Politik

Geschlossen: Viele Restaurants leiden unter Personalmangel. Sie erhoffen sich Besserung durch das Chancen-Aufenthaltsgesetz. (Foto: dpa/Rolf Vennenbernd)

04.08.2023

Fast nur positive Bescheide

Was bringt das neue Chancen-Aufenthaltsrecht?

Amadou Ndiaye (Name geändert) wohnt in Dachau. Der 46-jährige Senegalese würde gerne arbeiten, darf aber nicht: Sein Asylantrag wurde abgelehnt. Seitdem lebt er wie 26.000 andere in Bayern mit einer sogenannten Duldung. Diese erhalten Personen, die das Land eigentlich verlassen müssten, aber aus verschiedenen Gründen nicht abgeschoben werden können. Einer regulären Arbeit durften sie mit diesem Status nicht nachgehen – bis jetzt. Das Chancen-Aufenthaltsrecht der Bundesregierung bezeichnet Ndiaye daher als „Geschenk des Himmels“.

Der neue Paragraf 104c des Aufenthaltsgesetzes ermöglicht es den bundesweit rund 250.000 Geduldeten, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten. Dafür müssen sie seit mindestens fünf Jahren in Deutschland leben, sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, immer ehrliche Angaben zu ihrer Identität gemacht haben und frei von Vorstrafen sein. Damit sollte den Kettenduldungen ein Riegel vorgeschoben und den Menschen die ständige Angst vor der Abschiebung genommen werden. „Ich konnte oft nicht schlafen oder essen“, bestätigt Ndiaye.

Ein halbes Jahr nach Inkrafttreten der Regelung dürfte es durch die Ampel-Initiative vielen Eingewanderten wieder besser gehen. Laut der Integrationsbeauftragten der Staatsregierung, Gudrun Brendel-Fischer (CSU), wurden bis zum 30. Juni dieses Jahres allein in Bayern rund 12.000 Anträge gestellt, von denen bisher knapp 4300 positiv entschieden worden seien. „In weiteren 660 Fällen konnte durch unterstützende Arbeit seitens der Ausländerbehörde direkt eine vorteilhaftere Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“, sagt Brendel-Fischer auf BSZ-Anfrage. Entsprechend liege die Ablehnungsquote extrem niedrig bei nur 7,8 Prozent.

Positive Aspekte für den Arbeitsmarkt

Durch die Arbeitskräfte erhofft man positive Aspekte für den Arbeitsmarkt. Es fehlen sowohl Fachkräfte als auch Menschen, die einfache Tätigkeiten übernehmen. Weshalb zuletzt viele Geschäfte wegen Personalmangel schließen und Restaurants ihre Öffnungszeiten einschränken mussten. Die Grüne Landtagsabgeordnete Gülseren Demirel lobt, dass es das neue Gesetz auch erleichtere, „Menschen ihre mitgebrachte Ausbildung leichter anerkennen zu lassen“. Allerdings würden manche Behörden die neue Regelung sehr restriktiv auslegen – vor allem in Bayern.

Das bekam auch Ndiaye zu spüren. Obwohl der Senegalese alle Voraussetzungen erfüllte, erhielt er nach seinem Antrag keine Zusage – sondern Post von der Polizei. Gegen ihn sei ein Verfahren wegen Passlosigkeit eröffnet worden. Willkommen in den Wirren des Ausländerrechts. Geduldete haben zwar keine Passbeschaffungspflicht, müssen aber an der Beschaffung „mitwirken“. Ob sie dies tun, liegt im Ermessen der Verwaltung.

„Die Verfahren wegen Passlosigkeit gegen Langzeitgeduldete stoppen den Antragsprozess und sind eine aktive Verhinderungsstrategie der Behörden“, kritisiert Antonella Giamattei vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein. Gerade in Bayern werde jedes Schlupfloch genutzt, um eine Erteilung des Chancen-Aufenthaltsrechts zu verhindern. So werden laut Giamattei nur im Freistaat oftmals statt Duldungen gesetzlich nicht geregelte Grenzübertrittsbescheinigungen ausgestellt. Damit aber ist ein Antrag ausgeschlossen.

Kafkaeske Bürokratie

Der Bayerische Flüchtlingsrat (BFR) nennt weitere Beispiele: Einer Person aus Regensburg wurde das Chancen-Aufenthaltsrecht verweigert, weil sie ins Ausland ausgereist ist. Dabei sei sie nur im Bus eingeschlafen. In einem anderen Fall wurde der Antrag abgelehnt, weil die Person ihre Papiere trotz rechtzeitiger Beantragung erst nach dem Stichtag am 31. Oktober 2017 erhielt. „Diese Behördenwillkür widerspricht grundlegenden rechtsstaatlichen Prinzipien“, beklagt Jana Weidhaase vom BFR.

Das bayerische Innenministerium weist die Vorwürfe zurück. „Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass es zu einer Häufung entsprechender Fallkonstellationen kommt“, betont ein Sprecher von Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Selbst wenn es zum Beispiel zu einer Verurteilung wegen Passlosigkeit komme, führe dies nicht zwingend zu einem Antragsausschluss. Genaue Zahlen dazu liegen laut Ministerium nicht vor. Grundsätzlich gebe es aber bei der Umsetzung in Bayern keine Probleme – „mit Ausnahme der vom Bund zu verantwortenden Startschwierigkeiten“.

Staatsregierung sieht das Gesetz kritisch

Das Innenministerium bestreitet allerdings, dass das Gesetz den Fachkräftemangel lindern könne. Im Gegenteil: Bei den Antragstellenden handele es sich häufig um Personen, die ihre Chancen zur Integration in den Arbeitsmarkt nicht genutzt hätten und „allenfalls als unqualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung stehen“.

Doch auch solche ungelernten Kräfte werden dringend gesucht. Eine aktuelle Studie der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg zeigt, dass bisher rund die Hälfte der nach 2015 Zugewanderten noch keinen Job hat. Nach sechs Jahren sind aber 60 Prozent der erwerbstätigen Geflüchteten auf Fachkräfteniveau tätig. Die Wirtschaft ist jedenfalls froh über die Neuregelung. Die IHK für München und Oberbayern nennt das Gesetz „eine große Erleichterung“.

Ndiaye hofft, dass auch er nach zehn Jahren Wartezeit bald zu denen gehört, die endlich in Deutschland arbeiten dürfen. (David Lohmann)

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