Politik

In den USA ist Fentanylabhängigkeit ein Riesenproblem. In Deutschland dominiert die Droge Lyrica. (Foto: dpa/ Jae C. Hong)

02.06.2023

Fentanyl war gestern

In der Drogenszene dominiert ein neuer Stoff namens Lyrica. Falsch kombiniert kann er tödlich sein

Ein Nachmittag im Park zwischen dem Regensburger Hauptbahnhof und dem Busbahnhof. Touristinnen schieben Rollkoffer, Geschäftsleute tragen ihre Aktentasche in der einen Hand, halten mit der anderen das Handy ans Ohr. Eine Person ruft durch den Park: „Hey! Pssst! Pete hat Lyrica. Brauchst du welche?“

Diese Frage richtet sich weder an die Tourist*innen noch an die Geschäftsleute. Diejenigen, die sich angesprochen fühlen, sind immer hier. Es sind die Drogenabhängigen. Die, die kein oder zumindest kein gutes Zuhause haben.

Lyrica. Was wie ein Gedichtband oder ein antikes Instrument klingt, ist der neueste Hit unter den Substanzabhängigen auf Bayerns Straßen. Das Medikament wurde ursprünglich als Mittel gegen Epilepsie entwickelt, dann entdeckte man, dass es auch zur Therapie von anderen neurologischen Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen recht tauglich ist.

Der Wirkstoff heißt Pregabalin, Lyrica ist der Handelsname von Pfizer. Es verursacht „einen Kopf wie auf Wolken“, sagt die Sozialtherapeutin und Suchtberaterin Nicole Brunner. Sie arbeitet im Regensburger MVZ Boniakowski.

Die Praxis ist einerseits eine Hausarztpraxis für die Bevölkerung im Stadtteil und wegen ihrer internationalen Ausrichtung auch für viele ausländische Bewohner*innen der Stadt. Andererseits ist sie eine Suchtpraxis, Ausgabestelle für Substitutionspräparate wie Methadon und betreuende Stelle für die Justizvollzugsanstalten in Straubing, Landshut, Würzburg, Aichach und Amberg.

Wer in der Suchtabteilung der Praxis Boniakowski landet, hat ein Problem und muss oder will von den Drogen wegkommen. Wer dort arbeitet, hat den Überblick über die neuesten Entwicklungen in dieser Szene.


Eine Lyrica-Tablette kostet nur 3 bis 4 Euro

3 bis 4 Euro kostet eine Tablette Lyrica, berichtet Brunner. Ein hinnehmbarer Preis für einen mehrstündigen Rausch. Für die Konsumierenden ist das Medikament auch aus anderen Gründen reizvoll: Es mildert Entzugssymptome bei Heroinabstinenz, verursacht selbst keine Symptome beim Absetzen und fällt nicht unter das Betäubungsmittelgesetz. Ärzt*innen verschreiben es vergleichsweise schnell, ganz im Gegensatz zu Opiaten wie Codein oder Opioiden wie Fentanyl.

Die große Gefahr von Pregabalin: In Kombination mit anderen Substanzen – dazu gehören beispielsweise Alkohol, alle Opiate beziehungsweise Opioide sowie Substitutionsmedikamente wie Methadon – führt es schnell zum Tod.

Die gleichzeitige Einnahme kann eine Atemlähmung verursachen oder einen Herzstillstand. Ein neues Hoch erlebte das als Droge missbrauchte Medikament während der Corona-Pandemie, als die Grenzschließungen zu einem Mangel an Heroin führten.

In der Öffentlichkeit wird noch häufig über Fentanyl gesprochen. Das spielt laut Brunner aber keine allzu große Rolle mehr.

„Fentanyl ist ausgelutscht“, sagt sie. Ausmaße wie in den USA, wo Fentanylabhängigkeit ein Riesenproblem ist, habe es in Deutschland ohnehin nie gegeben. Fentanyl tauche nur noch selten in den Screenings der Praxis auf. Die Zahlen für Fentanyl, ein stark schmerzstillendes Opioid, waren in Bayern in den vergangenen Jahren stark schwankend. Dass es in der öffentlichen Diskussion so präsent ist, liegt vor allem an den dadurch verursachten Todesfällen.

Fentanyl ist bis zu 50 Mal stärker als Heroin, die Gewinnung erfolgt meist unkontrolliert. Brunner erzählt, dass die beliebteste Form Fentanyl-Pulver aus China sei. Früher habe man oft gebrauchte Pflaster aus dem Müll von Krankenhäusern und Altenheimen geklaut und ausgekocht – nicht wissend, wie viel Wirkstoff man dadurch gewinnt. Die Gefahr einer Überdosierung ist also äußerst hoch.

Weitere Problemfelder sind laut Brunner Partydrogen wie „Purple Drank“, eine Mixtur aus Barbituraten, Codein und Sprite, aber auch Abhängigkeiten, die aus einer ursprünglich notwendigen Behandlung resultieren. Oxycodon, ein weiteres Opioid, ist so ein Beispiel. Ähnlich wie bei Fentanyl handelt es sich dabei um ein sehr starkes Schmerzmittel, das nach Operationen eingesetzt wird. Wegen seiner euphorisierenden Wirkung ist es für die Patient*innen aber sehr attraktiv und viele bleiben drauf hängen, wie man im Slang sagt.

Neben der Prävention ist die Substitution für Brunner das wichtigste Mittel gegen die Sucht. Eine ärztlich überwachte Gabe von zugelassenen Wirkstoffen helfe dabei, ein unauffälliges Leben zu führen. „Eine Mutter in der Substitution ist keine Gefahr, eine Mutter auf Drogen oder im unkontrollierten Entzug schon“, resümiert die Suchtexpertin.

Von der Politik wünscht sie sich, für substituierte Patient*innen weitere Erleichterungen zuzulassen. Zum Beispiel sind Jugendämter offener geworden, wenn es darum geht, Kinder suchtkranker Eltern in die Familie zurückzugeben, sofern die Eltern eine Substitutionstherapie machen. (Bianca Haslbeck)
 

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