Politik

Im Sommer 2012 demonstrierten Mieter der GBW-Wohnungen gegen einen Verkauf – erfolglos. (Foto: dpa)

04.04.2014

Fragwürdige Sozialcharta

Noch immer sorgt der Verkauf der einst staatseigenen GBW-Wohnungen für Verdruss – trotz des Ombudsmanns Günther Beckstein – die Opposition sieht „unsaubere Methoden“

Es war der größte Immobiliendeal der jüngeren bayerischen Geschichte: Vor rund einem Jahr verkaufte die Bayerische Landesbank insgesamt 32 000 Wohnungen der Gemeinnützigen Bayerischen Wohnungsgesellschaft (GBW) an die Augsburger Patrizia AG. Der Freistaat hatte es abgelehnt, die Wohnungen seiner Landesbank zu übernehmen. Der Deal ist bis heute umstritten – die Mieter sind sauer und fühlen sich übergangen. Sozialcharta „XXL“. Darunter machte es Finanzminister Markus Söder im vergangenen Jahr nicht, um die Mieter in den 32 000 bayerischen GBW-Wohnungen zu beruhigen. Die fürchteten um ihren preisgünstigen Wohnraum, als die Bayerische Landesbank ihre Immobilientochter für knapp 2,5 Milliarden Euro an ein von der Augsburger Patrizia AG angeführtes Konsortium verkaufte. „Die Mieter müssen sich keine Sorgen machen, die Sozialcharta bedeutet für sie Sicherheit und Schutz“, beschwichtigte Söder damals und verwies unter anderem auf die vereinbarten Kündigungsschutzrechte und den Verzicht auf Luxussanierungen. Im Fall von Verstößen gegen die Charta drohten der Partizia hohe Vertragsstrafen und ein Rücktrittsrecht der BayernLB. „Die BayernLB wird streng überwachen, dass die Sozialcharta zum Schutz der Mieter erfüllt wird“, betonte Söder.
Das alles ist nun fast auf den Tag genau ein Jahr her. Bei den Mietervereinen in ganz Bayern stapeln sich inzwischen die Beschwerden über die neuen Eigentümer der GBW-Wohnungen. „Es ist alles eingetreten, was wir befürchtet hatten“, erklärt die Geschäftsführerin des bayerischen Mieterbundes, Monika Schmid-Balzert. Ihre Landesvorsitzende Beatrix Zurek ergänzt: „Die Sozialcharta war nur Augenwischerei, die Zeche zahlen die Mieter.“ Dass es so kommen musste, war für Schmid-Balzert klar. Erfahrungen aus anderen Bundesländern bei der Privatisierung von Wohnungsbeständen sowie die „Wischiwaschi-Sozialcharta“ hätten darauf hingedeutet. Rechtsbruch mag die Mieterschützerin den neuen GBW-Eignern nicht vorwerfen. „Das Verhalten der GBW geht mit der Sozialcharta konform – aber nur, weil die nicht über ohnehin bestehende gesetzliche Regelungen hinausgeht“, erklärt Schmid-Balzert. Einzige Ausnahme: der Kündigungsschutz für über 60-jährige Mieter.
Die Klagen, die bei den Mietervereinen eingehen, betreffen die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen, den Weiterverkauf von Wohnungen an Dritte oder schmerzhafte Mieterhöhungen. Für letztere nutze die Partizia die Vertragsklausel, wonach die maximal 15 Prozent binnen drei Jahren nur ein Durchschnittswert über den gesamten Wohnungsbestand seien, erläutert Schmid-Balzert. So würden derzeit die Mieten in Manching bei Ingolstadt um 20 Prozent erhöht, in weniger engen Mietmärkten in der Oberpfalz oder in Oberfranken blieben die Mieten dagegen stabil oder würden – den örtlichen Märkten geschuldet – nur leicht erhöht. Unterm Strich werde damit die Kappungsgrenze eingehalten.
Der Grüne Abgeordnete Thomas Mütze kennt aus seiner Heimat Aschaffenburg noch andere Tricks, die Sozialcharta kreativ auszulegen. So wurden in den dortigen Wohnanlagen einzelne Wohnungen bei einem Mieterwechsel teuer saniert und entsprechend teurer weitervermietet. Dies treibe die Vergleichsmiete im Mietspiegel nach oben, weshalb auch unsanierte Wohnungen mit einem Aufschlag belegt würden. Zudem würden Mieter über die geforderte einzelvertragliche Absicherung der Sozialcharta in ihren Mietverträgen durch bewusst irreführende Formulierungen verunsichert. Im schlimmsten Fall, so Mütze, führe dies dazu, dass Mieter entgegen ihrer eigentlichen Absicht Widerspruch gegen die Sozialcharta einlegten. „Hier wird mit unsauberen Methoden gearbeitet“, echauffiert sich der Abgeordnete.

Lücken im Vertrag


Bei den Verantwortlichen gibt man sich äußerst zugeknöpft. Eine Sprecherin der GBW erklärt auf Anfrage, dass sich das Unternehmen „zu Meinungen Dritter grundsätzlich nicht äußert“. Ergänzend verweist sie auf eine Presseerklärung der GBW zum aktuellen Geschäftsbericht. Dort heißt es unter Bezug auf das Geschäftsjahr 2013: „Gegen die in der Sozialcharta festgelegten Vereinbarungen wurde nicht verstoßen. Luxussanierungen wurden nicht durchgeführt.“ In Söders Finanzministerium wird darauf verwiesen, dass dieses nicht Vertragspartei sei. Bestätigt wird aber ein „Kontrollmechanismus“ zur Einhaltung der Sozialcharta. So müsse die Patrizia der BayernLB dazu jährlich einen von unabhängigen Wirtschaftsprüfern erstellten Bericht vorlegen, außerdem habe sie den früheren Ministerpräsidenten Günther Beckstein zum Ombudsmann für die GBW-Mieter bestellt.
Beckstein hatte sich Mitte Februar in der Immobilien Zeitung zu seiner Tätigkeit geäußert. Demnach hat er bislang „keinen Verstoß gegen die Sozialcharta“ feststellen können, die Patrizia kümmere sich „penibel“ um deren Einhaltung. Für eine aktuelle Stellungnahme war Beckstein nicht zu erreichen. Im Februar hatte er erklärt, die bisher an ihn gerichteten 15 Anfragen seien keine Beschwerden gewesen, sondern vielmehr Auskunftsersuchen zum Beispiel zu Kündigungsschutz oder Mieterhöhungen. Ob sich die Mietsteigerungen im vorgegebenen Rahmen halten, kann Beckstein ohnehin noch nicht sagen, da die Kappungsgrenze auf drei Jahre berechnet wird. Die BayernLB bestätigt nur die Berichtspflicht der Patrizia gegenüber dem früheren Eigentümer der GBW-Wohnungen, zu Inhalten und möglichen Konsequenzen daraus könne man aber aus vertragsrechtlichen Gründen nichts sagen.
Die GBW-Mieter werden sich wohl weiter auf unruhige Zeiten einstellen müssen. Denn die Patrizia mag, wie Söder formuliert, ein „seriöses bayerisches Unternehmen“ sein, aber sie ist kein Wohltätigkeitsverein. Das zeigt allein der Blick in ihren vergangene Woche veröffentlichten jährlichen Geschäftsbericht. Darin kündigt der Vorstand für 2014 weiteres Gewinnwachstum und die Veräußerung von Wohnungen zum Schuldenabbau an. Die Opposition im Landtag sieht sich deshalb in ihrer Einschätzung bestätigt, dass der Freistaat zusammen mit den Standortkommunen die GBW-Wohnungen zum Schutz der Mieter hätte übernehmen sollen.
Was allerdings mit Blick auf EU-Recht womöglich nicht so einfach gegangen wäre. Jüngst forderte die Opposition, die Staatsregierung möge die Standortkommunen in deren Bestrebungen unterstützen, bei Weiterveräußerungen von GBW-Wohnungen durch die Patrizia das ihnen versprochene Vorkaufsrecht in Anspruch nehmen zu können. Die CSU lehnte dies ab. Der Freistaat sei dafür nicht zuständig, meinte der CSU-Abgeordnete Thomas Goppel. Immerhin räumte er ein, dass die Patrizia bei ihrem Vorgehen offenbar „Lücken im Vertragswerk“ nutze. Ganz so XXL scheint die Sozialcharta also doch nicht zu sein. (Jürgen Umlauft)

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