Es ist paradox und kurios zugleich: Als Markus Söder nach mehr als zwei Jahren Dauer-Corona-Krise den Freedom Day für Bayern verkündet, steht neben ihm kein Virologe, sondern Bayerns Spargelkönigin Annalena Fischhaber. So gerne der Ministerpräsident und CSU-Chef Bilder inszeniert, die zu seinen Botschaften passen, so dürfte diese Szene auf dem Münchner Viktualienmarkt am Montagnachmittag mindestens auf einer gehörigen Portion Zufall basieren. Genau deshalb kann man sie aber als symptomatisch für die gesamte Gemengelage im Frühjahr 2022 verstehen.
Fakt ist: In der Nacht auf Sonntag (3. April) werden auch in Bayern die allermeisten Corona-Auflagen auslaufen: Alle 2G- und 3G-Zugangsregeln sowie die Maskenpflicht im Handel, in Freizeiteinrichtungen, Schulen und sonstigen Innenräumen fallen weg. Es bleiben dann nur noch die Maskenpflicht im Nah- und Fernverkehr, in Pflegeheimen und Kliniken sowie eine Testpflicht in Pflegeheimen und Schulen.
Wer jedoch glaubt, dass dieses Ende der oft nervigen, aber letztlich in der Pandemie alternativlosen Auflagen von einem großen Jubel begleitet wird, der irrt. Es wirkt eher wie ein heimlicher Abschied, der sich dieser Tage vollzieht. Einzig die FDP müht sich, den 180-Grad-Wechsel als Erfolg zur richtigen Zeit zu feiern, der AfD gehen die Lockerungen noch immer nicht weit genug, und alle anderen Parteien im Land, auch SPD und Grüne, hadern spür- und hörbar mit der neuen Liberalität im Infektionsschutz, die nun auf Eigenverantwortung statt auf Verbote und Pflichten setzt. So twittert etwa Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze am Dienstag, sie halte es für falsch, wenn Bayern jetzt nicht zum Hotspot erklärt werde.
Auch in der CSU gibt es längst einen Wunsch nach einem Kurswechsel
"Wir glauben, dass das alles ein bisschen überstürzt kommt. Aber wenn es dann so ist, dann muss man es auch annehmen. Und da muss man nicht versuchen, über die Hintertür das wieder auszuhebeln. Das macht dann auch keinen Sinn", fasst Söder die Gemengelage aus seiner Sicht zusammen. Als er am Dienstagmorgen die Kabinettssitzung eröffnet, gibt sich zumindest Söders Kaffeetasse etwas optimistischer: "Alles Wird Gut" steht in großen Lettern auf der Tasse. Später twittert Söder das Bild samt Hinweis, der Bund müsse noch mal nachbessern.
Nachdem Söder trotz der besonderen Situation an der Pressekonferenz nach der Kabinettssitzung gar nicht teilnimmt, muss Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) die Lage erläutern. In Bayern sei - wie in den allermeisten anderen Bundesländern - eine Anwendung der Hotspot-Regel nicht möglich, betont er und beklagt eine "große Scheinheiligkeit" des Bundes. Statt verbindlicher Anordnungen für Mindestabstand oder Masken in Innenräumen fänden sich in der Verordnung nur noch Appelle.
Es scheint und klingt so, als füge sich Söders Regierung, lange Antreiber des Teams Vorsicht (seit einiger Zeit ergänzt um das Attribut Augenmaß), dem Schicksal der eigenen Machtlosigkeit. Denn dank des neuen Bundesinfektionsschutzgesetzes aus der Feder von FDP, SPD und Grünen sind die Möglichkeiten der Länder künftig deutlichst reduziert. So sehr die Bekämpfung der Pandemie bisher Sache der Länder war, so wenig können sie nun noch machen.
Eine Überlastung der Krankenhäuser droht nicht
In Söders Fall kommt hinzu, dass es auch in seiner Bayern-Koalition mit den Freien Wählern und auch in seiner eigenen Partei CSU schon lange einen Wunsch nach einem Kurswechsel gibt. Theoretisch hätte Söder noch mal alles in die Waagschale werfen und Bayern zum landesweiten Hotspot erklären können. Dann hätte es noch einige Wochen eine Maskenpflicht an Schulen oder in Supermärkten gegeben.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass dieses Vorgehen riskant für Söder gewesen wäre: Eine Verlängerung der strikteren Auflagen ist nur gestattet, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Gebietskörperschaft oder gar ein ganzes Bundesland kann aber nur dann zum Hotspot erklärt werden, wenn dort eine gefährlichere Virusvariante auftaucht oder eine Überlastung der Krankenhauskapazitäten droht. Das ist in Bayern aktuell nicht der Fall, obwohl die Infektionszahlen weiter extrem hoch sind.
Die FDP hatte schon am Montag vorsorglich eine Klage angedroht, in der Koalition hätte es sicher gekracht, und in der CSU wäre eineinhalb Jahre vor der für Söder entscheidenden Landtagswahl die Stimmung garantiert wieder im Keller gewesen. Hinzu wären wohl bundesweite Schlagzeilen gekommen, die ihm - wie vor Wochen bei seiner etwas verunglückt zugespitzten Formulierung zur Umsetzung der Impfpflicht für Mitarbeiter in Pflegeeinrichtungen - den Ruf des ewigen Querulanten beschert oder diesen Ruf verfestigt hätten.
So gesehen versucht Söder das Beste aus der für ihn garantiert alles andere als befriedigenden Situation zu machen. Er präsentiert sich in seiner Rolle als Landesvater, dem die Handlungsmöglichkeiten ausgehen, der aber auch ein Gespür für den wachsenden Unmut seitens der Wirtschaft und vieler Bürger hat. Dazu passen dann auch Aussagen von Söder, in denen er sich im Schatten des Ukraine-Kriegs "in dieser schweren Zeit" für "ein bisschen Lebensfreude" ausspricht. Folgerichtig ließ er sich schon am vergangenen Wochenende gleich auf dem ersten geöffneten Volksfest des Freistaats in Würzburg blicken - auf dem Riesenrad.
Zugleich schieben er und seine Regierung den Ampelparteien SPD, Grüne und FDP klar die Verantwortung zu, sollte sich der neue Corona-Kurs als falsch herausstellen. Zwar habe der Staat eigentlich eine Schutzfunktion zu erfüllen - dafür fehle jetzt aber die Grundlage, fasst es Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) zusammen.
(Marco Hadem, Christoph Trost und Michael Donhauser, dpa)
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