von 25 auf 50 Prozent. Gleichzeitig fällt das Komplettverbot für Großveranstaltungen. Bei mehr als 1000 Gästen bleibt es bei der Auslastungsgrenze von 25 Prozent. Wie im Sport gilt zudem eine absolute Obergrenze von 10 000 Zuschauer*innen. Dies hat das Kabinett am Dienstag beschlossen.

Ursprünglich war dieser Schritt bereits eine Woche früher erwartet worden. Einer freut sich besonders, nämlich Kunstminister Bernd Sibler (CSU). Gemeinsam mit Digitalministerin Judith Gerlach (CSU) will er sich „intensiv“ dafür eingesetzt haben. „Die neue Auslastungskapazität ermöglicht mehr Publikum und damit auch mehr Perspektive für unsere Kunst- und Kultureinrichtungen in Bayern, insbesondere für die kleineren Bühnen“, lässt er erklären.

Das sehen Kunst- und Kulturschaffende freilich anders. Selbst aus öffentlich subventionierten Einrichtungen ist eher von einem „ersten Schritt in die richtige Richtung“ zu hören, ganz zu schweigen von privaten und kleineren Veranstalter*innen. Sie sehen für sich kaum Verbesserungen, weil andere Regeln weiterhin gelten. So könnte in kleineren Räumen die neue Auslastungsgrenze wegen der Abstandsregeln wirkungslos bleiben.

Gleichzeitig bleibt in Bayern in der Kultur das wirksam, was für die Gastronomie und Teile des Einzelhandels nicht gilt: die 2G-plus-Regel. Auch wegen dieser eklatanten Ungleichbehandlung hält Andreas Schessl, Chef von „MünchenMusik“, an seiner Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht fest. Zwar wurde der Eilantrag abgelehnt, nicht aber die Sache selber.

Lockerungen: Sind sie nur „durchtriebenes Kalkül“?

Dass „Lockerungen“ ausgerechnet jetzt, inmitten der Omikron-Welle mit hohen Inzidenzwerten, ausgerufen werden, empfinden zudem viele als „durchtriebenes Kalkül“. Für sie steht fest, dass die Staatsregierung darauf hofft, dass die Entwicklung der Pandemie den neuen Kurs wieder „relativiert“.

Abwegig ist das keineswegs. Als am Dienstag die „Lockerungen“ verkündet wurden, ließ der Bayerische Rundfunk (BR) zeitgleich erklären, dass seine Klangkörper – also das Symphonieorchester, der Chor und das Münchner Rundfunkorchester – bis einschließlich 16. Februar pausieren. Damit reagiert der BR auf das „rasant zunehmende Omikron-Infektionsgeschehen“. Beim Münchner Kammerorchester (MKO), das am Donnerstag wieder regulär spielen wollte, musste hingegen das Programm des vierten Abokonzerts kurzfristig geändert werden: wegen eines Corona-Falles.

Die „Lockerungen“ im Freistaat für die Kunst und Kultur wirken auch deswegen wie eine Mogelpackung. Sie kommen spät, zu spät. Während in anderen Teilen Deutschlands die Theater, Konzerthäuser, Opernbühnen, Kinos und privaten Veranstaltungsbüros ein durchaus hoffnungsfrohes Weihnachts- und Neujahrsgeschäft verbuchen konnten, wurde dies den Kunstschaffenden in Bayern von der Staatsregierung gründlich verhagelt.

Für private Veranstaltungsunternehmen geht es ums nackte Überleben. Viele werden es nicht schaffen. Schon jetzt ist klar, dass das einstmals reiche Kunst- und Kulturleben in Bayern in dieser Form Geschichte ist. Das bestätigen auch gravierende Abwanderungstendenzen. So hat bereits eine Vielzahl von freien Kunstschaffenden und Studierenden dem Freistaat den Rücken gekehrt, um sich anderswo in Deutschland – zumal Berlin – oder im EU-Ausland niederzulassen. Selbst Spanien und Italien, vor der Pandemie wenig attraktiv, gelten inzwischen als Alternative. Denn dort finden sie genau das vor, was ihnen in Bayern verwehrt wird: die Möglichkeit, vollumfänglich auftreten zu können.

Für diese kulturpolitische Bankrotterklärung sind viele verantwortlich, nicht nur der Kunstminister Sibler. Von Kunst- und Kulturschaffenden wird er bereits als „assistierender Gesundheitsminister“ oder „Privatsekretär des Ministerpräsidenten“ belächelt. Das Vertrauen in seine Arbeit scheint nicht nur erschüttert, sondern zerstört.

Bei der vom Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) unlängst angekündigten Kabinettsumbildung dürfte der Stuhl Siblers besonders wackeln. Allerdings wäre er ein Bauernopfer. Er scheint nur umzusetzen, was ihm offenkundig aus der Staatskanzlei diktiert wird. Seit Beginn der Pandemie hat der Ministerpräsident mit Wort und Tat deutlich gemacht, was er von Kunst und Kultur hält: gar nichts. Nach knapp vier Jahren Söder ist vom „Kulturstaat Bayern“ kaum noch etwas übrig.
(Marco Frei)

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