Politik

Gewerbe darf sich künftig auch außerhalb von Ortschaften ansiedeln – die Wirtschaft freut’s. (Foto: dpa)

31.03.2017

Fluch und Segen neuer Gewerbeflächen

Das sogenannte Anbindegebot im Landesentwicklungsprogramm wird gelockert: Was bringt’s?

Künftig dürfen Gewerbegebiete in Bayern auch außerhalb von Siedlungen entstehen. Die Vorteile: Der Zulieferverkehr belästigt dann nicht mehr die Anwohner, der damit einhergehende Ruf nach Umgehungsstraßen wird ausbleiben, die Raumnot vieler Gewerbetreibender nimmt ab. Der Nachteil: Es droht Zersiedelung, und der Naturschutz nimmt Schaden.

Nach jahrelangem Zoff hat das Kabinett diese Woche grünes Licht gegeben für das neue Landesentwicklungsprogramm (LEP), jetzt muss noch der Landtag darüber abstimmen. Wichtigstes Novum: Das sogenannte Anbindegebot wird gelockert. Das bedeutet: Firmen – Industrie, Handwerk oder Logistik – dürfen sich auch abseits von Ortschaften an Autobahnausfahrten, vierspurigen Straßen und Bahnstrecken ansiedeln. Ausgenommen ist der Einzelhandel, auch große Möbelhäuser fallen nicht unter die Regelung.

Finanz- und Heimatminister Markus Söder, der die LEP-Novelle erarbeitet hat, erklärte: „Damit geben wir den Kommunen mehr Freiheit.“ Er verwies auf die Vorteile für die Wirtschaft – die sich in den letzten Jahren stark verändert hat und größere Flächen benötigt. Auch der Zuzug von Menschen nach Bayern erfordere eine Neuregelung: „Zwei Millionen Menschen mehr werden wahrscheinlich ein kleines bisschen mehr Fläche brauchen.“

Die Kritik von Opposition und Naturschützern, wonach es in Bayern zu viel versiegelte Fläche gebe, konterte Söder mit dem Argument, dass nur 11,9 Prozent des Landes derzeit als Siedlungs- und Verkehrsfläche genutzt würden. Der bundesweite Durchschnitt liege bei 13,7 Prozent. Wirtschaft, Gemeinde- und Landkreistag profitieren von der Neuerung und finden das Vorhaben deshalb gut. Tatsächlich könnten auch die Bürger Vorteile haben: Wenn Gewerbegebiete nicht mehr im Ort, sondern außerhalb liegen, ist die Lärm- und Verkehrsbelästigung geringer, der Zu- und Ablieferverkehr bleibt dann nämlich draußen. Und kann direkt von der Autobahn zum jeweiligen Betrieb düsen.

Drohen jetzt norditalienische Verhältnisse?


Möglicher Nachteil: Es drohen norditalienische Verhältnisse. Wer etwa von Brixen nach Bozen fährt, hat den Eindruck, der gesamte Landstrich entlang der Autobahn bestehe aus einem einzigen riesigen Gewerbegebiet – denn ein Anbindegebot existiert hier nicht. Die Südtiroler und teilweise auch schon die Österreicher verschandeln gerade unwiederbringlich ihr wertvollstes Kapital: die schöne Landschaft. Kaum berücksichtigt wird auch der Umstand, dass die Konjunktur auch mal wieder einbrechen kann. Das ästhetische Grauen von in der boomenden Nachwendezeit 1990/91 übergroß konzipierten, nun aber schon länger leer stehenden und verfallenden Produktionshallen lässt sich vielerorts in Brandenburg und Sachsen-Anhalt betrachten.

Ein Ziel des neuen LEP ist es auch, ländliche Regionen zu stärken und Ballungszentren zu entzerren. 59 Gemeinden sollen zu sogenannten Ober- und Mittelzentren hochgestuft werden – dort sind dann größere Gewerbeansiedlungen erlaubt. Kreise und Gemeinden, die von Bevölkerungsschwund bedroht sind, können zudem mit höheren finanziellen Zuschüssen rechnen: Sie werden als „Raum mit besonderem Handlungsbedarf“ definiert.

Die Bürgermeister freuen sich: Ihr Einfluss wächst


Mit Blick auf die geplanten Stromtrassen legt das LEP zudem einen Mindestabstand von Höchstspannungsleitungen zu Wohngebäuden oder Schulen fest. Er beträgt 400 Meter innerhalb von Ortschaften, außerhalb sind es 200 Meter.

Die Bürgermeister kleiner und mittlerer Orte frohlocken, weil ihre Planungshoheit ausgeweitet wird. Uwe Brandl (CSU), Präsident des bayerischen Gemeindetags, betonte, die Bürgermeister würden mit den neuen Möglichkeiten „verantwortungsbewusst“ umgehen.

Wobei neue Gewerbegebiete auch künftig natürlich nicht einfach per Gemeinderatsbeschluss durchgewunken werden dürfen. Nötig ist weiterhin ein reguläres Bebauungsplanverfahren, dem auch das zuständige Landratsamt zustimmen muss. Dass freilich ein Landrat seinen Bürgermeistern – die meist alle Sitz und Stimme im Kreistag haben und ihn so kontrollieren – Steine in den Weg legt, ist eher unwahrscheinlich.
(André Paul, Waltraud Taschner)

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