Politik

Blick in die Ausstellung: das antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Spiel "Pogromly", entworfen von den NSU-Terroristen. (Foto: Jans Weber)

03.06.2019

Exponate, die unter die Haut gehen

Das NS-Dokuzentrum München zeigt eine mutige Ausstellung über den Umgang mit Minderheiten damals und heute

Die Ausstellung „Die Stadt ohne“ im Münchner Dokumentationszentrum lässt hundert Jahre Hetze gegen Minderheiten sichtbar werden. Sie zeigt, wie Ausgrenzung und Hass funktionieren – gegen Juden, Ausländer, Muslime und Flüchtlinge. Und wohin diese Ausgrenzung am Ende führen kann.

Dass es diese Ausstellung gibt, geht auf einen unglaublichen Zufall zurück: 2015 fand ein Sammler auf einem Pariser Flohmarkt eine Filmrolle und erkannte die Rarität: Es handelte sich um den Stummfilm Die Stadt ohne Juden, der bis dahin nur teilweise erhalten war; mithilfe eines Crowdfunding-Projekts konnte der Film nun komplett restauriert werden. Der nun erstmals vollständig zu sehende Film löste 1924, als er in Österreich ins Kino kam, heftige Proteste aus, wie schon der gleichnamige Roman von Hugo Bettauer, der 1922 erschienen war und in kürzester Zeit eine Auflage von 250 000 Stück hatte. Bettauer spielt in seinem Roman durch, was wäre, wenn die damals bereits sehr lautstarken Antisemiten Erfolg gehabt hätten und die Juden Österreich hätten verlassen müssen. Er malt dieses Szenario so gekonnt und vor allem so satirisch aus, dass er den geballten Hass der Konservativen und der extremen Rechten auf sich zog.

Das Münchner NS-Dokuzentrum nimmt nun den fast hundert Jahre alten Film als Ausgangspunkt, um den Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit Minderheiten – damals und heute – zu beleuchten. Und das ist auf Schritt und Tritt erschreckend. Einzelne kurze Filmsequenzen laufen in Dauerschleife, und drum herum sind sowohl historische als auch aktuelle Beispiele antisemitischer, antimuslimischer oder ausländerfeindlicher Hetze zu sehen, die nicht selten in Mord und Totschlag endeten.

Die von Andreas Brunner, Barbara Staudinger und Hannes Sulzenbacher erstellte Ausstellung geht historisch fundiert, aber auch offensiv an die Sache heran. Da ist etwa ein Brettspiel namens „Juden raus!“ von 1938 zu sehen, das eine Dresdner Firma als lustiges Familienspiel anpries, eine Mischung aus „Mensch, ärger dich nicht!“ und „Fang den Hut!“. Und gleich in der nächsten Vitrine ist das berüchtigte Spiel „Pogromly“ zu sehen, das die Terroristen vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) in den Neunziger Jahren produzierten und verkauften. Doch auch Produktion und Vertrieb dieses „Spiels“, das quasi mit jedem Spielzug eine Aufforderung zum Mord darstellt, führte nicht dazu, dass der NSU dingfest gemacht wurde.

Die Ausstellung nennt die Dinge unumwunden beim Namen

Die Ausstellung nennt die Dinge unumwunden beim Namen. Sie zeigt die Karikatur von Burkhard Mohr, die am 21.2.2014 in der SZ Mark Zuckerberg als Krake mit geradezu klassisch „jüdisch langer Nase“ darstellte. Niemand in der SZ dachte sich was dabei. Zu sehen ist auch Horst Seehofer bei jener Pressekonferenz, bei der er aus seiner Freude über die 69 just an seinem 69. Geburtstag abgeschobenen afghanischen Flüchtlinge kein Hehl machte. Oder eine Videosequenz von einer Pegidakundgebung, bei der die Menge skandiert: „Absaufen! Absaufen!“ Gemeint sind die Bootsflüchtlinge im Mittelmeer.

Die Ausstellung war bereits in Wien zu sehen, wo sie einschlägige Äußerungen von Heinz-Christian Strache als Beispiel vorführte. Der FPÖ-Politiker Strache reagierte so, wie er in solchen Fällen immer reagiert: gar nicht.

Es beginnt mit der Polarisierung, es folgt die Stereotypisierung (die Juden haben Hakennasen, sie sind an allem schuld), entscheidend ist aber natürlich die Empathielosigkeit: Man muss den Leuten einhämmern, „dass ihnen d i e nicht leidtun müssen“, und am Ende steht die Brutalisierung, der Ausschluss, der Mord. Die ausgestellten Objekte sind erdrückend, jedes einzelne ist unerträglich; zum Beispiel die antisemitischen Hass-, Droh- und Schmähbriefe, die der so beliebte Fernsehmoderator Hans Rosenthal erhielt. Die meisten verbrannte er vor seinem Tod, er wollte nicht, dass dieser schwarz auf weiß fixierte Hass den Nachlebenden zu Gesicht kommt. Nur ein kleiner Teil hat sich erhalten – und der allein kann einem den Schlaf rauben.

Die Antisemiten verstanden den Film Die Stadt ohne Juden sofort, als er 1924 in die österreichischen Kinos kam. Mit Stinkbombenattacken und ähnlichem versuchten sie, dem Film den Garaus zu machen. Hugo Bettauer, der österreichische Schriftsteller, der die Romanvorlage geschrieben hatte, überlebte die Filmpremiere nur um wenige Monate. Er wurde im März 1925 an seinem Schreibtisch von einem Nazi erschossen. Der Nazi hieß Otto Rothstock, kam vor Gericht mit einem Streichelurteil davon, floh, als in Österreich die Nazis verboten wurden, nach Bayern und wurde 1977 vom ORF interviewt. In diesem Interview, das in der Ausstellung auszugsweise zu sehen ist, prahlt er nicht nur mit dem Mord an Hugo Bettauer, er fügt noch hinzu, heute würde er sich nicht mit einem einzelnen Mord begnügen, sondern gleich einen Bombenanschlag begehen. Die Reaktionen der Öffentlichkeit auf diese offenherzigen Bekenntnisse und Drohungen eines Mörders: Einzelne Stimmen meinten, das sei aber schon ein bisschen arg. Es passierte: nichts. Otto Rothstock starb als Ehrenmann, vermutlich hochbetagt in Hannover.

Eine ebenso versierte wie mutige Ausstellung, die dazu zwingt, Stellung zu beziehen.
(Florian Sendtner)

„Die Stadt ohne. Juden Ausländer Muslime Flüchtlinge“ im Münchner NS-Dokuzentrum, Dienstag bis Sonntag 10 bis 19 Uhr; bis 10. November 2019

Bild (Fimarchiv Austria): Szene aus dem österreichischen Film "Die Stadt ohne Juden" von 1924

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